November 2002
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Kultur und Kunst

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Der Frühling kehrt zurück
Auf Rädern durch die Jahrhunderte

Der Frühling kehrt zurück

Von Tang Yuankai

Seinen letzten Film, „Der blaue Drachen“, drehte er 1992, dann war es zehn Jahre lang still um Tian Zhuangzhuang, einen der meistbeachteten Regisseure der sogenannten „Fünften Generation“. Anfang dieses Jahres meldete er sich mit einer Neufassung von Xiaocheng zhi chun („Spring in a Small Town“) zurück. Das Original von Fei Mu aus dem Jahre 1948 ist Tians Lieblingsfilm. In den letzten zehn Jahren hat er sich das Werk mindestens einmal pro Jahr angesehen, jedes Mal mit neuen Erkenntnissen. Im Winter 2000 schließlich entschloss er sich, aus Bewunderung für den Film eine eigene Fassung zu drehen. Einige Monate später lag das vom erfolgreichen Autor A Cheng leicht abgeänderte Drehbuch auf seinem Tisch, und Li Shaohong, ebenfalls Regisseurin und ehemalige Klassenkameradin von Tian Zhuangzhuang, sicherte ein Budget von 4,5 Mio. Yuan zu.

Trotz eines schillernden Produktionteams, u. a. mit den international preisgekrönten Li Pingbin, Kameramann in Wong Kar-wais In the Mood for Love, und Ye Jintian, künstlerischer Berater für Li Angs Crouching Tiger, Hidden Dragon, waren die Dreharbeiten zu Spring in a Small Town eine beschwerliche Aufgabe, mit der noch dazu kaum Lorbeeren zu gewinnen waren. In den Augen der Cinephilen kommt eine Neuverfilmung selten an das Original heran. Tian erklärte seine Beweggründe wie folgt: „Ich sehe zahlreiche Schwächen in all den Filmen, die ich gemacht habe. Ich versprach mir von der Erfahrung aus einer Neuverfilmung von Spring in a Small Town einigen Gewinn für mein zukünftiges Schaffen.“

Die ursprüngliche Fassung ist vollkommen sowohl hinsichtlich der Handlung als auch der Erzählstruktur, so dass es unmöglich schien, eine neue Perspektive zu finden. Während der einen Monat dauernden Dreharbeiten musste sich Tian von seiner gewohnten Herangehensweise lösen und neue Ideen entwickeln. Hier erhielt er wertvolle Unterstützung von Mitgliedern des Produktionsteams. A Cheng setzte einen neuen Blickwinkel, Ye Jintian fand ein Gleichgewicht zwischen Kunst und wirklichem Leben, und Li Pingbin lässt in jeder Szene bewusst genügend Raum für die Phantasie – ein Stil, der perfekt zum Charakter des Films passt.

Das Original war in seiner Zeit einzigartig für seine experimentelle Qualität, z. B. lange Einstellungen und Bühnenszenen aus dem Theater. Beispiellos war v. a. das nicht-narrative Muster. Die Erzählung geht über eine Zeitdauer von fünf Tagen und umfasst fünf Figuren – ein Ehepaar, die jüngere Schwester des Ehemanns, einen Gast und einen Diener. Weder die Handlung noch die Szenen sind vollständig. Der Film handelt von einer Familie im Niedergang im Süden Chinas nach dem Widerstandskrieg gegen Japan. Der Ehemann ist chronisch krank und leidet deswegen unter Depressionen. Seine Frau erfüllt pflichtbewusst und mit einer distanzierten Sanftmut ihre Aufgabe als Ehefrau, ihn zu pflegen. Eines Tages kommt ein ehemaliger Mitschüler des Mannes, gleichzeitig der einstige Geliebte der Frau, auf Besuch. Seine Anwesenheit verursacht einigen Wirbel und bricht die Trübsal des Lebens des Ehepaars im heruntergekommen Hof auf. Die alte Liebe zwischen dem Gast und der Hausherrin flackert wieder auf, doch letztendlich entschließt sich der Besucher, wieder zu gehen, und es ist, als ob nichts die Friedlichkeit des Städtchens gestört hätte. Der untertreibende, emotionslose Stil des Films imitiert die inneren Konflikte jeder seiner Figuren durch feine Veränderungen in ihrem Ausdruck, Benehmen und Blick.

Die emotionale Erschütterung dieser fünf Tage gibt einen tiefen Einblick in den Umgang der Figuren mit ihren Gefühlen. In dieser Hinsicht gab es weiten Raum für Tian Zhuangzhuang, die Figuren auszuloten. Tian war in erster Linie an den unentwirrbar miteinander verstrickten Beziehungen zwischen den drei Hauptfiguren interessiert. Der Konflikt zwischen Verstand und Gefühl, den sie alle durchmachen, wird verstärkt durch die Sitten der 40er Jahre, welche den Ausdruck von Emotionen verbieten, von eindeutigen Handlungen ganz zu schweigen.

Die ursprüngliche Fassung des Films handelt nicht von Liebe. Ihre Absicht ist, die menschliche Psychologie jener Zeit zu sezieren, insbesondere diejenige der Intellektuellen. Da keine der Figuren imstande ist, ihre Qualen, ihre innere Unruhe und ihre Bedrücktheit auszudrücken, steigern sich diese Gefühle zu einem emotionalen Strudel. Das gezeichnete Bild spielt somit auf die Zukunftsängste der chinesischen Intellektuellen jener Zeit an.

Die neue Version von Spring in a Small Town verschiebt, im Kontext eines Zeitalters, das durch Vorwärtsdrang und materielles Verlangen geprägt ist, den Schwerpunkt auf Moral und Ethik. Doch Tian scheint von seinem Publikum keine Hochschätzung für einen Film zu erwarten, der ein Gleichgewicht zwischen Ethik und menschlicher Lust sucht. Er scheint die Menschen von heute als mehr oder weniger orientierungslos zu sehen, unfähig, sich angemessen einzuschätzen. Sein Wunsch ist es, dass das Publikum eine Erzählung von vor 50 Jahren wohlwollend und mit guter Laune aufnimmt. Das war sein Zugang während der Dreharbeiten. Im Geiste von „je reiner das Motiv, desto besser der Film“ war Tian während eines Monats komplett in die Filmarbeit vertieft. Er bemerkte dazu: „Du darfst nie in Eile sein, wenn du einen Film drehst. Um es in vollen Zügen zu genießen, musst du Geduld haben.“

Mit der Neuverfilmung von Spring in a Small Town verfolgte Tian, mit seinen eigenen Worten, „keinerlei kommerzielle Absichten.“ Es ging ihm darum, Fei Mu und der Kunstform Film seine Hochachtung zu bezeigen. Hochachtung und Studien sind jedoch die persönlichen Angelegenheiten des Regisseurs und betreffen die Zuschauer wenig, welche mit der Hoffnung ins Kino gehen, etwas Neues und Belebendes zu sehen. Tians Version hat in der Tat einige Neuerungen aufzuweisen.

Die Neuverfilmung ließ die Ich-Erzählstimme der Hauptdarstellerin fallen und flicht diese Ebene stattdessen in die Handlung und das Schauspiel der Figuren ein. Erzählt wird vom Standpunkt eines außenstehenden Beobachters anstatt einer Frau. Wenige Filme haben diesen Blickwinkel eingenommen. Unter den Regisseuren der Fünften Generation beherrscht Chen Kaige den „Makrokultur“-Ansatz am besten, während Zhang Yimou als Spezialist für „Pseudo-Folklore“ bezeichnet wurde. Filmemacher der Sechsten Generation dagegen wird nachgesagt, von einem „individuellen“ Blickwinkel aus zu drehen. In Tians Version von Spring in a Small Town ist das Verhalten der Figuren geprägt durch Nonchalance, zurückgehaltene Leidenschaft, Melancholie und Hilflosigkeit, aber sie versuchen nicht zu ergründen oder zu hinterfragen. Hier zeigt sich ein gewisser Fatalismus der chinesischen Gelehrten.

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