Auf
Rädern durch die Jahrhunderte
Von
Huo Jianying




In einer Ausgrabungsstätte neben der
Autobahn in Linzi, in der Provinz Shandong, sind 2000 Jahre
alte Überreste von Pferden und hölzernen Wagen zu
sehen. Die Pferdeskelette liegen auf ihren Seiten und sehen
aus, als ob sie in Bewegung wären. Die Grube wurde in
den späten 90er Jahren entdeckt, als die Autobahn gebaut
wurde. Diese frühen Vorgänger modernen Transports, heute
nicht mehr „straßentauglich“, sind nun geschützte historische
Gegenstände.
Antike Fahrzeuge
Unter
den Autobegeisterten gibt es solche, die Oldtimer als mechanische
und historische Kunststücke bewundern, und doch sind diese
Fahrzeuge nicht mehr als 100 Jahre alt. Im Vergleich zu den
wirklich alten, pferdegezogenen Verkehrsmitteln sind sie modern.
Die 2000 Jahre alten Pferdewagen sind jedoch
nicht die ältesten chinesischen Fahrzeuge. In den Ruinen
von Anyang, Provinz Henan, haben Archäologen in mühseliger
Kleinarbeit Wagen mit einem Alter von 3000 Jahren freigelegt,
und selbst diese werden nicht als die ältesten des Landes
angesehen. Die Chinesen müssen also fast vier Jahrtausende
gebraucht haben, um vom Karren- ins Automobilzeitalter zu
gelangen.
Die
Fahrzeuge des antiken China waren pferdegezogene Wagen, Ochsenkarren
und Schubkarren. Die pferdegezogenen Wagen waren dem Adel
vorbehalten. Vor der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.)
waren Wagen ein wichtiges Kriegswerkzeug. Ochsenkarren wurden
für den Frachttransport verwendet, und die einfachen Leute
benutzten Schubkarren, um sowohl Leute als auch Waren zu befördern.
Frühere
von Tieren gezogene Karren boten bloß Stehplätze.
Holzbretter an allen vier Seiten boten Sicherheit für die
Passagiere und eine Fläche, um sich anzulehnen. Üblicherweise
war das Fahrzeug mit einem Baldachin bedeckt, als Dekoration
und zum Schutz vor schlechtem Wetter. Je höher der Baldachin,
für desto schöner wurde der Wagen befunden. Kampfwagen
oder solche für den Transport von Verbrechern hatten keinen
Baldachin.
Sitze erschienen in den Wagen erst später.
Normalerweise waren es drei, links einen für den Fahrgast,
in der Mitte saß der Fahrer und rechts sein Gehilfe.
Diese Anordnung entsprach der alten Konvention, dass der Position
zur Linken die höhere Ehre zukam.
In der Han-Dynastie bildete sich eine größere
Anzahl von Wagenarten heraus. Für den Adel vorgesehene Fahrzeuge
waren prunkvoll verziert und bequem. Der Ochsenkarren wurde
nun auch für Personentransporte verwendet. Da ein Ochse kräftig
genug ist, um einen großen Wagen gleichmäßig
zu ziehen, stellten die Passagiere nicht selten einen Tisch
auf die Ladefläche und erfreuten sich eines Trinkfests
auf Rädern. Aufzeichnungen zufolge machten sich einige
Wagenbesitzer ihre Verkehrsmittel gar zunutze, um Korn zu
mahlen. Dazu stellten sie eine Steinmühle in den Wagen, die
sich mit der Fahrbewegung drehte.
Die wechselhafte Geschichte der Autos
in China
Die
Natur war großzügig mit den Chinesen und gab ihnen sowohl
unter- wie auch oberirdische Ölvorkommen. Schon vor 1000
Jahren verwendeten sie an der Erdoberfläche vorkommendes
Erdöl als Brennstoff und nannten es „fettes Wasser“.
Es wurde als Gebrauchsgut ähnlich wie Kohle oder Brennholz
angesehen.
Bei der Verbrennung brachte dieses „fette
Wasser“ schwarzen Rauch hervor, eine Erscheinung, die insbesondere
von einem Wissenschaftler namens Shen Kuo (1031–1095) beobachtet
wurde. Er entwickelte Chinas erstes Erdölprodukt – eine
neue Art von Tuschstift aus Ruß. Diese Tusche war von
viel besserer Qualität als diejenige aus Holzkohle und
behielt nach dem Trocknen einen schimmernden Glanz. Shen Kuo
nannte sein neues Produkt Yanchuan-Steinflüssigkeit und verwendete
anstelle von „fettem Wasser“ den Begriff „Steinöl“, was
bis heute die wörtliche Bedeutung der chinesischen Bezeichnung
von Erdöl geblieben ist.
Seine Position als Regierungsbeamter hinderte
ihn daran, sich ganz der Wissenschaft zu verschreiben. Dennoch
kam er durch sein Feingefühl zur Erkenntnis, dass „Steinöl“
eines Tages als vorzügliche Energiequelle von unschätzbarem
Wert sein und Anwendung in den unterschiedlichsten Bereichen
finden würde. Er sagte voraus: „Angefangen bei meinen Versuchen
wird es für diese Sache (Steinöl) unzählige Verwendungen
geben.“
Leider wurde der wahre Wert dieser Gabe
der Natur erst 880 Jahre später ausgeschöpft. Die
Geburt der nationalen Autoindustrie 1956 brachte das Erdöl
ins öffentliche Bewusstsein, aber es wurde erst mit der
Verbreitung von Familienautos in den letzten Jahren in größerem
Rahmen genutzt.
Mit der Einführung von Kraftfahrzeugen in
China um das Jahr 1902 herum kam auch die Kaiserinwitwe Cixi
in den Besitz eines Motorwagens. Minister Yuan Shikai sandte
ihr zum Geburtstag ein Auto ausländischer Produktion
als Geschenk. Das Fahrzeug mit einem hölzernen Rumpf
und Rädern ebenfalls aus Holz ähnelte einem vierrädrigen
Pferdewagen – der Fahrer saß vorne, hinter ihm waren
zwei Passagiersitze.
Obwohl das Auto der Kaiserinwitwe sehr gefiel,
fuhr sie es nie, und es ist auch nicht gewiss, dass sie es
je benutzte. Man sagt, dass ihr die dominante Position des
Fahrers missfiel und sie nicht glücklich darüber war, hinter
ihm Platz nehmen zu müssen. Noch mehr missfiel ihr, dass der
Fahrer während des Fahrens saß, anstatt zu knien.
Als ihr der Fahrer klarzumachen versuchte, dass er den Wagen
unmöglich in einer anderen Körperstellung als im
Sitzen steuern könne, schritten die anwesenden Minister
ein und rieten ihr eindringlich, nicht mit dem Fahrzeug zu
fahren. Es gibt verschiedene Berichte darüber, was danach
geschah, doch eines ist sicher – der Wagen wurde seither nie
wieder benutzt. Er stand zuerst in der Verbotenen Stadt und
wurde später in den Sommerpalast gebracht.
In den folgenden Jahrzehnten tauchte nur
eine kleine Anzahl von Privatautos in den Haushalten der Hauptstadt
auf. Erst in den 90er Jahren nahm die Zahl der Familienautos
mit atemberaubender Geschwindigkeit zu. Wenn alle Beijinger,
die einen Führerschein besitzen, heute ein Auto fahren würden,
stiege die Anzahl der Fahrzeuge auf den Straßen von
zwei auf 3,5 Mio.
Das Auto ist heute zu einem beliebten Gesprächsthema
unter den Chinesen geworden. Am ehesten wird über das Design,
den Preis und besondere Ausstattungen diskutiert. Auto-Websites
und -ausstellungen gehören inzwischen zum Alltag, und
neue Modelle schießen wie Pilze aus dem Boden. Gerüchten
zufolge gibt es in Guangzhou heute mehr Autohändler als
Reisläden. Aber dies soll nicht heißen, dass Reis
in dieser Stadt weniger beliebt ist als Autos.
