November 2002
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Kultur und Kunst

Guo Moruo und die deutsche Literatur
Chinesische Spirituosen
Der Frühling kehrt zurück
Auf Rädern durch die Jahrhunderte

Guo Moruo und die deutsche Literatur

Von Chen Shulin

 

 

Guo Moruo (1892-1978) war sowohl ein hervorragender Dichter, Schriftsteller und Dramatiker, als auch ein marxistischer Historiker und Paläograph, ein bedeutender Gelehrter der modernen Kulturgeschichte Chinas. Bei der Übersetzung fortschrittlicher Literatur aus Deutschland und anderen Ländern hat er viel geleistet. Seine Übersetzungen reichen von Gedichten über Dramen bis zu Romanen und Kunst- und Literaturtheorien. Anlässlich seines 1. Todestages möchte ich hauptsächlich darüber schreiben, wie er das chinesische Volk mit der deutschen Literatur vertraut gemacht hat.

Von Kindheit an las Guo Moruo gern und wurde stark von der chinesischen Literatur beeinflusst. Nach seinem Schulabschluss im Jahre 1914 ging er dann nach Japan, um dort Medizin zu studieren. Dort war es aber die Regel, dass man, wenn man Medizin studieren wollte, außer Medizin vor allem Deutsch lernen musste und zudem noch Englisch und Latein. Im Sprachunterricht wurde vor allem Werke im Original gelesen, wie z. B. "aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit" von Goethe und "Mozart auf der Fahrt nach Prag" von Mörike. So kann Guo Moruo mit ausländischer Literatur in Kontakt. Als er einmal auf diese Zeit zu sprechen kam, sagte er: "Dieser Literaturunterricht brachte meine Vorliebe für Literatur, die ich gerade mit Mühe überwunden hatte, wieder voll zum Tragen. Damals begann ich, mich mit der deutschen Literatur, besonders mit Goethe und Heine zu beschäftigen."

Guo Moruos dichterisches Schaffen beeinflussten der indische Dichter Rabindranath Tagore, der amerikanische Dichter Walt Whitmann und Goethe am nachhaltigsten. Unter dessen Einfluss begann er auch Dramen in Versformen zu schaffen. Nachdem er den ersten Teil von "Faust" übersetzt hatte, schrieb er das historische Drama "Die Geschwister Nie Ying und Nie Zheng" und das Drama in Versform "Die Wiedergeburt der Göttin". Dazu meinte er: "Da ich mich mit Tagore und Goethe beschäftigte, begann ich mich auch mit dem Pantheismus zu beschäftigen, oder anders gesagt, da ich daran Interesse hatte, interessierten mich gerade die Dichter, die sich damit auseinandersetzten."

Noch während seines Medizinstudiums in Japan hatte Guo Moruo deutsche Literatur übersetzt und das chinesische Volk vertraut gemacht. Anfang der 20er Jahre hatte er z. B. "Die Leiden des jungen Werthers" von Goethe und "Immensee" von Storm übersetzt, Mitte der 20er Jahre dann "Der Ketzer von Soana" von Klopstock, Goethe, Schiller, Heine und Storm und in den 30er Jahren das Versepos "Hermann und Dorothea" von Goethe.

Für die Übersetzung von "Faust" wandte Guo Moruo mehr Zeit und Energie auf als für andere Übersetzungen. Schon während der 4. Mai-Bewegung 1919 hatte er damit begonnen. Er selbst erzählte darüber: "Die 4. Mai-Bewegung ähnelte der Sturm und Drang-Zeit zur Zeit Goethes. Beide Geschichtsperioden waren von einer neuen Lebenseinstellung geprägt, beides waren Perioden des Übergangs von der Feudalgesellschaft zur modernen Gesellschaft. Deshalb fühle ich mich eng mit Goethe verbunden. Als ich den ersten Teil von "Faust" übersetzte, empfand ich fast wie eigenes Schaffen. Mein Gedanke dabei war, in meinem Leben etwas von großer Bedeutung zu tun."

Aber es dauerte zehn Jahre, bis die Übersetzung veröffentlicht wurde. "Ja, der Grund dafür war wirklich eine schlimme Sache", sagte Guo Moruo einmal. "Als ich den ersten Teil übersetzt hatte, begann das neue Semester… Ich legte meine Manuskripte in einen kleinen Wandschrank. Als ich sie zwei Monate später wieder hervornahm, war ein Drittel davon von Mäusen angefressen." Guo Moruo war so verärgert, dass er die Arbeit zehn Jahre liegen ließ.

Als dann die Übersetzung des ersten Teils von "Faust" veröffentlicht worden war, wollte er den zweiten Teil nicht mehr übersetzen, er verstand nämlich Goethe in seiner Altersepoche nicht. Er meinte dazu: "Den zweiten Teil hat Goethe im hohen Alter geschrieben, ich konnte seine Gefühle nicht nachvollziehen. Ja, ich konnte den zweiten Teil sogar nicht weiter lesen, legte ihn beiseite, mochte ihn nicht übersetzen. Ich wollte nichts mehr davon wissen, dass der ,Faust' ein weltbekanntes Werk sein. Dann vergingen 30 Jahre, ich versammelte Lebenserfahrungen, beteiligte mich an den revolutionären Bürgerkriegen, erlebte den Widerstandskriege gegen die japanische Aggression und die üble Tschiang Kai-schek-Herrschaft… Dann las ich ,Faust' noch einmal, und diesmal fühlte ich mich gefühlsmäßig angesprochen, es machte mir Freunde, es zu übersetzen. Vieles empfand ich als Verurteilung Tschiang Kai-schecks. Und so war ich in kürzester Zeit mit der Übersetzung fertig." Nach eigener Angabe brachte Guo Moruo für die Übersetzung des ersten Teils zwei Monate noch zehn Tage, für die Übersetzung des zweiten Teils aber nur knapp einen Monat.

Die Übertragungen Guo Moruos fanden bei den chinesischen Lesern großen Widerhall. "Die Leiden des jungen Werthers" erschütterten die jüngere Generation, das Buch wurde für sie zu einer Waffe in ihrem Kampf gegen den Feudalismus. Weiter verbreitet war damals auch unter den Jugendlichen Goethes Gedicht "Jeder Jüngling sehnt sich, so zu lieben. Jedes Mädchen, so geliebt zu sein. Ach, der heiligste von unsern Trieben. Warum quillt aus ihm die grimme Pein? …"

Dass Guo Moruos Übersetzungen bei den Lesern solchen Widerhall fanden, hing zum einen vom Inhalt und Stil der Originale ab, zum anderen aber auch von seiner Übersetzungsfertigkeit, seinem Stil. Er selbst sagte dazu: "Die Übersetzung hat eine positive Resonanz und weckt das Interesse der Leser, wenn der Übersetzer schöpferisch arbeitet, vor dem Übersetzen das Original eingehend studiert, es richtig verstanden hat und dann schließlich beim Übersetzten einen wahren Schaffensdrang empfindet." Er selbst arbeitete so, und das machte aus seinen Übersetzungen Kunstwerke. Seine Übersetzungen lesen sich wie seine eigenen Werke. Um das Original korrekt ins Chinesische übertragen zu können, hatte er jahrelang den "Faust" studiert und gab sich beim Übersetzen dann große Mühe. "Um entsprechende chinesische Wörter und Endreime zu finden, arbeitete ich an manchen Versen einen halben Tag", sagte Guo Moruo. "Ja, ich kann wirklich sagen, dass ich nicht leichtsinnig an meine Arbeit gehe, auch wenn ich mir meinen Übersetzungen sehr schnell fertig bin. Wenn Sie meine Übersetzungen in aller Ruhe lesen, können Sie meine Bemühungen erkennen. Ehrlich gesagt, war ich immer, wenn ich mit einer Übersetzung fertig war, völlig erschöpft, ganz so, als ob ich schwer krank sei."

Bei seinen Forschungsarbeiten und Übersetzungen legte Guo Moruo großes Gewicht auf Goethe, sicherlich, weil Goethe eine wichtige Stellung in der deutschen Literatur und in der Weltliteratur einnimmt, und zudem großen Einfluss auf ihn selbst ausgeübt hatte. Nicht ganz unberechtigt wird Guo Moruo als Goethe Chinas angesehen, ist er doch ebenso wie Goethe ein hervorragender Schriftsteller gewesen und ist seine Nation doch so stolz auf ihn wie die deutsche auf Goethe.

                                              (Aus Nr. 4 von "China im Aufbau", 1979)

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