„Bauer“
kommt aus der Mode
Von Ji Ming und Cui Lijin
China
ist ein großes Agrarland. Seit jeher werden die in der
Landwirtschaft tätigen Chinesinnen und Chinesen in westlichen
akademischen Kreisen nur als „Bauern“ bzw. „peasantry“ bezeichnet,
denn der „Landwirt“ bzw. „farmer“ passt hier nicht ins Konzept.
Doch heute gibt es im wirtschaftlich entwickelten Yangtse-Delta
eine neue Gruppe von Erwerbstätigen in der Landwirtschaft.
Sie macht die herkömmliche Berufsbezeichnung „Bauer“
abänderungsbedürftig.
Chen
Wenxin aus der Provinz Zhejiang ist ein Mitglied dieser neuen
sozialen Gruppe. Vor einem Jahr hat er außerhalb von
Shanghai 1,3 ha Land gepachtet, um eine Baumschule anzulegen.
Doch anders als die Bauern im traditionellen Sinn ist er der
stolze Besitzer eines zweistöckigen Bürogebäudes,
geht jeden Tag mit seinen acht Angestellten zu einer festen
Zeit zur Arbeit und macht auch pünktlich Feierabend. Nach
der Dusche gehen alle nach Hause.
„Ich
bin von der Geburt her ein traditioneller Bauer. Doch da durch
Ackerbau zu wenig Geld zu verdienen war, bin ich vor zehn
Jahren in ein neues Geschäft eingestiegen.“ Der 45-jährige
Chen hat eine dunkle Hautfarbe, an der sein früheres Leben
noch zu erkennen ist. „Heute gibt es in Shanghai überall Begrünungsprojekte.
Stecklinge finden einen guten Absatz – das ist auch ein Grund,
warum ich in dieser Branche arbeite.“ Chen hat eine Webseite
für seine Firma eingerichtet, auf der er ankündigt, dass er
im kommenden Jahr die Anbaufläche verdreifachen will.
Nach
der Definition des amerikanischen Ethnologen Eric Wolf betreibt
die „peasantry“ in erster Linie Landwirtschaft, um ihren Lebensunterhalt
zu sichern. Ihr Gesellschaftsstatus unterscheidet sich von
dem der Bürger. „Farmer“ dagegen bezeichnet jemanden, der
in der landwirtschaftlichen Industrie beschäftigt ist
und nach Einkommens- und Gewinnmaximierung strebt.
Seit
Jahrtausenden also bildet die Bauernschaft den Hauptbestandteil
der chinesischen Gesellschaft. Die Bauern können sich
selber mit Essen und Kleidung versorgen, von einem Leben in
Wohlstand sind sie aber weit entfernt. Die in China neu entstandene
Gruppe der Landwirte hofft, mit Hilfe der Marktwirtschaft
das Gesetz, dass man durch landwirtschaftliche Arbeit nicht
reich werden kann, umzuschreiben.
Heute
arbeiten im Yangtse-Delta vor allem zwei Arten von Landwirten:
Zum einen einheimische, die in den wirtschaftlich entwickelten
Städten und ihrer Umgebung Gartenbau, Fisch- oder Geflügelzucht
betreiben, Industriepflanzen anbauen oder im Export von Landwirtschaftsprodukten
tätig sind, zum andern aus den benachbarten Provinzen
Anhui und Jiangxi stammende, die saisonal, während der
Saat- und Erntezeit, als Landwirte arbeiten.
Wu Zhichong,
ein Forscher vom Wirtschaftsforschungszentrum für Landwirtschaft
der Stadt Shanghai, weist darauf hin, dass das recht hohe
wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsniveau des
Yangtse-Deltas der Hauptgrund dafür war, dass die Gruppe der
Landwirte zuerst hier enstand. Die fruchtbare Region ist ein
traditionelles Gebiet für Fischzucht und Reisanbau. Die landwirtschaftliche
Produktion war von vornherein fortgeschritten, aber die rasche
Urbanisierung und Industrialisierung stellten auch immer höhere
Anforderungen an die Landwirtschaft. Außerdem gibt es
hier einen geregelten Markt, so dass die neuen Landwirte schnell
Gewinne erzielen können.
Gerade
in den wirtschaftlich entwickelten Regionen zeichnet sich
unter den Bauern ein hoher Spezialisierungsgrad ab. Die als
Handelszentrum bekannte Stadt Yiwu in der Provinz Zhejiang
hat 500 000 registrierte Bauern, aber nur ein Drittel davon
ist in der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigt.
„Die meisten, die noch im Ackerbau tätig sind, wollen
das auch weiter machen“, berichtet Yang Linzhang, Direktor
des Büros für die Vereinheitlichung von Stadt und Land der
Stadt Yiwu. „Der Grund dafür ist einfach: Diejenigen, die
nicht in der Landwirtschaft arbeiten wollen, sind schon längst
in den Handel eingestiegen.“
Nach
den Plänen der Stadt Yiwu wird die Zahl der Bauern in
den nächsten zehn Jahren auf 50–80 000 reduziert sein.
Dazu bemerkt Yang: „Erst dadurch kann garantiert werden, dass
die landwirschaftliche Produktion gewinnbringend arbeitet.“
Da die Landwirte Felder bearbeiten, die nicht in ihrem Besitz
sind, plant die Stadt, die sozialen Absicherungsmaßnahmen
für sie zu verstärken, damit sie bei Erwerbsausfall auch
finanzielle Unterstützung bekommen.
Prof.
Leng vom Institut für landwirtschaftliche Betriebwirtschaftslehre
der Jiaotong-Universität in Shanghai weist darauf hin,
dass sich die Landwirte in der freiwilligen Berufswahl erheblich
von den traditionellen Bauern unterscheiden. In der Vergangenheit
haben die chinesischen Bauern ihren Beruf gezwungermaßen
von ihren Eltern übernommen. Mittlerweile hat die Stadt Shanghai
als erster Ort in China das Anmeldesystem für städtische
Einwohner reformiert, wodurch das erste Hindernis für die
freie Berufswahl der ländlichen Bevölkerung aufgehoben
wurde. Die soziale Sicherheit erstreckt sich nun auch auf
ländliche Gebiete, so dass die Landwirte um viele Sorgen
erleichtert wurden.
„Die
Entwicklung von der ‚peasantry‘ d.
h. dem Bauern, zum ‚farmer‘,
dem Landwirt, stellt eine grundlegende Veränderung dar,
die den chinesischen Bauern eine größere Berufsauswahl
bietet. Das ist für die gesellschaftliche Entwicklung Chinas
von weitreichender Bedeutung“, kommentiert Prof. Leng.
Aus Xinhuanet, 8. September 2003