August 2003
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Gesellschaft

SARS verändert Chinas Gesicht
Steht ganz China wegen SARS Kopf?

Steht ganz China wegen SARS Kopf?

Ein Blick in Chinas Provinz – das Leben mit der SARS-Bedrohung in Ningbo

 

Von Ursula Nagy

Eines Morgens sind die Eingangspforten der Berufsschule „Zhongtai“ in Ningbo verschlossen. „Zutritt nur für das Personal und die Schüler“ informiert das Schild, das seit dem 21. April vor dem Eingang des Gebäudes steht.

Von diesem Tag an laufen die Uhren der Schule anderes. Vorsicht ist jetzt oberstes Gebot. Strenge Ein- und Ausgangskontrolle der Schüler und Lehrer, Desinfektion des Gebäudes und keine Ausflüge mehr in „gefährdete Gebiete“ ohne anschließende Hausquarantäne. Einen Tag später liegen Mundschutz und Fieberthermometer auf jedem Schreibtisch. Im Eingang stapeln sich Reissäcke zur Versorgung des Schulpersonals. Und das von einem Tag auf den anderen. Die Reaktion der Ningboer ist verständlich. Die chinesische Regierung hat soeben erste unzensierte Zahlen der SARS-Fälle im ganzen Land bekannt gegeben – und die sind höher, als es sich die Menschen in Ningbo vorgestellt haben.

Die 5,4 Millionenstadt Ningbo im Ausnahmezustand? Weit gefehlt. Nach erster Panik und Angst kehrt nach kurzer Zeit wieder Ruhe bei den Bewohnern ein. Schließlich gibt es in Ningbo nach offiziellen Angaben bis heute keinen SARS-Verdachtsfall. In der ganzen Provinz Zhejiang, in der Ningbo liegt, beläuft sich die Zahl auf vier Erkrankungen und einen potentiell Inifizierten. „Don’t panic but be careful“ lautet hier das allgemeine Motto. Seit Ende April gibt es in einigen Ningboer Krankenhäusern SARS-Stationen für den Notfall.

Es ist leerer in den Straßen. Taxifahrer und Händler klagen über mangelnde Kundschaft, und einige Bars und Restaurants haben vorübergehend geschlossen. Die traditionellen chinesischen Ärzte und Kräuterapotheken hingegen haben viel zu tun. Viele Chinesen vertrauen auf bewährte Heilkräuter und grünen Tee zur Vorbeugung. Auch wenn gegen die Angst vor der Ansteckung noch kein Kraut gewachsen ist, nimmt das Leben in Ningbo seinen gewohnten Gang. Eine Person mit Mundschutz ist ein eher seltener Anblick. In dem deutschen Supermarkt „Metro“ fordert ein Eingangsschild zum Maskentragen auf, aber im Geschäft selbst trägt sie allenfalls das Personal.

Die Chinesen bekommen nun ein paar Nachhilfestunden in Sachen Hygiene. In öffentlichen Toiletten gibt es Seife und ausgiebiges Händewaschen, und verstärkte Reinigung der Einrichtungen ist an der Tagesordnung. Einige Chinesen fühlen sich auch sicherer, wenn sie Essig in ihrer eigenen Wohnung verdünsten. Über die vom Staat verkürzten Maiferien haben die meisten Chinesen auf den Besuch ihrer Eltern und Ausflüge verzichtet und sich lieber zu Hause ausgeruht. Vorschrift ist Vorschrift und man möchte lieber nichts riskieren. Trotz aller Gelassenheit der Chinesen fällt ihnen das Verdrängen der Gefahr durch die Lungenkrankheit SARS schwer. „Feidian“ (Abkürzung von ‘fei dian xing xing fei yan’, dem chinesischen Namen für SARS) ist in der chinesischer Medienlandschaft Thema Nr.1. Fernsehen, Radio und Zeitung versorgen ihre Landsleute rund um die Uhr mit wissenschaftlichen Sendungen, Beiträgen und Diskussionrunden zum Thema SARS. Ausländern ohne chinesische Sprachkenntnisse in Ningbo bleibt leider nur der Blick in den englischsprachigen Staatssender CCTV 9 oder in einige Zeitungen. Aber dort gibt es bislang nur allgemeine Angaben über die Lage in den verschiedenen Provinzen Chinas. Daher reagieren wir Ausländer besonders auf eine der unangenehmsten Nebenerscheinungen der SARS-Krise: Gerüchte und Klatsch. Von dieser Quelle erfährt man meist zuerst, ob es in Ningbo und Umgebung einen neuen Verdachtsfall gibt. Aber zum Glück gibt es das Internet, über das die Botschaften ihre ausländischen Bürger mit neuen Zahlen und Fakten versorgen.

Franziska Schnuhr, Praktikantin bei einer deutsch-chinesischen Bekleidungsfirma in Ningbo, sieht die Situation gelassen: „Ich habe überhaupt keine Angst wegen SARS. Ich trage keinen Mundschutz, fahre wie immer mit dem Bus. Ich denke auch nicht, dass ich nach Hause fahre, wenn es schlimmer wird. Gerade in Ningbo habe ich keine Angst, weil hier weniger Leute Ein- und Ausreisen. In den Metropolen Shanghai oder Peking würde ich mich nicht so wohl fühlen.“ So entspannt wie diese Studierende aus Zwickau sehen es nicht alle Ausländer. Auch wenn sich die meisten dafür entschieden haben, erst einmal die Stellung zu halten, haben einige schnell ihre Koffer gepackt und Ningbo für eine Weile verlassen.

Die Bedrohung scheint zwar nicht unmittelbar, ist aber auch nicht wegzuwischen. Daher wird der Alltag eines jeden neu organisiert und die kleinsten Dinge noch einmal überdacht: Vielleicht doch lieber in den großen Supermärkten einkaufen als auf den gut besuchten Obst- und Gemüsemärkten? Ist es wirklich sinnvoll, den Mundschutz zu tragen, wenn man ein Taxi nehmen muss oder einkaufen geht? Ist es gefährlich, in Stammrestaurants und Bars zu gehen?

Letztendlich ist die allgemeine Stimmung unter den Ausländern und Chinesen jedoch entspannt und jeder findet, wenn auch mit der nötigen Vorsicht, seinen eigenen Weg, um sich in Ningbo weiterhin wohl zu fühlen. Und sei es mit schwarzem Humor, den die ins häusliche Exil geflüchtete Internet-Gemeinde verbreitet. Zum Beispiel zu den Vorteilen des SARS-Virus. Die Kriminalität etwa sei zurückgegangen, weil die meisten Bösewichte zu Hause bleiben. Die Staatsindustrie konnte ihre Lager unverkäuflicher Arzneimittel und Mundschutzbinden mit Gewinn abbauen. Und die Mitmenschen seien seit SARS viel höflicher: Schon ein Hüsteln genüge, um im Bus einen freien Platz zu bekommen.

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