Oktober 2003
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Wirtschaft

Wirtschaft in Kürze
„Bauer“ kommt aus der Mode

„Bauer“ kommt aus der Mode

Von Ji Ming und Cui Lijin

China ist ein großes Agrarland. Seit jeher werden die in der Landwirtschaft tätigen Chinesinnen und Chinesen in westlichen akademischen Kreisen nur als „Bauern“ bzw. „peasantry“ bezeichnet, denn der „Landwirt“ bzw. „farmer“ passt hier nicht ins Konzept. Doch heute gibt es im wirtschaftlich entwickelten Yangtse-Delta eine neue Gruppe von Erwerbstätigen in der Landwirtschaft. Sie macht die herkömmliche Berufsbezeichnung „Bauer“ abänderungsbedürftig.

Chen Wenxin aus der Provinz Zhejiang ist ein Mitglied dieser neuen sozialen Gruppe. Vor einem Jahr hat er außerhalb von Shanghai 1,3 ha Land gepachtet, um eine Baumschule anzulegen. Doch anders als die Bauern im traditionellen Sinn ist er der stolze Besitzer eines zweistöckigen Bürogebäudes, geht jeden Tag mit seinen acht Angestellten zu einer festen Zeit zur Arbeit und macht auch pünktlich Feierabend. Nach der Dusche gehen alle nach Hause.

„Ich bin von der Geburt her ein traditioneller Bauer. Doch da durch Ackerbau zu wenig Geld zu verdienen war, bin ich vor zehn Jahren in ein neues Geschäft eingestiegen.“ Der 45-jährige Chen hat eine dunkle Hautfarbe, an der sein früheres Leben noch zu erkennen ist. „Heute gibt es in Shanghai überall Begrünungsprojekte. Stecklinge finden einen guten Absatz – das ist auch ein Grund, warum ich in dieser Branche arbeite.“ Chen hat eine Webseite für seine Firma eingerichtet, auf der er ankündigt, dass er im kommenden Jahr die Anbaufläche verdreifachen will.

Nach der Definition des amerikanischen Ethnologen Eric Wolf betreibt die „peasantry“ in erster Linie Landwirtschaft, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ihr Gesellschaftsstatus unterscheidet sich von dem der Bürger. „Farmer“ dagegen bezeichnet jemanden, der in der landwirtschaftlichen Industrie beschäftigt ist und nach Einkommens- und Gewinnmaximierung strebt.

Seit Jahrtausenden also bildet die Bauernschaft den Hauptbestandteil der chinesischen Gesellschaft. Die Bauern können sich selber mit Essen und Kleidung versorgen, von einem Leben in Wohlstand sind sie aber weit entfernt. Die in China neu entstandene Gruppe der Landwirte hofft, mit Hilfe der Marktwirtschaft das Gesetz, dass man durch landwirtschaftliche Arbeit nicht reich werden kann, umzuschreiben.

Heute arbeiten im Yangtse-Delta vor allem zwei Arten von Landwirten: Zum einen einheimische, die in den wirtschaftlich entwickelten Städten und ihrer Umgebung Gartenbau, Fisch- oder Geflügelzucht betreiben, Industriepflanzen anbauen oder im Export von Landwirtschaftsprodukten tätig sind, zum andern aus den benachbarten Provinzen Anhui und Jiangxi stammende, die saisonal, während der Saat- und Erntezeit, als Landwirte arbeiten.

Wu Zhichong, ein Forscher vom Wirtschaftsforschungszentrum für Landwirtschaft der Stadt Shanghai, weist darauf hin, dass das recht hohe wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsniveau des Yangtse-Deltas der Hauptgrund dafür war, dass die Gruppe der Landwirte zuerst hier enstand. Die fruchtbare Region ist ein traditionelles Gebiet für Fischzucht und Reisanbau. Die landwirtschaftliche Produktion war von vornherein fortgeschritten, aber die rasche Urbanisierung und Industrialisierung stellten auch immer höhere Anforderungen an die Landwirtschaft. Außerdem gibt es hier einen geregelten Markt, so dass die neuen Landwirte schnell Gewinne erzielen können.

Gerade in den wirtschaftlich entwickelten Regionen zeichnet sich unter den Bauern ein hoher Spezialisierungsgrad ab. Die als Handelszentrum bekannte Stadt Yiwu in der Provinz Zhejiang hat 500 000 registrierte Bauern, aber nur ein Drittel davon ist in der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigt. „Die meisten, die noch im Ackerbau tätig sind, wollen das auch weiter machen“, berichtet Yang Linzhang, Direktor des Büros für die Vereinheitlichung von Stadt und Land der Stadt Yiwu. „Der Grund dafür ist einfach: Diejenigen, die nicht in der Landwirtschaft arbeiten wollen, sind schon längst in den Handel eingestiegen.“

Nach den Plänen der Stadt Yiwu wird die Zahl der Bauern in den nächsten zehn Jahren auf 50–80 000 reduziert sein. Dazu bemerkt Yang: „Erst dadurch kann garantiert werden, dass die landwirschaftliche Produktion gewinnbringend arbeitet.“ Da die Landwirte Felder bearbeiten, die nicht in ihrem Besitz sind, plant die Stadt, die sozialen Absicherungsmaßnahmen für sie zu verstärken, damit sie bei Erwerbsausfall auch finanzielle Unterstützung bekommen.

Prof. Leng vom Institut für landwirtschaftliche Betriebwirtschaftslehre der Jiaotong-Universität in Shanghai weist darauf hin, dass sich die Landwirte in der freiwilligen Berufswahl erheblich von den traditionellen Bauern unterscheiden. In der Vergangenheit haben die chinesischen Bauern ihren Beruf gezwungermaßen von ihren Eltern übernommen. Mittlerweile hat die Stadt Shanghai als erster Ort in China das Anmeldesystem für städtische Einwohner reformiert, wodurch das erste Hindernis für die freie Berufswahl der ländlichen Bevölkerung aufgehoben wurde. Die soziale Sicherheit erstreckt sich nun auch auf ländliche Gebiete, so dass die Landwirte um viele Sorgen erleichtert wurden.

„Die Entwicklung von der ‚peasantry d. h. dem Bauern, zum ‚farmer, dem Landwirt, stellt eine grundlegende Veränderung dar, die den chinesischen Bauern eine größere Berufsauswahl bietet. Das ist für die gesellschaftliche Entwicklung Chinas von weitreichender Bedeutung“, kommentiert Prof. Leng. 

Aus Xinhuanet, 8. September 2003

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