April 2002
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„… und abends treffen wir uns im Park“

Von Wolfgang Schaub

Mein Lieblingspark in Beijing hat zwar nur die Größe eines halben Fußballfeldes, aber er besitzt alles, was einen chinesischen Park auszeichnet: einen Pavillon, eine Anhöhe, Bäume, Wasser, seltsam geformte Steine – und Menschen. Viele Menschen. Interessante Menschen.

Dominieren in deutschen Parks gepflegte Grünanlagen, Blumen und gähnende Langeweile, so kann man hier einen Blick ins bunte chinesische Menschenleben werfen.

Der kleine Nachbarschaftspark hinter dem Yanshan-Hotel im Beijinger Distrikt Haidian liegt in der Nähe eines Hochhauswohnviertels und ist ein Treffpunkt für Jung und Alt. Wer es nicht schafft, morgens um 6 Uhr die Frühaufsteher (und deren gibt es viele in China) bei Morgengymnastik und Taijiquan zu beobachten, der kann dies abends nachholen, wenn an die 20 älteren Frauen (Männer werden nur selten gesichtet) zu den Anweisungen einer Vorturnerin Übungen durchführen, die die Blutzirkulation anregen und den Bewegungsapparat gelenkig halten. Außer Puste scheint niemand zu kommen.

Eine bewundernswerte Konzentration legen die vereinzelten Taiji-Übenden an den Tag, respektive Abend. Ihre langsam fließenden Bewegungen schwimmen gleichsam in einem Meer von Spaziergängern, deren Respekt so groß zu sein scheint, dass es trotz der chinesischen Neigung zum geraden Weg zwischen zwei Punkten zu keinen Remplern kommt. Weniger ernst geht es in einer anderen Ecke des Parks zu: Junge Leute spielen Badminton, es wird viel gelacht und gescherzt.

Da erklingt plötzlich Musik. Ein älterer Mann in dunkelblauer Arbeitskleidung, die früher zum Begriff „blaue Ameisen“ führte, heute aber fast vollständig aus dem Straßenbild verschwunden ist, greift in die Tasten seines Akkordeons, schnell finden sich Sänger, die – so hört es sich zumindest an – revolutionäre Weisen zum Besten geben. Dies scheint aber die Gruppe dahinter nicht zu stören, die in eine Partie (chinesisches) Schach vertieft ist, wobei wie überall auf der Welt die Kiebitze bessere Züge als die Spieler sehen und zum Beweis die runden Holzscheiben schon mal heftig auf dem Steintisch herumgeschoben werden.

Die kreisrunde Fläche im Zentrum des Parks ist noch schwach bevölkert. Nur eine einsame Tänzerin dreht sich zu imaginären Walzerklängen. Doch bald wird es auch hier eng werden. Ein in die Jahre gekommenes Transistorradio wird die ernst und konzentriert dreinblickenden Tanzpaare mit etwas blechern klingender westlicher Tanzmusik versorgen.

Ob das den Lehrer stört, der seiner jungen Schülerin in die Geheimnisse der Erhu (zweisaitige chinesische Geige) einweiht? Wohl nicht, denn erstens ist keine räumliche Alternative vorhanden und zweitens: Ist nicht vieles eine Sache der Konzentrationsfähigkeit?

Überall tummeln sich Kinder. Es wird ihnen überraschend viel Freiheit gegeben, ihre Entdeckungen zu machen. Die aufmerksam beobachtenden Eltern bleiben mehr oder weniger im Hintergrund. Sie stehen den Kleinen aber dann als Zuflucht zur Verfügung, wenn diese sich zum Beispiel neugierig und vorsichtig dem Ausländer mit seinem doch arg dreidimensionalen Gesicht nähern und mein Bart ihnen seltsam genug erscheint, um mich schnell zum Großvater zu erklären und ein Rückzug angeraten scheint.

Es passiert nicht selten, dass ich angesprochen werde. Manchmal sind es pensionierte Ingenieure, die ihr Englisch auffrischen wollen und auch schon mal zu Studienzwecken in der Bundesrepublik waren. Oder ich werde von einem, wie er mir stolz erklärt, 84-jährigen rüstigen Rentner angesprochen, der seine Peking-Opernarie kurz unterbricht, federnd auf mich zu tigert, kräftig und herzlich meine Hände schüttelt, wobei er breit lächelt und sein einziger gelber Schneidezahn zum Vorschein kommt, und dann ein paar Kungfu-Bewegungen hinlegt, zu denen meine nur halb so alten Gelenke nicht mehr in der Lage wären. Ein erneuter Händedruck und er wendet sich wieder seinem Ensemble zu, während ich mich weiter am bunten Treiben im Park erfreue.

Da ist zum Beispiel der hochkonzentrierte junge Mann, der seine Lebensenergie mit daoistischen Übungen auflädt. Oder die lautstarken Kartenspieler. Oder die strickenden und plaudernden Großmütter, die ab und zu einen liebevollen Blick auf die Enkelchen werfen, die mit Opa einen bunten Drachen steigen lassen oder ihn erfolgreich vom Reiz eines Gameboy überzeugen.

Oder oder oder. In einem chinesischen Park ist immer etwas los. Hier sind Menschen, hier ist Leben. Ich bin gerne hier.

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