Wang
Jianming, Unternehmer mit musikalischer Passion
Von
Xu Jing und Jia Lan


Zwischen
Literatur und Unternehmensführung gibt es eigentlich keine zwingende
Verbindung. Wenn jemand aber von einer literarischen Gestalt
besessen ist, dann steht er wohl lebenslang unter ihrem Einfluss.
Für Unternehmer Wang Jianming ist Romain Rollands Jean Christophe
unvergesslich. Im Leben dieses Musikers erkennt er drei hohe
Werte: eine liebevolle Beziehung zwischen Schwester und Bruder,
Unnachgiebigkeit dem Schicksal gegenüber sowie Einsatz und Begeisterung
für die Musik. Sie prägen Wang Jianmings Lebenseinstellung.
Kapitel 1: Die Dritte Sinfonie (Heldensinfonie)
„Ohne Kampfgeist ist es aussichtslos,
die in Jahrhunderten geschaffene industrielle Zivilisation in
einer Zeitspanne von einem Dutzend Jahren oder einigen Jahrzehnten
einzuholen.“ (Wang Jianming)
Im Dezember 1994 wurden die Aktien des ersten
chinesischen Jointventure-Betriebs an der New Yorker Börse
notiert. Als kurz davor die Investment-Bank Bilson und das Rechtsanwaltsbüro
Cromwell ein Unternehmensporträt anlässlich der Einführung
der Aktien schreiben wollten, stellte ihnen der Vorstandsvorsitzende
dieses Jointventure-Betriebs das Konzept der Geschäftsführung
vor: „Der Mensch steht im Mittelpunkt, und wir wollen immer
von Neuem nach dem ersten Platz streben.“ Dieser Betrieb ist
die Guangxi Yuchai Machinery Company Ltd. (im folgenden kurz
Yuchai). Er ist der größte Produzent von Verbrennungsmotoren
und die einzige Produktionsstätte in der Branche, die mit
dem Prädikat „Umweltfreundliche Produktion“ versehen ist.
Seit 1985 hat Wang Jianming wie ein meisterhafter
Dirigent mit der Belegschaft von Yuchai eine glänzende
Sinfonie vorgeführt.
Am Anfang der 80er Jahre verfügte der Betrieb
über ein Kapital von nicht einmal acht Mio. Yuan. Die Fabrikhallen
waren baufällig und die Maschinen rückständig. Nach
den wirtschaftlichen Hauptindikatoren bildeteYuchai oft das
Schlusslicht der Branche. Der Betrieb brachte jedes Jahr nur
600 Dieselmotoren hervor. Er war zwar noch nicht von der unmittelbaren
Schließung bedroht, befand sich aber in einem desolaten
Zustand.
1985,
mit 38, trat Wang Jianming den Posten des Direktors an. Kurz
danach setzte er das Ziel, jedes Jahr 1000 Dieselmotoren herzustellen.
Fast alle hielten diesen Plan für blanken Wahnsinn. Als Wang
Jianming seine Vision vorstellte, dass Yuchai zu den internationalen
Topunternehmen im Dieselmotorenbereich aufsteigen sollte, reagierte
die ganze Belegschaft mit Schweigen. Viele dachten im Geheimen,
dass dieses ehrgeizige Ziel nie erreicht werden würde.
Der Held in Jean Christophe hatte Wang
Jianming tief beeindruckt. Er war in seiner Kindheit nicht sehr
vernünftig. Ebensowenig war es Wang gewesen. Als er aus seiner
unvernünftigen Kindheit erwachte, war er bereits in der 2. Klasse
der unteren Mittelschule. Durch einen Zufall nahm er an einem
Wettbewerb in den Leistungsfächern teil. Dabei erreichte
er den 1. Platz in Aufsatz und Physik. Das war wohl das erste
Mal in seinem Leben, dass er die Nummer eins geworden war. Das
gute Erlebnis bildete einen wichtigen Beweggrund für seine späteren
Anstrengungen.
Im Jahr 1985 fühlte sich Wang Jianming einsam.
Dennoch vergaß er in der Einsamkeit seinen Auftrag nicht.
Er führte seine Ingenieure aus der abgelegenen Fabrik und bereiste
mit ihnen das ganze Land. Sie untersuchten den Markt, sprachen
mit Fachkollegen und erkannten den Unterschied zwischen ihnen
und fortgeschrittenen Herstellern. Durch die Studienreisen wurde
ihr geistiger Horizont erweitert. Bis zum Jahresende wurde nicht
nur das Produktionssoll erfüllt, sondern auch die Qualität
der Produkte erheblich erhöht.
Die Praxis ist das beste Lehrbuch. Durch die
Praxis begann die Belegschaft, ihre Arbeit immer wieder zu überprüfen.
Das Wichtigste ist, dass sie dadurch ihr Selbstvertrauen zurückgewann.
Mit der neuen Zuversicht wollte auch sie die Nummer eins werden
und Yuchai zu einer international führenden Firma machen.
Anfang April 1992 gewann Wang Jianming viele
Einsichten aus einem Vortrag über Aktiengesellschaften. Er stellte
fest, dass die staatlichen Investitionen allein nicht ausreichten,
um Yuchai in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Man würde
von in- und ausländischen Investoren „Geld borgen“ müssen.
Und noch im selben Monat wurde aus dem Staatsbetrieb
Yuchai eine Aktiengesellschaft.
Ein Jahr später wurde das Unternehmen
durch die Einführung ausländischen Kapitals in eine Jointventure-Aktiengesellschaft
umgewandelt.
In den vier Jahren zwischen 1992 und 1995
nahm Yuchai Kapital in der Höhe von 2,3 Mrd. Yuan auf und
wurde damit zum weltweit zweitgrößten Hersteller
von Dieselmotoren. Hinsichtlich der Produktionskapazität
wird er nur von Isuzu übertroffen.
Allerdings musste Yuchai Mitte der 90er Jahre
eine harte Bewährungsprobe bestehen.
In dieser Zeit entwickelte sich die chinesische
Wirtschaft zwar rapide, aber die Marktsituation veränderte
sich stark. Das Angebot an vielen Waren übertraf die Nachfrage.
Fast über Nacht brach der Dieselmotorenmarkt zusammen. 1992
hatte Yuchai mit der Entwicklung eines neuen Produkts begonnen.
Aber es wurde nicht vor dem ersten Quartal 1997 herausgebracht.
Und ausgerechnet zu dieser Zeit war auf dem Markt Flaute. Der
ursprüngliche Plan ging nicht auf und wurde als eine Fehlentscheidung
angesehen. In den Jahren 1996/97 sank der Gewinn von einigen
hundert Mio. Yuan auf 10 Mio. Yuan, und der Betrieb stand kurz
davor, in die roten Zahlen abzurutschen.
Kapitel 2: Schicksalssinfonie
„Wie kann ich stärker werden? Ich habe
zwei Maßstäbe: Meine heutige Leistung soll meine
gestrige übertreffen. Ich leiste mehr und bessere Arbeit als
mein Konkurrent. Wenn ich das jeden Tag tue, dann liege ich
im Vorteil“, sagt Wang Jianming.
In seinem Leben musste Wang Jianming viele
Schicksalsschläge hinnehmen.
Wangs Vater kam aus Südkorea, lernte seine
Frau in China kennen und gründete hier eine Familie. Um in den
Unternehmen seiner Familie mitzuwirken, kehrte er nach Südkorea
zurück, während die Mutter mit den drei Söhnen in
China blieb. Durch den Korea-Krieg 1950 wurde die Familie getrennt.
Der Vater hat bis zu seinem Tod seine Familie in China nicht
wiedergesehen. Wang Jianming hatte nur eine vage Erinnerung
an seinen Vater. Die Mutter hat die Kinder aufgezogen und ihnen
die beste Erziehung gegeben. Insbesondere gab sie ihnen ein
starkes Verantwortungsbewusstsein mit.
In einem Exklusiv-Interview mit dem Hongkonger
Fernsehsender Phoenix TV sagte Wang Jianming: „Die Mitglieder
der Geschäftsführung bezeichnen die Fehlentscheidung als
hausgemachten Mist, und dafür bin ich der Hauptverantwortliche.“
Obwohl bei Yuchai jede Entscheidung im Kollektiv getroffen wurde,
verzichtete Wang Jianming für zwei Jahre auf sein Gehalt.
Die Jahre 1996/97 waren die schwerste Zeit
für Wang Jianming. Durch die Absatzschwierigkeiten waren zig
tausend Mitarbeiter betroffen. Er verbrachte zahlreiche schlaflose
Nächte und zerbrach sich über das Problem den Kopf. In
der Krise gelangte er zur Erkenntnis, dass das Problem nicht
im Markt liege, sondern im Betrieb selbst. Seit über zehn Jahren
hatte sich seine Produktpalette nicht verändert. Es wurden
zu wenig leichte und schwere Dieselmotoren hergestellt. Das
war die Hauptursache der Krise.
Die Mitarbeiter von Yuchai haben tiefes Vertrauen
zu Wang Jianming, weil er seine Entscheidungen immer auf der
Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen trifft. Innerhalb
von drei Jahren wurde die Angebotsstruktur erheblich verbessert.
Neben mittelgroßen werden jetzt auch leichte und schwere
Dieselmotoren produziert. Dadurch wurde der Betrieb aus der
Talsohle herausgeführt. Während einiger Jahre betrug das
jährliche Umsatzwachstum 40%. Im Jahr 2001 belief sich
der Umsatz von Yuchai auf 2,148 Mrd. Yuan, und der Gewinn stieg
im Vergleich zum Vorjahr um 40%.
Ein kraftvoller Rhythmus schwingt jetzt wieder
durch den Betrieb.
Durch die schwere Zeit von 1996/97 wurde Wang
Jianmings Krisenbewusstsein sehr gestärkt. Nach Chinas
Beitritt zur WTO werden die Zölle für Motoren um 30% bis
40% gesenkt. Wang Jianming weiß, dass dadurch Yuchais
Kostenvorteil verschwindet . Dann werden alle auf der gleichen
Startlinie stehen.
Im Archiv von Yuchai fanden wir eine Rede
Wang Jianmings, die er vor zehn Jahren schrieb. Darin geht es
hauptsächlich um die Probleme, mit denen Yuchai nach Chinas
WTO-Beitritt konfrontiert sein würde. Damals wurde die Rede
im ganzen Betrieb rund zwei Wochen lang diskutiert. Dadurch
verschaffte sich die Belegschaft Klarheit darüber, was nach
dem WTO-Beitritt zu tun sein würde.
Der größte Hersteller von Dieselmotoren
in den USA sah in Yuchai den größten Konkurrenten
auf dem chinesischen Markt und wendete nahezu Dumping-Preise
an, um mit Hilfe seiner wirtschaftlichen Kraft eine Monopolstellung
in China aufzubauen. Dazu bemerkt Wang Jianming, dass bei der
Konfrontation zweier Armeen die Armee zuerst zerschlagen wird,
die als erste die Flucht ergreift. Yuchai hat Maßnahmen
erarbeitet und sich zum Ziel gesetzt, bei den mittelgroßen
Motoren die Serie B und bei den schweren Maschinen die Serie
C des amerikanischen Konkurrenten zu übertreffen. Beim Service
nimmt man sich die Firma Haier als Vorbild und will diese sogar
übertreffen.
Kapitel 3: Mondscheinsonate
„Ich mag Musik von Tschaikowski und
Beethoven, insbesondere ihre Charakterzüge.“
Wang Jianmings zwei ältere Brüder
haben ihn in die Musik eingeführt. Er mag Tschaikowski
und Beethoven. Der erstere beeindruckt ihn mit seinen romantischen
Themen, der letztere bewegt ihn mit der heroischen, gewaltigen
Stimmung.
1970 wurde Wang Jianming nach Absolvierung
seines Hochschulstudiums zu Yuchai geschickt. Der Lebensstandard
in der kleinen Stadt im Südwesten, wo sich Yuchai befindet,
war von demjenigen in Großstädten weit entfernt.
Damals schrieb er seiner Frau: „Wenn eines Tages die Kinder
in einem Ballettkurs geschult werden können, dann bedeutet
das, dass sich dieser Ort grundlegend verändert hat.“
Im Jahr 2001 feierte Yuchai sein 50-jähriges
Bestehen. An einem Kulturabend führten die Mitarbeiter Darbietungen
auf. Auch die Kinder aus den Kindergärten und den Grundschulen
boten Auszüge aus dem Schwanensee dar. Wang Jianming
war tief bewegt, er hätte nicht gedacht, dass die Veränderung
so schnell eintreten würde.
Wang Jianming wuchs in einer Zeit auf,
die durch Enthusiasmus geprägt war. Wie viele seiner Altersgenossen
hat Wang Jianming ein starkes Pflichtbewusstsein, das den Garant
für seinen beruflichen Erfolg bildet.
In den Augen vieler Menschen ist Wang Jianming
ein erfolgreicher Mensch. Er ist der Vorstandsvorsitzende von
Yuchai, außerdem war er Gastprofessor an sieben Hochschulen.
Am Massachusetts Institute of Technology hielt er Vorträge
für Führungskräfte. Ende 1998 veranstaltete die Lokalregierung
eine Meinungsumfrage über die Führer der Unternehmen. 98% der
Befragten gaben Wang Jianming ihre Stimme.
Aus seiner Sicht jedoch ist sein Erfolg als
Unternehmer für ihn einfach eine Erleichterung.
Wang Jianming strebt stets nach Abwechslung
und Vielfalt in seinem Leben. Er gewinnt aus Literatur und Musik
oft Eingebungen. In seinem Computer hat er einen Katalog von
über 8000 CDs zusammengestellt. Mit seiner Frau spielt er auch
gerne Karten. Manchmal spielt er in Mußestunden auch Geige.
Wang Jianming mag das Wahre,
Schöne und Gute. Und gerade das macht einen erfolgreichen
Unternehmer aus.