Die
Qinghai-Tibet-Eisenbahnlinie: Ein Wunder der Ingenieurskunst
Von
Zhang Hua


Als die Bahnarbeiter auf dem Qinghai-Tibet-Plateau
ankamen, waren sie tief beeindruckt von der Erhabenheit seiner
Schneelandschaft. Von der Außenwelt abgeschnitten, ist
alles auf dem Hochland – die schneebedeckten Berge, das Grasland,
die Lamas, die Gebetsbanner, der Potala-Palast und die Tibeter,
die auf 4000 m oder höher leben – von einer geheimnisvollen
Aura umgeben.
Doch so schön es sein mag, Tibet hinkt
anderen Gebieten in China hinterher. Ungenügende Transportmöglichkeiten
behindern seine wirtschaftliche Entwicklung, denn der Landweg
ist weit und mühselig, und der Luftweg teuer. Das ist, in
einem gewissen Ausmaß, dem harten Klima und der Geographie
des Plateaus zuzuschreiben, aber es ist offensichtlich, dass
Tibet, falls es sich entwickeln und den Rückstand zum Resten
von China überwinden soll, eine Bahnlinie braucht.
Ausgehend
von diesen Überlegungen lud das Eisenbahnministerium
Experten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, des
Staatlichen Büros für Erdbebenkunde, des Verkehrsministeriums
und der Chinesischen Akademie der Geologie ein, um die Machbarkeit
einer Qinghai-Tibet-Eisenbahnlinie zu erörtern. Im Jahr
2000 legte Fu Zhenhuan, der Eisenbahnminister, den Bericht
der Expertenrunde Staatspräsidenten Jiang Zemin vor.
Dieser gab grünes Licht für das Projekt und betonte seine
Bedeutung für die Entwicklung Tibets und dessen bessere Anbindung
an das Landesinnere, sowohl in wirtschaftlicher wie auch in
kultureller Hinsicht.
Am 29. Juni 2001 begannen in Golmud, Provinz
Qinghai, die Bauarbeiten an der Qinghai-Tibet-Eisenbahnlinie.
Die Bahnlinie wird das Hoh-Xil-Ödland durchqueren, über
den Kunlun-Pass (4767 m) in das Nördliche Tibetplateau
und schließlich nach Lhasa führen. Von der Gesamtstrecke
von 1142 km liegen mehr als 960 km auf über 4000 m ü. M.,
und 560 km müssen auf Permafrostboden gebaut werden. Die Haltestelle
Tanggula-Berg wird der höchstgelegene Bahnhof der Welt
sein. Sechs Jahre werden die Bauarbeiten in Anspruch nehmen,
bei Kosten von 26,2 Mrd. Yuan. Nach der Fertigstellung der
Bahnlinie wird man Lhasa von Beijing aus in 48 Stunden erreichen
können. Dazu müssen aber zuerst beispiellose Schwierigkeiten
überwunden werden, sowohl hinsichtlich des Geländes als
auch des Umweltschutzes.
Die verborgene
Gefahr gefrorener Erde
Die
Ingenieure wägten zwischen vier möglichen Streckenführungen
für eine Bahnverbindung nach Tibet ab: Qinghai-Tibet, Sichuan-Tibet,
Yunnan-Tibet und Xinjiang-Tibet. Sie entschieden sich für
die Qinghai-Variante, weil sie, abgesehen vom Permafrostboden,
die sicherste Streckenführung in Bezug auf Lawinen, Wüste
und Sumpfgebiete darstellt. Aber auch so ist sie ein Projekt,
das hinsichtlich des Planungsaufwands, der Projektdauer und
der Transportkapazität alle bisherigen übertrifft.
Nur wenige Eisenbahnlinien wurden bisher
auf Permafrostböden verlegt. Die erste war, vor einem
Jahrhundert, die Transsibirische Eisenbahn, später errichteten
auch Kanada und die USA Eisenbahnverbindungen mit einer Gesamtlänge
von 20 000 km in ähnlichen Gebieten. Doch diese Linien
liegen alle in hohen Breitengraden, wo die gefrorene Erde
stabil ist. Die Qinghai-Tibet-Eisenbahn dagegen führt durch
ein Gebiet in tiefen Breitengraden, wo der gefrorene Boden
aufgrund starker Sonneneinstrahlung und einer relativ hohen
Erdtemperatur instabil ist. So bringt diese Bahnstrecke Herausforderungen
mit sich, denen sich keines der anderen Ländern gegenübersah.
Zhang Luxin ist mit den Problemen bestens
vertraut. Er führt eine Gruppe von Spezialisten an, die sich
mit den Konstruktionsbedingungen auf dem gefrorenen Boden
beschäftigt, und ist selber während vier Jahren
den 560 km langen Permafrostabschnitt abgeschritten. Gemäß
Zhang besteht der Boden in diesem Gebiet im Wesentlichen aus
drei Schichten: An der Oberfläche liegt die Auftauschicht,
die, wie ihr Name sagt, im Sommer auftaut, darunter, in einer
Tiefe von 3–5 Metern, befindet sich eine Schicht gefrorener
Erde, und zuunterst ist erst die eigentliche Permafrostschicht,
wo die Temperatur immer unter dem Gefrierpunkt bleibt. Wo
die gefrorene Erde auf die oberste Schicht trifft, ist ihr
Eisgehalt relativ hoch – an gewissen Stellen findet man gar
reines Eis –, so dass sie gegenüber Temperaturschwankungen
in der Oberflächenschicht empfindlich ist. Dies macht
deutlich, dass die Auftauschicht für den Schutz der gefrorenen
Erde, in die das Fundament für die Bahnstrecke zu liegen kommt,
außerordentlich wichtig ist.
„Die
Auftauschicht liegt wie eine Decke auf der gefrorenen Erde“,
erklärt Zhang Luxin. „Sie verhindert, dass heiße
Luft von der Erdoberfläche bis zur gefrorenen Erde vordringt
und diese dadurch auftaut und in sich zusammensinkt. Der Kern
des Problems liegt darin, die Stabilität der gefrorenen
Erde zu gewährleisten. Der Schutz der Auftauschicht ist,
in einem gewissen Sinn, auch ein Mittel, um die gefrorene
Erde zu bewahren.“
Beim Bau der Bahntrasse geht es im Wesentlichen
darum, die Wärmezufuhr zur gefrorenen Erde so gut wie
möglich einzudämmen. Dazu werden verschiedene Trasse-Arten
eingesetzt, die weiteste Verwendung findet jedoch die Steinplattentrasse,
eine Erfindung von Zhang Luxin. Steinplatten werden zu einer
einen Meter mächtigen Schicht aufgestapelt und mit Erde
zugeschüttet. Doch warum Steinplatten statt Schotter? Gemäß
Zhang führen die Steinplatten die Wärme besser ab als
Schotter, und die meterdicke Schicht isoliert die Schienen
gut von der gefrorenen Erde. In der warmen Jahreszeit verliert
sich die Wärme in den Ritzen und Spalten zwischen den
Platten, und in den kalten Monaten beschleunigen die Hohlräume
die Zufuhr von kalter Luft zur Schicht gefrorener Erde, wodurch
sie besser geschützt wird. Diese Erfindung ist ein gewichtiger
chinesischer Beitrag zur Kryopedologie (der Lehre des Frostbodens
und seiner Erscheinungsformen).
Schutz der Hochland-Fauna
Auf dem unbesiedelten Hoh-Xil-Hochland,
durch das die Qinghai-Tibet-Bahnlinie führt, siedelt eine
einmalige Flora und viele bedrohte Tierarten, darunter die
Tibetische Antilope. Der Bau der Eisenbahn wird unweigerlich
ihren Lebensraum beeinträchtigen, doch Wissenschaftler
haben versucht, diese negativen Auswirkungen so weit wie möglich
zu mindern. Gemäß Ran Li vom Eisenbahnministerium,
dem leitenden Ingenieur bei der Planung des Projekts, sind
hunderte Millionen Yuan für Umweltschutzmaßnahmen beim
Bau der Eisenbahnstrecke vorgesehen – eine Neuheit in der
Geschichte des chinesischen Eisenbahnbaus. Am Wudaoliang-Becken,
einem wichtigen Treffpunkt für verschiedene Tiere während
der Paarungszeit, wurde eine brückenähnliche Unterführung
gebaut und mit Dung bestreut, um die Wildtiere dazu zu ermuntern,
sie auch zu benützen. Den Zügen wird in Zukunft verboten sein,
in dieser Gegend das Signalhorn zu benützen.
Eine
Belastung für die Umwelt stellen auch die 20 000 Arbeiter
dar. Sie produzieren täglich fünf Tonnen Abfall. In sechs
Jahren werden so 7000 Tonnen zusammenkommen. Auf den Baustellen
wird Mülltrennung durchgeführt: Abbaubarer Abfall, der keine
Gefahr für das Grundwasser darstellt, wird an Ort und Stelle
vergraben, während das Abwasser zur Verdunstung über
das Umland versprengt wird.
Das Müll- und Abwasserproblem stellt sich
auch für die Zeit, wenn die Züge über die Schienen rollen
werden. Ein Zug kann über 1000 Passagiere transportieren,
und für die Beseitigung des Mülls entlang der Bahnlinie wird
man eine Lösung finden müssen. Gemäß Experten
werden die neuen Waggons geschlossen und das Wegwerfen von
Müll entlang der Strecke verboten sein. Das Abwasser wird
zur Säuberung nach Lhasa oder Golmud gebracht werden.
Was die Ökologie Tibets angeht, vertreten
einige die Ansicht, dass sie von der neuen Bahnverbindung
weniger Schaden erleiden als langfristig profitieren wird,
und zwar deshalb, weil es Tibet an Kohle mangelt – die Vorkommen
erreichen gerade 6 kg pro Kopf. Die Transportkosten für Kohle
nach Tibet sind enorm. Wegen des hohen Kohlepreises greifen
die Leute in Landwirtschafts- und Weidegebieten zu Holz und
Viehdung als Brennmaterial. Dies führte in Nordtibet, auf
den Hängen am Rand der Hochebene, zur Abholzung von Kiefern,
die Jahrzehnte brauchen, um zu wachsen. Der Holzschlag beschädigt
die ohnehin schon empfindliche Umwelt. Mit der Fertigstellung
der Qinghai-Tibet-Eisenbahn jedoch werden Kohle und Erdöl
per Zug nach Tibet transportiert werden können, was sich
positiv auf die Struktur des Energiehaushalts des Autonomen
Gebiets auswirken und der Abholzung ein Ende setzen wird.
Die Vorteile
der Eisenbahnlinie
Losang Gyaincain, der Bürgermeister von
Lhasa, sieht mit der Eisenbahn ein neues Zeitalter aufkommen:
„Die Qinghai-Tibet-Straße beendete die völlige
Isolation Tibets, und der Bau der Qinghai-Tibet-Bahnlinie
wird Tibet in die moderne Zivilisation katapultieren. Das
alte Sprichwort ‚Es ist einfacher, ins Ausland zu gehen, als
Tibet zu erreichen‘, wird endgültig der Vergangenheit angehören.“
Auch Zhang Wansheng, der Direktor der Tourismusbehörde
des Autonomen Gebiets Tibet, konnte seine Aufregung über die
neue Bahnverbindung nicht verbergen. Sie werde eine neue Route
für Reisen in Tibet eröffnen, das schon jetzt zu den
beliebtesten Reisezielen der Welt gehöre. Zur Zeit sei
das wichtigste Verkehrsmittel für die Reise nach und aus Tibet
das Flugzeug, das jedoch viel koste und dessen Kapazität
beschränkt sei. Der Transport mit der Eisenbahn wird
um einiges billiger sein, und die Passagiere können unterwegs
die Landschaft genießen, während sie sich langsam
an das Hochlandklima und die Höhe anpassen. Es steht
außer Zweifel, dass die Bahnlinie der tibetischen Tourismusindustrie
bedeutende Vorteile bringen wird.
Experten weisen darauf hin, dass der Eisenbahn
eine historische Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung
in Tibet zukommt. Es wird die Verflechtung der Wirtschaft
auf dem tibetischen Plateau mit der der inneren Provinzen
beschleunigen und tibetischen Produkten Zugang zu Märkten
im In- und Ausland verschaffen. Die tibetische Bergbauindustrie,
die Gesundheitsgetränke, Medizin, Agrar- und Viehzuchtprodukte
und ethnisches Handwerk aus Tibet werden alle von der Qinghai-Tibet-Eisenbahn
profitieren.
Die Bahnlinie wird aber auch zur Entwicklung
des Qaidam-Beckens in der Provinz Qinghai beitragen. Sie hat
bereits die Verwirklichung größerer und mittlerer
Projekte ausgelöst, u. a. der Pottasche-Düngerfabrik
Qinghai, der Blei- und Zinkmine Xitieshan, des Aluminiumwerks
Qinghai, des Ölfelds Qinghai, der Raffinerie Golmud,
der Asbestmine Mangya und der Wasserkraftwerke Longyangxia
und Lijiaxia. Da über 85% der für Tibet bestimmten Güter über
Golmud transportiert werden, wird die Qinghai-Tibet-Eisenbahn
die Transportkapazitäten der beiden Gebiete bedeutend
steigern und das Investitionsumfeld verbessern.

