Manche
nennen Zhu Lilan eine „Eiserne Lady“. Ihre Freunde jedoch sprechen
mit Begeisterung von ihr, weniger von ihren Qualitäten
als Führungsperson, als vielmehr von ihren wissenschaftlichen
Fähigkeiten.
Zhu
Lilan hatte verschiedene Posten inne. Sie war die Präsidentin
des Instituts für Chemie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften,
Vizevorsitzende der Staatlichen Kommission für Wissenschaft
und Technik und Ministerin für Wissenschaft und Technik. Sie
ist zur Zeit Abgeordnete im neunten NVK. Zhu ist eine umstrittene
Führungspersönlichkeit in der chinesischen Politik, in
erster Linie wegen ihrer geradlinigen Art.
Mit
67 Jahren ist Zhu Lilan noch immer sehr beweglich und steht
mit beiden Füßen auf dem Boden. Als über die tiefen Einkommen
der chinesischen Intellektuellen debattiert wurde, trat sie
offen dafür ein, ihre Löhne vom Wissensstand abhängig
zu machen. Seither haben sich die Gehälter chinesischer
Lehrer verfünffacht. Sie schlug auch als erste vor, dass chinesische
Universitäten vom traditionellen Betriebsmodell abrücken
sollten, das Forschung über Entwicklung stellt. Zuerst stieß
ihr Vorschlag auf heftigen Widerstand seitens der Universitätsprofessoren,
doch diese konnten nicht verhindern, dass in der Folge immer
mehr Universitäten High-Tech-Unternehmen gründeten. Und
nachdem sie Postgraduierte dafür kritisiert hatte, dass sie
bei fremdsprachigen Vorträgen eine chinesische Übersetzung
benötigten, wurden die Fremdsprachenkenntnisse zu einem
wichtigen Kriterium für die Beurteilung eines Studenten erhoben.
Zhu
Lilan ist körperlich und geistig aktiv. Sie erledigt ihre
Arbeit rasch und spricht schnell, kommt gleich auf den Punkt
und redet nicht um den Brei herum. Auf einer Konferenz zur Erschließung
Westchinas brachte sie manchen Beamten aus jener Region mit
der Aussage aus der Fassung, der Hauptgrund dafür, dass der
Westen des Landes in vielerlei Hinsicht dem Osten hinterher
hinke, sei ihrer Ansicht nach beim Verständnis und dem
Konzept der Reformen und der Öffnung unter den örtlichen
Behörden zu suchen, was nicht im geringsten mit finanzieller
Zuwendung zu tun habe, sondern mit dem Grad der geistigen Selbstbefreiung.
Wenn jemand versucht, sich bei ihr einzuschmeicheln, zögert
sie nicht, ihren Abscheu ohne Nachsicht öffentlich kundzutun.
Dennoch will sie nicht als „Eiserne Lady“ betitelt werden: „Ich
nenne die Dinge beim Namen und habe weder die Zeit noch die
Kraft, um leisezutreten und mich mit Diplomatenjargon herumzuschlagen.“
Zhu
Lilan erhielt von der Amerikanisch-Chinesischen Ingenieursvereinigung
eine Auszeichnung für herausragende Dienste als Anerkennung
für das unter ihrer Leitung eingeführte „Projekt 863“, ein Forschungs-
und Entwicklungsprogramm für Hochtechnologie, das 1986 anlief.
Ihr Erfolg beruht auf harter Arbeit. Durch die Zusammenarbeit
mit einer Gruppe von Experten aus verschiedenen Bereichen stellt
sie sicher, dass sie in den wichtigen Bereichen immer gut informiert
ist. So verbringt sie die meiste Freizeit mit der Lektüre von
Fachliteratur und bleibt oft bis spät nachts in ihrem Büro.
Zu
Hause erledigt ihr Mann den Großteil des Haushalts, nur
gelegentlich hilft sie mit. In ihrer Jugend spielte sie mit
dem Gedanken, alleinstehend zu bleiben, doch schließlich
gab sie dem riesigen gesellschaftlichen Druck nach und heiratete,
allerdings unter der Bedingung, dass sie und ihr Mann sich in
ihren Karrieren unterstützen würden. Eine Neigung zu peinlicher
Sauberkeit ist Zhu Lilans einziger erkennbarer weiblicher Zug.
Jeder ihrer Gegenstände hat seinen eigenen Platz. „Was
ich brauche, finde ich in meinem Zimmer mit geschlossenen Augen“,
meint sie dazu.