„…
und abends treffen wir uns im Park“
Von Wolfgang
Schaub

Mein Lieblingspark in Beijing hat zwar nur
die Größe eines halben Fußballfeldes, aber
er besitzt alles, was einen chinesischen Park auszeichnet: einen
Pavillon, eine Anhöhe, Bäume, Wasser, seltsam geformte
Steine – und Menschen. Viele Menschen. Interessante Menschen.
Dominieren in deutschen Parks gepflegte Grünanlagen,
Blumen und gähnende Langeweile, so kann man hier einen
Blick ins bunte chinesische Menschenleben werfen.
Der kleine Nachbarschaftspark hinter dem Yanshan-Hotel
im Beijinger Distrikt Haidian liegt in der Nähe eines Hochhauswohnviertels
und ist ein Treffpunkt für Jung und Alt. Wer es nicht schafft,
morgens um 6 Uhr die Frühaufsteher (und deren gibt es viele
in China) bei Morgengymnastik und Taijiquan zu beobachten, der
kann dies abends nachholen, wenn an die 20 älteren Frauen
(Männer werden nur selten gesichtet) zu den Anweisungen
einer Vorturnerin Übungen durchführen, die die Blutzirkulation
anregen und den Bewegungsapparat gelenkig halten. Außer
Puste scheint niemand zu kommen.
Eine bewundernswerte Konzentration legen die
vereinzelten Taiji-Übenden an den Tag, respektive Abend.
Ihre langsam fließenden Bewegungen schwimmen gleichsam
in einem Meer von Spaziergängern, deren Respekt so groß
zu sein scheint, dass es trotz der chinesischen Neigung zum
geraden Weg zwischen zwei Punkten zu keinen Remplern kommt.
Weniger ernst geht es in einer anderen Ecke des Parks zu: Junge
Leute spielen Badminton, es wird viel gelacht und gescherzt.
Da erklingt plötzlich Musik. Ein älterer
Mann in dunkelblauer Arbeitskleidung, die früher zum Begriff
„blaue Ameisen“ führte, heute aber fast vollständig aus
dem Straßenbild verschwunden ist, greift in die Tasten
seines Akkordeons, schnell finden sich Sänger, die – so
hört es sich zumindest an – revolutionäre Weisen zum
Besten geben. Dies scheint aber die Gruppe dahinter nicht zu
stören, die in eine Partie (chinesisches) Schach vertieft
ist, wobei wie überall auf der Welt die Kiebitze bessere Züge
als die Spieler sehen und zum Beweis die runden Holzscheiben
schon mal heftig auf dem Steintisch herumgeschoben werden.
Die kreisrunde Fläche im Zentrum des
Parks ist noch schwach bevölkert. Nur eine einsame Tänzerin
dreht sich zu imaginären Walzerklängen. Doch bald
wird es auch hier eng werden. Ein in die Jahre gekommenes Transistorradio
wird die ernst und konzentriert dreinblickenden Tanzpaare mit
etwas blechern klingender westlicher Tanzmusik versorgen.
Ob das den Lehrer stört, der seiner jungen
Schülerin in die Geheimnisse der Erhu (zweisaitige chinesische
Geige) einweiht? Wohl nicht, denn erstens ist keine räumliche
Alternative vorhanden und zweitens: Ist nicht vieles eine Sache
der Konzentrationsfähigkeit?
Überall tummeln sich Kinder. Es wird
ihnen überraschend viel Freiheit gegeben, ihre Entdeckungen
zu machen. Die aufmerksam beobachtenden Eltern bleiben mehr
oder weniger im Hintergrund. Sie stehen den Kleinen aber dann
als Zuflucht zur Verfügung, wenn diese sich zum Beispiel neugierig
und vorsichtig dem Ausländer mit seinem doch arg dreidimensionalen
Gesicht nähern und mein Bart ihnen seltsam genug erscheint,
um mich schnell zum Großvater zu erklären und ein
Rückzug angeraten scheint.
Es passiert nicht selten, dass ich angesprochen
werde. Manchmal sind es pensionierte Ingenieure, die ihr Englisch
auffrischen wollen und auch schon mal zu Studienzwecken in der
Bundesrepublik waren. Oder ich werde von einem, wie er mir stolz
erklärt, 84-jährigen rüstigen Rentner angesprochen,
der seine Peking-Opernarie kurz unterbricht, federnd auf mich
zu tigert, kräftig und herzlich meine Hände schüttelt,
wobei er breit lächelt und sein einziger gelber Schneidezahn
zum Vorschein kommt, und dann ein paar Kungfu-Bewegungen hinlegt,
zu denen meine nur halb so alten Gelenke nicht mehr in der Lage
wären. Ein erneuter Händedruck und er wendet sich
wieder seinem Ensemble zu, während ich mich weiter am bunten
Treiben im Park erfreue.
Da ist zum Beispiel der hochkonzentrierte
junge Mann, der seine Lebensenergie mit daoistischen Übungen
auflädt. Oder die lautstarken Kartenspieler. Oder die strickenden
und plaudernden Großmütter, die ab und zu einen liebevollen
Blick auf die Enkelchen werfen, die mit Opa einen bunten Drachen
steigen lassen oder ihn erfolgreich vom Reiz eines Gameboy überzeugen.
Oder oder oder. In einem chinesischen Park
ist immer etwas los. Hier sind Menschen, hier ist Leben. Ich
bin gerne hier.