
Die
Höhlentempel von Mogao

Während der Regierungszeit des Kaisers
Ming Di (58-75) der Östlichen Han-Dynastie (25-220) erreichte
der Buddhismus, eine in Indien gestiftete Religion, China auf
dem Weg der „Seidenstraße“. Nach dieser Lehre soll man
Leid und Unheil erdulden, um nach der Wiedergeburt ein glückliches
Leben zu führen. Dies war für die damaligen chinesischen Herrscher
ein brauchbares Werkzeug zur Unterdrückung des Volkes. In der
Westlichen und Östlichen Jin-Dynastie (265-420) führten
die Machtkämpfe zwischen den feudalen Herrschern zu langanhaltenden
und für das Volk folgenschweren Kriegen. Um den Unmut des Volkes
zu zügeln, förderte und nutzte die feudale herrschende
Klasse den Buddhismus. Der Buddhismus und die in seinem Gefolge
entstandene Kunst entwickelten sich beispiellos schnell. Klöster,
Schreine und Höhlen entstanden entlang der Seidenstraße.
Die berühmtesten Höhlen sind die von Mogao südöstlich
von Dunhuang im Westteil der Provinz Gansu, auch als „Tausend-Buddha-Höhlen“
bekannt, mit deren Bau man im vierten Jahrhundert begann. Jahrhundertelang
war dies eine buddhistische Pilgerstätte. Generationen
von Künstlern und Handwerkern füllten die ursprünglich 1000
Höhlen, wovon nur 427 erhalten blieben, mit dekorativen
Steinmeißelungen, Holzschnitzereien, Malereien, Wandmalereien
und Plastiken.
Heilige Texte und Inschriften, Geschenke der
Gläubigen, die Werke zahlloser unbekannter Künstler machten
diesen Ort zu einer wahren Kulturschatzkammer. Bis heute blieben
in diesen Höhlentempeln Fresken und Skulpturen aus dem
5. bis 14. Jahrhundert erhalten. Diese meisterhaften Werke vermitteln
ein unvergleichliches Bild vom Leben des Volkes und geben Aufschluss
über den Lebensstandard der verschiedenen Bevölkerungsschichten.
Kunstschatzkammer
Es gibt insgesamt 492 Steinhöhlen verschiedener
Größen, nach der Bauzeit nummeriert, und durch Galerien
miteinander verbunden. Durchläuft man sie, erhält
man einen vollständigen und systematischen Überblick
über die buddhistische Kunst aus dem Zeitraum zwischen 366 und
1368, der späten Periode der Östlichen Jin-Dynastie,
der Sui-Dynastie, der Tang-Dynastie, der Fünf Dynastien, der
Song- und der Yuan-Dynastie – also aus einer Periode von 1000
Jahren.
Faszinierende Wandmalereien bedecken die Höhlenwände
und Gewölbe. Skulpturen in Schreinen, Nischen und Korridoren,
die zu den Grotten führen, wirken äußerst lebensecht
und würdevoll. Erzählt wird Schakjamunis Leben (Begründer
des Buddhismus), andere religiöse Geschichten, aber auch
das alltägliche Leben des Volkes. Dargestellt sind Gläubige,
Beamte, Kaufleute, Durchschnittsbürger und Frauen bei verschiedenen
Arbeiten.
Die Wandmalereien und farbigen Skulpturen
in den Mogao-Höhlen erreichten ihren höchsten Entwicklungsstand
in der Tang-Dynastie (618-907). Form, Gestaltung und Farbgebung
harmonieren ausgezeichnet. Der chinesische Stil kommt charakteristischer
als in den früheren Perioden zum Ausdruck. Die damaligen Bildhauer
verfügten über große Fähigkeiten und Fertigkeiten
und verstand es, auf Grundlage der Wirklichkeit phantasievolle
Werke zu schaffen.
Denkmalpflege
In der alten Gesellschaft bedeutete beinahe
jeder Machtwechsel für Dunhuang eine Katastrophe. Galerien und
Wandgemälde wurden beschädigt oder zerstört.
Die bis heute erhaltenen Fresken bedecken immerhin noch mehr
als 45 000 qm. Über 2300 Skulpturen aus verschiedenen Perioden
sind unversehrt. Dieses wertvolle kulturelle Erbe zu schützen
und wissenschaftlich zu erforschen ist eine wichtige Aufgabe.
Dafür hat man viel getan und Erfolge erzielt.
Archäologische Forschung
Gegenüber der neunstöckigen Pagode befinden
sich fünf Höhlen aus der frühen Song-Dynastie. Die geschnitzten
Stütz- und Trägerbalken tragen Dachtraufen und sind fest
miteinander verbunden. Fragmente einer leuchtend bunten Zeichnung
mit lebensnahen Darstellungen fliegender Musikerinnen und Tänzerinnen
erinnern stark an den architektonischen Stil der Tang-Zeit.
Dies stellt für die Erforschung der Geschichte der alten chinesischen
Architektur ein wichtiges Bindeglied dar. Zur Blütezeit des
Buddhismus während der Tang-Dynastie waren die meisten
Höhlen mit hölzernen Dachtraufen versehen und durch
Galerien miteinander verbunden. Die Inschrift über einer renovierten
Höhle aus der Tang-Dynastie besagt: „Steinhöhlen mit
übereinander geschichteten Dachtraufen gleichen Pagoden, regenbogenförmige
Galerien mit Geländern ziehen sich von Süd nach Nord hin.
Der vorbeifließende Fluss spiegelt die Bauten wider.“
Von all dem blieb nichts übrig, nur Löcher für Balken in
den Felsen.
Im Jahre 1965 wurden vor den Höhlen auf
einer 380 Meter langen Strecke auf der ersten Ebene mehr als
ein Dutzend große Tempelruinen ausgegraben. Größe
und Anordnung der Balkone aus Ziegelsteinen, der Freitreppen,
der runden Säulensockeln und Wandreste lassen Rückschlüsse
zu, wie erhaben diese Bauten aus der Tang- und Song-Dynastie
waren. Nachbildungen davon sind im Dunhuanger Forschungsinstitut
für Kulturdenkmäler ausgestellt. Besichtigt werden können
auch folgende Funde: etwa hundert tönerne Teller mit Farbrückständen
von Zinnober, Malachit, Azurit und anderem – Die Farben sind
immer noch frisch – ein Kürbis mit Roterde, zwei Lampen mit
eingetrocknetem schwarzem Öl, mit Blumenmustern verzierte
Wasserkrüge und große Wasserbehälter aus Ton. Dies
alles wurde in Höhlen auf der ersten Ebene entdeckt. Unter
den im Jahre 1900 entdeckten Dokumenten und buddhistischen Schriften,
„hinterlassene Bücher von Dunhuang“ genannt, wurde ein Pachtvertrag
gefunden, den ein Bildhauer unterzeichnet hatte. Nach diesem
Vertrag hatte er seinen Sohn für 20 Pikul Weizen und 20 Pikul
Hirse verpfändet. Viele ähnliche Dokumente über Menschenhandel
werden im Forschungsinstitut aufbewahrt. Unter den Funden aus
dem Jahre 1965 waren auch zwei Stickereien und einige Gegenstände
aus Seide. Die beiden Stickereien, wenn auch brüchig und unvollständig,
sind sehr fein gearbeitet und von leuchtenden Farben. Sie zeigen
fünf betende Frauen. Die Gebete sind in einer eleganten Handschrift
geschrieben. Nach dem Schnitt der Kleider und den Inschriften
zu urteilen, stammen sie aus dem Jahr 487. Bis heute wurden
nur wenige Seidenstickereien dieser Art entdeckt. Die meisten
Gegenstände aus Seide sind Gebetsfahnen verschiedener Größen,
wie sie beispielsweise in buddhistischen Versammlungshallen
aufgehängt werden. Alle stammen aus der Blütezeit der Tang-Dynastie
(713-762).