Gespräch mit einem chinesischen Paläontologen

Von Lu Rucai

Xu Xing begann sein Studium am Geologischen Department der Pekinger Universität und setzte es 1992 am Institut für Wirbeltier-Paläontologie und Paläoanthropologie unter der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (SAS) fort. Er hat momentan ein Forschungsstipendium an dem Institut und ist einer der am meisten respektierten Dinosaurier-Experten im Land. Professor Xu untersucht hauptsächlich im Feld der Dinosaurier-Fossilien und Stratigraphie aus dem Mesozoikum; er selbst hat 15 Dinosaurier-Arten entdeckt und benannt. Seit 1997 hat Xu Xing 40 wissenschaftliche Beiträge in chinesischen, britischen, deutschen, kanadischen und US-amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht.

Ist China führend in der Dinosaurier-Forschung?

Xu Xing: China ist gerade dabei zur Nummer Eins in der Dinosaurier-Forschung zu werden – zumindest was die Untersuchungs-Objekte angeht. Von den bisher 527 Dinosaurier-Gattungen wurden 109 in China gefunden, in den Vereinigten Staaten waren es bisher 127. Aber China hat in den vergangenen Jahren den größten Fortschritt gemacht in dieser Forschung; Die Zahl der entdeckten Dinosaurier ist seit 1990 um 132 Prozent gewachsen, während in den USA der Anstieg im gleichen Zeitraum nur 48 Prozent betrug. Es ist deshalb keine Überraschung, dass viele Dinosaurier-Spezialisten ihr Auge auf China geworfen haben.

Was jedoch die Forschungsmittel und -technik betrifft, ist China noch keine Großmacht; das Interesse der meisten ausländischen Dinosaurier-Forscher richtet sich auf chinesische Fossile. Leider ist jedoch Englisch noch bei weitem keine Sprache, welche die chinesischen Paläontologen beherrschen. Das jedoch wird mehr als kompensiert durch die exzellente Qualität und die Quantität der in China gefundenen Fossilien.

Auf welcher Stufe befindet sich die Dinosaurier-Forschung in China?

Xu Xing: Die USA sind die Nummer Eins auf dem Gebiet der Dinosaurier-Forschung, gefolgt von Kanada und Europa. China ist auf diesem Gebiet ein relativer Spätzünder. Die ersten Forschungen wurden erst um 1930 durchgeführt. China hängt also sowohl in der Forschung als auch im Wissen etwas hinterher. In den 50ern und 60ern des letzten Jahrhunderts konzentrierten sich die paläontologischen Ausgrabungen in den Provinzen Yunnan und Shandong. In den 70ern und 80ern wurden noch mehr Fossilien ausgegraben in der Provinz Sichuan und in die 90er hinein fanden ertragreiche Ausgrabungen in Xinjiang und der Inneren Mongolei statt. In den ersten Jahren des neuen Millenniums gab es auch einflussreiche Entdeckungen in der Provinz Liaoning.

Dinosaurier-Forschung in den Ländern Europas und Nordamerikas begann jedoch bereits im 19. Jahrhundert und hatte im 20. Jahrhundert schon große Ausmaße erreicht. Die meisten Daten und Dokumente auf diesem Gebiet sind deshalb in Englisch verfasst. Genau das ist der Grund, weshalb wir in China so weit zurückliegen. Obwohl wir ungefähr zur gleichen Zeit ähnliche Daten sammeln, wie unsere Wissenschaftskollegen im Ausland, wir müssen immer zuerst noch englisches Datenmaterial sichten und zudem unsere Thesen auf Englisch verfassen, um anerkannt zu werden. Das verhindert eine Überlegenheit unsererseits auf diesem Gebiet.

Liegt das Aussehen restaurierter Dinosaurier nahe bei der wirklichen Erscheinung der Kreaturen?

Xu Xing: Das Restaurieren von Dinosauriern hat immer einen Anteil von einem Ratespiel im Gegensatz zur empirischen Forschung. Die Tyrannosaurus-Überreste, die wir gefunden haben, waren in Form von Skeletten erhalten geblieben. Es kann also zumindest über die Größe und Länge der Tiere keinen Zweifel geben. Die Muskel und Knochenstruktur sind auch grundsätzlich korrekt, aber die Farbe der Haut beispielsweise ist eher eine Annahme, denn eine wissenschaftliche Aussage. Die Haut von Fleisch fressenden Dinosauriern wird sehr wahrscheinlich einen Grauton gehabt haben, während die Haut der Pflanzenfresser eher grünlich gewesen sein wird.

Der Schrei des im Genlabor produzierten Sauriers im Film „Jurassic Park“ basiert auf den Geräuschen, die ähnliche Tiere machen. Er muss aber auch nicht notwendigerweise eine wirkliche Repräsentation sein. Die Art der Fortbewegung wird hingegen von der Knochenstruktur vorgegeben, die Geschwindigkeit wird nach der Entfernung der Fußspuren berechnet. Ein Tyrannosaurus konnte sich mit 15 bis 20 Kilometern pro Stunde bewegen.

„Chinas Investition in paläontologische Forschung geht über meine Erwartungen hinaus.“

Xu Xing: In den ersten Jahren meines Studiums habe ich meinen Tutor häufig auf Forschungs- und Ausgrabungsreisen nach Xinjiang begleitet. Zu jener Zeit waren die Arbeitsbedingungen um ein vielfaches primitiver als sie es heute sind. Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern in „Jurassic Park“ hatten wir keine Hubschrauber und benutzten auch nur die einfachsten Instrumente, um nur die nötigsten Untersuchungen anzustellen.

Ich bin verantwortlich für drei Ausgrabungsstätten in Xinjiang. Obwohl wir nur zwei Monate im Jahr daran arbeiten, kostet jede Stätte jährlich rund 300.000 Yuan. Die Investitionen der chinesischen Regierung in die Paläontologie übertreffen meine Erwartungen noch. Meiner Meinung nach gibt es dafür drei Gründe: Der erste ist, dass dieser Wissenschaftszweig Dank der Hilfe der Medien jetzt auch die allgemeine Öffentlichkeit interessiert. Das bedeutet auch, dass es eine große Rolle in der Popularisierung der Wissenschaft spielt. Der dritte Grund sind die Dinosaurier selber. Als eine Übergangsspezies zwischen höheren und niederen Lebewesen sind die Tiere ein interessantes Objekt für die Evolutionsforschung.

„Internationale Zusammenarbeit ist lebensnotwendig.“

Xu Xing: Unsere Zusammenarbeit mit der amerikanischen George-Washington-Universität begann im Jahr 2000. Zu dieser Zeit bestand das Team aus zwei US-amerikanischen Professoren, meinem Lehrer und mir. Im Jahr 2001 stieg die Zahl der US-Wissenschaftler auf fünf und die der chinesischen Teilnehmer auf acht. Zudem bekamen wir die Unterstützung der Lokalregierung von Changji. Heutzutage haben sich an dem Projekt auch Forschungsinstitute und Hochschulen aus Kanada, Großbritannien und Mexiko beteiligt.

Entscheidend für Chinas Dinosaurier-Forschung wird es sein, die internationale Zusammenarbeit voranzutreiben – vor allem, was die Finanzierung betrifft. Das Ausgrabungsprojekt in Xinjiang wurde ursprünglich von den USA gefördert und ist jetzt eine gemeinsame Investition beider Staaten. Internationale Zusammenarbeit kann uns helfen, mehr Daten und Materialien zu sammeln, die mit diesem großen noch zu erforschenden Forschungsfeld zusammenhängen.

„Wissenschaftliche Popularisierung der Dinosaurier-Forschung braucht Verstärkung.“

Xu Xing: In den letzten Jahren habe ich viel Post von Dino-Fans bekommen, die meisten sind zwischen sechs und sieben Jahren alt oder in Mittel- oder Oberschule. Sie kennen die Urtiere aus Film und Fernsehen. Das Durchschnittsalter von Dino-Fans ist für mich auch ein Indikator, der aufzeigt, wie kurz hier erst in diese Richtung geforscht wird.

Das „Dino-Fieber“ hat inzwischen seinen Höhepunkt erreicht, was dazu führt, dass sich plötzlich die unterschiedlichsten Einrichtungen an Ausgrabungen beteiligen wollen. Eine große Anzahl von Museen für Dinosaurier wurde in Orten wie Changji, in Xinjiang und im Autonomen Gebiet Ningxia der Hui-Nationalität gebaut. Aber die wissenschaftliche Popularisierung der Paläontologie muss auch von einer kulturellen Perspektive aus vorangetrieben werden. Das bedarf eines traditionellen Konzepts, was die ganze chinesische Gesellschaft betrifft. So nimmt zum Beispiel ein befreundetes japanisches Paar seine Kinder mit ins Museum, während das für ein anderes befreundetes Paar aus China nur selten zutrifft.

Verglichen mit Dinosaurier-Museen im Ausland stecken die chinesischen noch immer in ihren Kinderschuhen. Lokale Regierungen, die sich auf ein solches Museum eingelassen haben, waren selten bereit, mehr als die Errichtungskosten zu zahlen – meist zwischen 30 und 50 Millionen Yuan. Die nötigen Folgekosten in EDV-Programme oder Instandhaltung wurden meist vermieden. Es klafft leider noch eine große Lücke zwischen den chinesischen und den westlichen Museen, was die Qualität und den allgemeinen Zustand der Ausstellungen angeht. Nimmt man zum Beispiel die Ausstellung im SAS-Institut für Wirbeltier-Paläontologie und Paläoanthropologie als Beispiel, so zeigt sich, dass ein Laien-Publikum keinen Zugang zu den wissenschaftlichen Erklärungen bekommt. In diesem Zusammenhang ist eine Verbesserung dringend notwendig.


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