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„Magnolien in Blüte“: Begegnungszentrum verschafft Wanderarbeiterinnen Gehör

2023-03-06 19:02:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Lu Jiajun
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„Es ist das erste Mal, dass ich mein Leben auf diese Weise dokumentiere.“ ... „Schauen Sie sich mal unsere Gartenanlage hier im Wohnkomplex an: wie hübsch und zart die Äste der Pflanzen sprießen.“ ... „Wir starten in einen wunderschönen und vor allem freien Tag. Aber trotz Ruhetag steht bei mir heute Aufräumen und Hausputz an.“ Diese Stimmen stammen aus einem im Januar veröffentlichten Kurzdokumentarfilm mit dem Titel „Warten auf die Blüten“. Das filmische Werk zeigt Episoden aus dem Leben von mehr als einem Dutzend Mitgliedern eines Beijinger Frauenbegegnungszentrums namens „Magnolien in Blüte“. Im November 2022 hat das Filmteam die Mitglieder und Ehrenamtlichen für einige Zeit mit der Kamera begleitet. 

  

Das Besondere an diesem Frauenzentrum: alle Teilnehmerinnen stammen nicht aus Beijing, sondern aus anderen Teilen Chinas. Als Wanderarbeiterinnen hat es sie aus allen Himmelsrichtungen in die Hauptstadt gezogen, um sich als Haushaltshilfen, Reinigungskräfte oder Küchenpersonal zu verdingen. Was sie alle verbindet, ist die Identifikation mit der Sache. Sie haben im „Magnolien-Zentrum”, wie die Teilnehmer das Frauenzentrum liebevoll nennen, eine Passion gefunden. Bei den gemeinsam organisierten Aktivitäten sprechen sie sich gegenseitig Mut zu und unterstützen einander. 

 

Mit dem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg und der fortschreitenden Industrialisierung und Urbanisierung Chinas strömen immer mehr Menschen vom Land in die Städte. Es zieht sie aus bisher weniger entwickelten Regionen in die wirtschaftlichen Schmelztiegel und geschäftigen Metropolen des Landes.  

  

Im Chinesischen gibt es gar ein eigenes Wort für diese Bevölkerungsgruppe - 农民工 nóngmíngōng ländliche Wanderarbeiter” heißen sie. Auch immer mehr Frauen kommen seit einigen Jahren in die Städte, um dort ihr Glück zu versuchen. Laut Daten der siebten chinesischen Volkszählung erreichte die Zahl der Wanderarbeiter auf dem chinesischen Festland bis 1. November 2020 370 Millionen, ein Anstieg von 69,73 Prozent innerhalb eines Jahrzehnts. Statistiken zufolge hat dabei insbesondere der Anteil der Frauen seit 2012 kräftig zugelegt. 2018 waren bereits 48,5 Prozent der gesamten fluktuierenden Bevölkerung weiblich. 

 

  


 Zwei Laiendarstellerinnen proben im Dezember 2018 das Theaterstück „Geschichte der Geburt“. (Foto: Lanlan) 

 

Die ersten Knospen 


Qi Lixia, eine der Gründerinnen des Zentrums „Magnolien in Blüte“, erinnert sich noch gut an die Zeit, als sie selbst erstmals als Wanderarbeiterin in die Großstadt kam. Sie weiß daher, wo der Schuh drückt, hat viele der Schwierigkeiten und Nöte dieser Bevölkerungsgruppe selbst miterlebt. Als sie vor einigen Jahren in Shenzhen arbeitete, lernte sie zufällig eine gemeinnützige Organisation zur Unterstützung von Wanderarbeitern kennen. Die vielen sozialen Aktivitäten, die diese Anlaufstelle damals organisierte, stellten nicht nur eine geistige Bereicherung für sie dar, sondern schafften auch Platz für eine Verschnaufpause im anstrengenden Alltag, einen Moment der Entspannung vom Überlebensdruck. Sie traf Gleichgesinnte, mit denen sie ihre Probleme besprach und gemeinsam nach Lösungen suchte. 

 

Später zog Qi Lixia nach Beijing, wo sie im Jahr 2010 das Frauenbegegnungszentrum „Magnolien in Blüte“ gründete, gemeinsam mit drei gleichgesinnten Freundinnen. Zielpublikum der Einrichtung ist das große Heer der Wanderarbeiterinnen der Hauptstadt. Ihnen bietet die Einrichtung Lebenshilfe und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Als Standort wählten Qi und ihre Mitstreiterinnen einen Wohnkomplex mit einer Vielzahl von Wanderarbeiterinnen. Dort richteten die drei Frauen ein Begegnungszentrum ein. Seither stärkt dieses Zentrum die gegenseitige Verbindung und Unterstützung der Arbeiterinnen und ihrer Familien. Dadurch habe sich das soziale Umfeld dieser Bevölkerungsgruppe deutlich erweitert, sagt Qi. Die Frauen seien unabhängiger geworden und es sei ihnen gelungen, sich besser in der Stadt einzuleben und erfolgreich zu integrieren, so Qi. 

 

Das Begegnungszentrum speziell für Frauen befindet sich derzeit in einem Bungalow im Wohngebiet von Dongshagezhuang, einer überschaubaren Siedlung, die im Beijinger Bezirk Changping liegt. Die beiden Räume des Zentrums sind ausgestattet mit Büchern, an den Wänden hängen Fotos verschiedener Aktivitäten und exquisites Kunsthandwerk, in einer Ecke sind die Requisiten für Aufführung feinsäuberlich angeordnet. Wir haben an mindestens 300 Tagen im Jahr für die Wanderarbeiterinnen geöffnet und bieten unter anderem Kurse für Kalligraphie, Fotografie, Kunsthandwerk, Tanzen und Musik an”, erzählt Gründerin Qi. Außerdem organisiere man einen Eltern-Kind-Lesekreis sowie Ausflüge zu Parks, Touristenattraktionen und Museen sowie verschiedene Eltern-Kind-Aktivitäten, sagt sie. 

 

  

 

Im Dezember 2021 sehen sich Besucher in den Ausstellungsräumen des Enjoy·Art Museums in Beijing Fotografien an, die die Mitglieder des Magnolien-Frauenzentrums aufgenommen haben. (Foto: Cheng Xi) 


Seit der Gründung vor mehr als einem Jahrzehnt setzen sich Qi Lixia und ihr Team mit Leidenschaft und Sendungsbewusstsein für die Förderung der unabhängigen Entwicklung von Wanderarbeiterinnen an der Basis ein. „Wir wollen den Frauen wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie neben ihrer Rolle als Töchter, Ehefrauen und Mütter auch eigenständige Persönlichkeiten sind. Unsere Hoffnung: alle Frauen so mutig und selbstbewusst wie Hua Mulan zu machen - die Heldin eines alten chinesischen Volksgedichtes, deren Name Magnolie bedeutet - und so schön und blühend wie die Magnolienblume“, erklärt Qi die Quelle ihrer Inspiration für den Namen des Zentrums. 

 

Das Begegnungszentrum bietet spezielle Trainingscamps an, ermutigt die Wanderarbeiterinnen, Kunstgruppen zu bilden, Lieder, Dramen, Tänze und Sketche aufzuführen und ihr Leben in Wort und Bild zu dokumentieren. Die Essays, Fotos und Bilder werden gesammelt und online bzw. offline ausgestellt. Die gesamte Arbeit stehe im Geist der Geschlechtergleichstellung, der Selbstständigkeit und der Solidarität unter den Wanderarbeiterinnen und ihren Familien, unterstreicht Qi.   

  

In voller Blüte 

 

Im vergangenen Jahrzehnt beteiligten sich die Mitglieder der Einrichtung aktiv an verschiedensten Aktivitäten. Mehrfach sei man sogar auf der großen Bühne aufgetreten, etwa bei der China Dream Show, der Frühlingsfest-Gala von WanderarbeiterInnen und zu der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen, erzählt Qi. 2013 wurden die fotografischen Werke der “Magnolien” beim Internationalen Fotofestival Lishui mit dem Großen Festivalpreis ausgezeichnet. Qi ist stolz auf die Erfolge der Wanderarbeiterinnen und ist davon überzeugt, dass deren Fähigkeiten und Talente gezielt entdeckt und gefördert werden sollten. “Wir sollten der Stimme dieser Frauen mehr Gehör schenken”, sagt sie. 

 

Ein Projekt, das den Frauen eine deutliche Stimme verliehen hat, ist das Theaterstück „Geschichte der Geburt“, an dem die „Magnolien” des Zentrums kürzlich mitgewirkt haben. 2017 führte ein Wissenschaftler eine Umfrage über die Wahl zwischen Muttermilch und Säuglingsmilchnahrung bei der Säuglingsernährung unter verschiedenen Gruppen durch. Das Thema traf den Nerv der Mitglieder des Begegnungszentrums. Eine anberaumte Diskussionsrunde dauerte fast zwei Stunden länger als geplant. Inspiriert von den Erfahrungen der Wanderarbeiterinnen kontaktierte Qi den außerordentlichen Professor Zhao Zhiyong von der Zentralen Akademie für Schauspielkunst und rekrutierte gemeinsam mit ihm Freiwillige für das Projekt. Für die Vorbereitungen führte das Team zwei Jahre lang Tiefeninterviews mit rund 30 Wanderarbeiterinnen. Die Ergebnisse wurden letztlich zu besagtem Theaterstück zum Thema Geburt verarbeitet. 

 

  

 

Mitglieder der „Magnolien“ posieren im Oktober 2022 für ein Gruppenfoto während eines Ukulele-Kurses. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Begegnungszentrums „Magnolien in Blüte“) 


Die Laienschauspieler des Stücks stammen allesamt aus den Reihen der „Magnolien” bzw. ihrer Familien. Zhang Meizhen, die die Heldin „Xiaoyu“ - eine Frau mittleren Alters, spielt, erzählt, sie habe keinerlei Schauspielerfahrung gehabt, bevor sie zu dem Projekt gestoßen sei. Mit der Ermutigung der Lehrerin und anderer Teilnehmerinnen habe sie aber allmählich ihre Schüchternheit und Nervosität überwunden und sich immer besser in ihre Rolle eingefühlt. Letztlich wurde jede Aufführung zu einem vollen Erfolg. Nach mehr als einem Jahr der Vorbereitungen wurde die „Geschichte der Geburt“ im Januar 2019 im Juyin-Theater in Beijing uraufgeführt. Das Stück gab dem Publikum einen wertvollen Einblick in die Erfahrungen und Schwierigkeiten von Wanderarbeiterinnen rund um das Thema Geburt. Alle Aufführungen ernteten lebhaften Beifall und starke Resonanz. 

 

Im Jahr 2021 startete das Frauenzentrum in Zusammenarbeit mit dem Enjoy·Art Museum in Beijing zudem das Kunstprojekt „Persönliche Geschichte | Spieltheater + Ausstellung ‚Geschichte der Magnolien‘ - Erzählungen von Wanderarbeiterinnen an der Basis“. Im Rahmen des Projekts konnte das Publikum nicht nur die Lebenserfahrungen von Arbeiterinnen an der Basis durch das Spieltheater erleben. Es wurden auch Materialien zu den Lebensbedürfnissen und autobiografische Dokumente der Wanderarbeiterinnen ausgestellt, die von den „Magnolien” gesammelt worden waren. 

 

Die Veranstaltung zog das Interesse von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten auf sich und die Ausstellungszeit wurde letztlich sogar verlängert. Ein Verantwortlicher des Enjoy·Art Museums erzählt, er habe noch nie eine Ausstellung wie diese gesehen, die das Publikum dazu angehalten habe, immer wieder innezuhalten und sich jedes Detail genau anzusehen. Später ging das Projekt auf Tour, war unter anderem in Chengdu und Guangzhou zu sehen. Dadurch vernahm ein noch größeres Publikum die Stimme der Wanderarbeiterinnen und erhielt einen Einblick in die Lebenswelt dieser Bevölkerungsgruppe. 

 

Qi Lixia engagiert sich nun seit mehr als zehn Jahren an der Basis. Sie hat immer Wert darauf gelegt, das geistige Leben von Wanderarbeiterinnen mit literarischen und künstlerischen Werken zu bereichern, und ihnen zu helfen, ihre Talente zu entfalten, eigene Werke zu schaffen und sich in der Gesellschaft Gehör zu verschaffen. „Wir werden immer weitermachen, egal wie schwer es ist. Ich bin mir sicher, dass nun immer mehr Menschen der Gruppe der Wanderarbeiterinnen Aufmerksamkeit schenken und sich um diese Frauen kümmern“, sagt sie. 

 

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