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Mehr als nur Landtourismus – Wie ein Amerikaner zum kulturellen Brückenbauer wurde

2022-12-22 10:20:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Meng Jiaxin
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Als Brian Linden 1984 erstmals nach China kam, war eigentlich nur ein Sprachstudium geplant, und zwar am Beijinger Spracheninstitut (heute Universität für Sprache und Kultur Beijing). Doch es sollten für den gebürtigen Chicagoer vier erlebnis- und abwechslungsreiche Jahre im Reich der Mitte werden. Er wurde unter anderem für die Hauptrolle in einem Streifen des Beijing Film Studios engagiert, arbeitete als Fotojournalist für CBS News und verbrachte über 200 Nächte in Zügen, während er jede chinesische Provinz bereiste. 

 

  


Vorreiter in Sachen Kulturtourismus: Brian Linden mit Bewohnern des Dorfes Xizhou 


Vor allem die reiche Kultur und die besonderen Traditionen in Chinas ländlichen Gegenden hatten es dem US-Amerikaner schnell angetan. Im Jahr 2004, nachdem er über 100 Länder besucht hatte, beschloss er, wieder nach China zurückzukehren. Es zog ihn allerdings nicht an die üblichen Ziele wie Beijing, Shenzhen oder Shanghai. Stattdessen entschied er sich für die Kleinstadt Xizhou in der autonomen Präfektur Dali der Bai-Nationalität in Yunnan, ein einstmals belebter Handelsplatz an der alten Tee-Pferde-Straße. 

  

Vom Glanz alter Tage war auf den ersten Blick aber nur noch wenig spürbar in dem kleinen Städtchen im Südwesten Chinas. Der Ort ist mit seinen 2500 Einwohnern, von denen die meisten der Bai-Nationalität angehören, für chinesische Verhältnisse ein verschlafenes Nest. Es schien, als sei dieser Flecken Erde nach dem Niedergang der alten Handelsrouten von der Außenwelt vergessen worden. Linden war jedoch sofort fasziniert von der reichen Geschichte und der einzigartigen Kultur der Stadt. Jammerschade sei es, wenn die Überbleibsel der facettenreichen, zeitlosen Kultur von damals einfach ungeschützt blieben und in Vergessenheit gerieten, so fand er.  

 

Nachdem er in Stanford promoviert hatte, widmete sich Linden 14 Jahre lang Bildungsprojekten in aller Welt. Im Jahr 2004, nachdem sie schon längere Zeit nicht mehr in China gewesen waren, spürten er und seine Frau Jeanee den Drang, China wieder in irgendeiner Form zu einem Teil ihres Lebens zu machen. Nach einiger Überlegung beschlossen sie, ihr Haus in den USA zu verkaufen und ihre beiden sechs und neun Jahre alten Söhne von nun an von zu Hause zu unterrichten. 

  

2006 ließ sich die Familie in Xizhou nieder und begann mit ihren Plänen, ein Boutique-Hotel zu eröffnen, das als Plattform für den kulturellen Austausch dienen sollte. Sie machten ein altes Gebäude ausfindig, renovierten es und eröffneten so ihr erstes eigenes Hotel. Das war im Jahr 2008. Heute verfügen die Lindens über fünf einzigartige Standorte, darunter eine Herberge im Shibaoshan-Nationalpark in Shaxi und ein Hofkomplex aus der Ming- bzw. Qing-Zeit in Suzhou/Dongshan in Jiangsu. Sie betreiben die Hotels unter ihrer eigenen Marke The Linden Centre. 

  

Kultur ist unsere Seele  

 

Die Lindens konzentrieren sich auf kulturell sensible Projekte, die eine sorgfältige Renovierung und Umgestaltung erfordern. Ihre Priorität liegt in der Erhaltung der traditionellen Kultur, eine Aufgabe, die ihrer Meinung nach ganz generell in das Geschäftsmodell aller ländlichen Tourismusprojekte mit einfließen sollte. „Alte Gebäude, ihr Standort und ihre Bauweise, sind das Ergebnis eines Dialogs zwischen den Menschen vor Ort und der Umgebung“, erklärt Brian Linden dazu. „In alten Gebäuden stecken viele materielle und immaterielle Kulturschätze. Es ist an uns, diese Geschichten neu zu erzählen und das Wissen aus vergangenen Tagen für die Nachwelt zu erhalten“, sagt er. 

  

Die Regierung von Xizhou unterstützte Lindens Projekt und erlaubte ihm, einen denkmalgeschützten Komplex anzumieten. Die aus den 1940er Jahren stammende Anlage war einst die Residenz eines wohlhabenden lokalen Kaufmanns namens Yang Pinxiang gewesen. Sie wurde im beeindruckenden traditionellen Bai-Stil erbaut. Im Jahr 2001 wurde der Komplex zu einem nationalen Kulturdenkmal erklärt und unter besonderen Schutz gestellt. 

  

Um die ursprüngliche Holzstruktur zu erhalten und sie für eine moderne Nutzung anzupassen, waren viele Renovierungsarbeiten erforderlich. Die Lindens beauftragten dafür ausschließlich örtliche Handwerker, um den authentischen Charakter des Gebäudes zu bewahren. „Bis zu 60 bis 100 Dorfbewohner haben monatelang jeden Tag mit mir gearbeitet“, erinnert sich der Chicagoer zurück. „Von der Renovierung des Daches bis zum Austausch von morschem Holz haben wir alles selbst gemacht, um das ursprüngliche Gebäude nicht zu zerstören.“ Die Mühe hat sich gelohnt. Nach 18 Monaten harter Arbeit erstrahlte der Komplex wieder in seinem alten Glanz und ein neues Kapitel begann. Heute ist die renovierte Residenz mit ihren 16 Zimmern eines der besten Hotels in der Region. 

   

In Anlehnung an dieses erfolgreiche Modell restaurierte das amerikanische Paar weitere alte Wohnhäuser in Xizhou, von denen eines nun als Lernzentrum dient. Dort werden auch pädagogische Erfahrungen zur Förderung des interkulturellen Lernens eingebracht. 

  

In den letzten zwei Jahrzehnten haben die beiden Macher ein bemerkenswertes Wachstum in Xizhou und seiner Umgebung erlebt. Die Projekte des Ehepaars hatten erhebliche Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft, das Leben der Dorfbewohner und haben auch das Bewusstsein für die Bedeutung der Bautraditionen der Region geschärft. 

 

  


Kultureller Austausch als Geben und Nehmen: Besucher und Einheimische bei einer Kulturveranstaltung im Gebäudekomplex Yang Pinxiang 

  

Grundwerte des ländlichen Tourismus 

  

Statistiken zeigen, dass chinesische Touristen zunehmend daran interessiert sind, in lokalen Unterkünften statt in neu gebauten Luxushotels zu übernachten. Der neue Fokus auf kulturorientierte Reisen trägt zu diesem Trend bei. Immer mehr Chinesen erkennen, dass altehrwürdige Traditionen und Kulturelemente letztlich das Herzstück des Reisens auf dem Land ausmachen. 

  

Das breite Spektrum an Aktivitäten des Linden-Zentrums ermöglicht es den Besuchern, tief in die lokale Kultur einzutauchen und zum Beispiel ein paar Stunden mit den Einheimischen auf dem morgendlichen Gemüsemarkt zu verbringen und im Anschluss gemeinsam zu kochen. Zu den Highlights zählt auch der Besuch einer örtlichen Molkerei oder Färberei, wo die Reisenden selbst Hand anlegen können. Oder man lässt sich von den Dorfbewohnern mit lokalen Speisen wie gebratenen Klebreiskuchen und gefüllten Pfannkuchen, den sogenannten Xizhou Babas, verköstigen. 

  

„Viele Menschen sind überrascht und beeindruckt, wie schnell Chinas Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist. Aber ich denke, Chinas reiche kulturelle Traditionen verdienen ebenfalls unsere Aufmerksamkeit und unseren Respekt“, sagt Brian Linden. Während der finanzielle Reichtum eher in den Küstenstädten Chinas sichtbar wird, liegen die kulturellen Wurzeln des chinesischen Volkes eher in den ländlichen Gebieten, hier sind sie besonders spürbar“, sagt er.  

   

Das Linden Centre dient auch als kulturelles Kommunikationszentrum, das Reisende und Einheimische miteinander verbindet. Seit zehn Jahren kommen zudem Schülerinnen und Schüler der Sidwell Friends School, einer Schule in Washington, D.C., die für die Ausbildung der Kinder vieler amerikanischer Führungskräfte bekannt ist, für ein viermonatiges Programm namens China Fieldwork Semester nach Xizhou. Während ihres Aufenthalts erlernen die Kinder und Jugendlichen Fertigkeiten von örtlichen Handwerkern und Kunsthandwerkern. 

  

Eine Schülerin, Carrera Chao, nahm 2017 an dem Programm teil und schrieb sogar ein Buch über ihre Erfahrungen mit dem Titel „Silver of the Bai People“ (Silber des Bai-Volkes), das die Kunst und das Können der Silberschmiede von Dali und die Geschichte eines bestimmten lokalen Kunsthandwerkers beleuchtet. Exemplare des Buches sind in der Bibliothek jedes Linden-Zentrums zu finden. Einige Schüler sind nach Abschluss ihres Kurses später für weitere Reisen und Studien nach Xizhou zurückgekehrt. 

 

Die Shanghai American School und die Middlebury School of the Environment organisieren ebenfalls kulturelle Austauschreisen nach Xizhou, um jungen Menschen die ländliche Kultur Chinas näher zu bringen. In den letzten zehn Jahren hat das Linden Centre über 200.000 in- und ausländische Gäste aus allen Gesellschaftskreisen empfangen, darunter Botschafter, Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler. 

 

  


Mit Spaß bei der Sache: Ein amerikanischer Praktikant spielt im Linden Centre mit einheimischen Kindern. 

  

Die Wirkung des Landtourismus 

  

Chinas enorme Investitionen in die eigene Infrastruktur haben den ländlichen Tourismus merklich erleichtert. Im Juli 2022 veröffentlichten die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission und das Ministerium für Kultur und Tourismus gemeinsam den „Rahmenplan für die nationale Tourismus- und Freizeitentwicklung (2022-2030)“, der die Entwicklung eines kulturorientierten ländlichen Tourismus vorsieht, der das ländliche Wirtschaftswachstum ankurbeln soll. 

  

Linden erinnert sich noch an die Herausforderungen des Reisens im China der 1980er Jahre. Als er das erste Mal Dali, die größere Stadt, zu der Xizhou verwaltungsmäßig gehört, besuchte, musste er eine zehnstündige Busfahrt von Kunming, der Provinzhauptstadt, in Kauf nehmen. Heute verfügt die Provinz Yunnan über Hochgeschwindigkeitszüge und moderne Schnellstraßen sowie auch über neue Flughäfen. Die verbesserten Verkehrsverbindungen eröffnen Xizhou neue Möglichkeiten und kurbeln den Tourismus und die lokale Wirtschaft an. Und es gibt noch mehr Veränderungen in der Stadt: neue Schulen, Krankenhäuser, Parks und Bibliotheken. Einige der Kinder, die Linden in seinen ersten Jahren in der English Corner unterrichtet hat, studieren jetzt an Universitäten, was ihn sehr stolz macht. 

  

Und wenn die ländliche Kultur Touristen aus der Stadt anzieht, profitieren am Ende alle von den verbesserten Einrichtungen und lernen durch die Interaktion mit der Außenwelt. Im Linden Centre stehen 40 Prozent der Räumlichkeiten der Gemeinschaft zur Verfügung, darunter eine Bibliothek, Unterrichtsräume, eine Kochschule und eine Turnhalle. Die angebotenen Aktivitäten stehen allen offen – Dorfbewohnern wie Touristen. Außerdem gibt es jedes Wochenende einen kostenlosen Englischkurs im Dorf. 

 

Für Linden geht es beim ländlichen Tourismus nämlich nicht nur darum, vom ländlichen Raum zu profitieren, sondern auch darum, etwas zurückzugeben. Es sei ein Geben und Nehmen, sagt er. In seinen Augen macht ein erfolgreiches Modell für ländlichen Tourismus aus, dass dieses die uralte Kultur zeigt und Möglichkeiten gibt, in sie einzutauchen. „Auf diese Weise profitieren wir alle von der Erhaltung der traditionellen Kultur und dem nachhaltigen Wohlbefinden der Menschen vor Ort“, sagt er. 

 

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