Psychische
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen


Der
oben erwähnte Liu Haiyang ist, wenn man so sagen kann,
ein Opfer davon. Seine Mutter ist schon längst von seinem
Vater geschieden. Von klein auf lebte er nur mit seiner Mutter;
sie waren aufeinander angewiesen. Mit der Hoffnung, dass Liu
Haiyang ein erfolgreicher Mensch würde, hatte seine Mutter größten
Wert auf seine Schulleistungen gelegt. Sie legte sogar seinen
Weg zur Schule bzw. zur Universität und auch seinen Tagesplan
fest. Unter ihrer Erziehung war Liu Haiyang sehr gehorsam. Darüber
hinaus gewann er in der Mittelschule zahlreiche Medaillen in
Mathematik- und Physik-Wettbewerben. In den Augen vieler Leute
war Liu Haiyang ein „gutes Kind“ im wahrsten Sinn des Wortes.
Das
zweite Problem ist die Erziehung zum Erfolg: Qualifiziertes
Personal durch ein ausgeklügeltes Prüfungssystem auszuwählen
hat in China eine langjährige Geschichte. Die heutige Hochschulaufnahmeprüfung
genießt bei Eltern einen äußerst hohen Stellenwert,
denn in China, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt,
stehen infolge des geringen Entwicklungsstands der Wirtschaft
nicht genügend Bildungsanstalten zur Verfügung. Nur wenn man
von klein auf fleißig lernt, kann man sich später
in der Hochschulaufnahmeprüfung gegenüber unzähligen Konkurrenten
durchsetzen. Aus diesem Grund lernen alle Kinder für diese Hochschulaufnahmeprüfung.
Die
Hochschulaufnahmeprüfung bestanden zu haben und darum eine Hochschule
besuchen zu können, garantiert jedoch noch nicht, dass
man sich auch erfolgreich fühlt. Da die Kinder ein Leben lang
allein für Prüfungen gelernt haben und darauf getrimmt wurden,
Bestleistungen zu erbringen, fehlt ihnen oft die Fähigkeit,
sich selber einschätzen zu können.
Erleiden sie einen Rückschlag, kann es vorkommen, dass
sie etwas Unvorstellbares tun.
Das
dritte Problem besteht in der Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften.
Seit mehr als 20 Jahren gibt es in China eine Hochschulaufnahmeprüfung
für Geisteswissenschaften und eine für Naturwissenschaften,
die zur gleichen Zeit stattfinden. Eine Folge davon ist, dass
die Studenten der Geisteswissenschaften gemeinhin eine sinnlichere
Denkweise haben, während den Studenten der Naturwissenschaften
Geschichte, Literatur und Kunst relativ fremd sind. Ein solches
Bildungssystem kann einem keine Gelegenheit bieten, mit der
Welt des Wissens ganzheitlich in Berührung zu kommen.
Und
schließlich wird zu wenig Wert auf die psychische Erziehung
gelegt. Statistischen Angaben zufolge gibt es zur Zeit in China
30 Millionen Kinder und Jugendliche, die psychische Probleme
haben. Danach sind 21,6-32% der Grund- und Mittelschüler und
16-25,4% der Studenten psychisch behindert. Schlimmer ist, dass
dieser Prozentsatz zunimmt.
Glücklicherweise
schenkt man der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
immer mehr Aufmerksamkeit. Zwar mangelt es in der Gesellschaft
an Psychologen und psychologischen Beratungsstellen, es gibt
aber viele beruflich erfahrene Lehrer, die ihren Schülern helfen
möchten.
In
einer Grundschule in Beijings Xicheng-Bezirk nehmen die Schüler
gern an der einmal in der Woche veranstalteten Klassenversammlung
teil, weil sie dabei Fragen nach Belieben an die Lehrer stellen
können, wie z. B. „Warum kann ich noch immer nicht schnell
kopfrechnen?“, „Soll ich zurückschlagen, wenn ich geschlagen
werde?“ oder „Warum schaffe ich es nicht, mit dem Stoffball
zu jonglieren?“ Die Lehrer tun ihr Bestes, auf solche Fragen
zu antworten, und spielen gar persönlich mit, wenn es notwendig
ist. Bei der Klassenversammlung werden die Lehrer von Schülern
als Freunde angesehen.
Der
stellvertretende Bildungsminister Yuan Guiren meint, dass Familie,
Schule und Gesellschaft Aktivitäten vereinheitlichen sollten,
damit die Kinder geistig und körperlich gesund aufwachsen.
Experten
schlagen vor, die Idee der Selbstverantwortung in die Bildung
einzuführen. Danach sollen Kinder und Jugendliche die Sorge
für die eigene geistige und körperliche Gesundheit sowie
für das Aufwachsen und ihre Entwicklung tragen. Gute Ess- und
Trinkgewohnheiten, die aktive Teilnahme an sportlichen Aktivitäten,
Kontakte mit anderen und ein Leben in Eintracht werden besonders
betont. Die Eltern sind vor allem verpflichtet, ihren Kindern
beizubringen, für ihr eigenes Leben verantwortlich zu sein.
Auf
die vielseitige Erziehung wird immer größerer Wert
gelegt. Man ist allgemein der Überzeugung, dass Erziehung
nicht nur die Funktion der Wissensvermittlung hat, sondern,
wichtiger noch, den Kindern auch helfen soll, mit der Außenwelt
in Eintracht zu leben.
Seit
kurzem bietet die Qinghua-Universität Bootsrennen als Wahlfach
an. Wer wird noch Kummer spüren, wenn er in der Natur seinen
Mut und seine Kraft zeigen kann?
