Das
öffentliche Hearing in China
Von Qiao
Tianbi
Am 12. Januar 2002 fand Chinas erstes öffentliches
Hearing auf der Landesebene in Beijing statt. Dieses von der
Staatlichen Entwicklungs- und Planungskommission eingeleitete
Hearing behandelte das Konzept der von der Regierung festgesetzten
Eisenbahnfahrpreise, genauer gesagt, um die Erhöhung der
Fahrpreise in der Hochsaison.
Die
Eisenbahn ist das wichtigste Fernverkehrsmittel der Chinesen.
Obwohl China hinsichtlich der gesamten Länge der Eisenbahnstrecken
an der Weltspitze steht, verfügen Chinesen pro Kopf jedoch nur
über ein winziges, einer Zigarettenlänge vergleichbares
Stück Eisenbahn. Mit der Entwicklung der Wirtschaft, besonders
mit der Zunahme der Zahl der Wanderarbeiter in den Städten,
wurden immer neue Forderungen an den Eisenbahnverkehr gestellt.
Vor dem Frühlingsfest, dem wichtigsten Familienfest der Chinesen,
kehren die Wanderarbeiter in ihre Heimatdörfer zurück.
In dieser Zeit haben die Studenten Winterferien, sie wollen
auch in ihre Heimat zurück. In dieser „Chunyun“ (Frühlingstransport)
genannten Hochsaison werden von den chinesischen Eisenbahnen
jährlich rund 100 Millionen Menschen befördert. Alle
Züge auf den Hauptbahnlinien sind voll ausgebucht. In
Fluren und sogar auf Toiletten sitzen Passagiere. Am 24. Januar
1998 blieben beispielsweise noch 300 000 Passagiere am Hauptbahnhof
Guangzhou zurück.
Angesichts dieser Situation erhöhte die
Eisenbahnbehörde in den letzten Jahren die Fahrpreise in
der Hochsaison mit dem Ziel, einen Teil der Passagiere durch
die Hebelwirkung der Preise in die Nachsaison zu verschieben.
Dieses Vorgehen stieß allerdings auf die allgemeine Empörung
der Konsumenten. 2001 verlangten Qiao Zhanxiang, Anwalt aus
der Provinz Hebei, und Yang Lirong, Angestellter der Eisenbahnbehörde
Sichuan, vom Ministerium für Eisenbahnwesen, die zweite Lesung
über die Preiserhöhung für den „Frühlingstransport“ zu
veranstalten. Der Chinesische Verbraucherverband sandte auch
einen Brief an das Ministerium, in dem gefragt wurde, ob diese
Preiserhöhung rechtmäßig und vernünftig sei.
Im „Preisgesetz der Volksrepublik China“, das am 1. Mai 1998
in Kraft trat, steht geschrieben: „Bei der Ausarbeitung der
Konzeption der von der Regierung angewiesenen oder bestimmten
Preise für öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen
sowie monopolistische Unternehmen soll ein Hearingsystem eingeführt
werden. Beim öffentlichen Hearing haben die zuständigen
Behörden den Vorsitz und hören die Meinungen der Verbraucher
und Geschäftsführer, Fachleute und Sachverständigen
an und lassen die Notwendigkeit und Durchführbarkeit der ausgearbeiteten
Konzeption diskutieren.“ Im August 2001 erließ die Staatliche
Planungskommission „Provisorische Vorschriften über die Veranstaltung
des öffentlichen Hearings bei der Festlegung der Preise
durch die Regierung“. Vor diesem Hintergrund wurde das erste
Hearing auf der Landesebene in China veranstaltet.
Die
Ergebnisse des ersten Hearings sind schon veröffentlicht.
Der Umfang und das Ausmaß der Preiserhöhung zeigten
deutlich, dass die Menschen mit weniger Einkommen dabei besonders
berücksichtigt wurden. Die Fahrpreise für sitzende Passagiere
wurden beispielsweise weniger erhöht. Obwohl das öffentliche
Hearing abgeschlossen ist, gilt es aber immer noch als ein interessantes
Gesprächsthema, denn es bringt Chinesen einen ganz neuen
Begriff. Im neuen Jahr werden mehrere Hearings stattfinden.
Die Bevölkerung will stärker an Entscheidungen der
Politik und Richtlinien durch die Regierung teilnehmen.
Neue Erfahrungen für Chinesen
An
diesem Hearing über die Eisenbahnfahrpreise nahmen 33 Vertreter
teil, darunter zwölf Verbraucher, sieben Geschäftsführer
und 14 speziell eingeladene Abgeordnete des Nationalen Volkskongresses,
des Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz, Experten
oder Gelehrte.
Zwölf Verbraucher wurden vom Chinesischen
Verband der Verbraucher empfohlen. Im Anmeldezeitraum erhielt
der Verbraucherverband aus dem ganzen Land insgesamt 560 Anträge.
Unter den Bewerbern war der älteste 72 und der jüngste
17 Jahre alt. Mehr als die Hälfte waren Intellektuelle.
Die Vertreter der Verbraucher kamen aus verschiedenen Gesellschaftskreisen
wie Arbeitern, Lehrern, Beamten, den demokratischen Parteien,
nationalen Minderheiten und den Angestellten des Verbraucherverbandes.
Die
drei Vertreter der Wanderarbeiter fielen besonders auf, denn
die Wanderarbeiter waren die größte Gruppe, die am
meisten von der Preiserhöhung betroffen, und deshalb als
eine schwache Gruppe betrachtet wurde. Sie kommen vom Lande,
arbeiten in der Stadt, genießen aber fast keine Rechte
der Stadtbewohner. Durch die Teilnahme am öffentlichen
Hearing wurden sie wie Stadtbewohner behandelt und brachten
ihre Interesse in die Preisentscheidung durch die Regierung
ein. Die breite Schicht der Wanderarbeiter schenkte den drei
Vertretern großes Vertrauen. Xiao Xiaosong zum Beispiel,
der jüngste unter den drei Vertretern, nahm zuvor schon an einem
diesbezüglichen Hearing in der Provinz Guangdong teil. In der
Stadt Fuoshan der Provinz Guangdong arbeitete er schon drei
Jahre in einer Fabrik, in der über 90% der 9000 Arbeiter vom
Lande kamen. Für dieses Hearing hörte er bei 200 Arbeitern
seiner Fabrik an und machte eine Untersuchung am Hauptbahnhof
Guangzhou. Auf dem Hearing äußerte er seine Meinung
dahingehend, dass die Preiserhöhung für die armen Wanderarbeiter
bedeutete, dass sie vom Regen in die Traufe kämen.
Xia
Jiangen, ein anderer Vertreter der Verbraucher aus Shanghai,
meinte, dass der Staat durch dieses Hearing den Bürgern eine
faire Gelegenheit bot, ihre Meinungen offen darzulegen. Wie
alle anderen Vertreter der Verbraucher hatte er den tiefen Eindruck,
dass er respektiert wurde.
Beim System der Planwirtschaft wurden die
Preise der Waren und Dienstleistungen hauptsächlich von
der Regierung bestimmt und angeleitet. Die Verbraucher beteiligten
sich als die größte Interessentengruppe fast nicht
an der Entscheidung. Mit der Einführung des Systems der freien
Konkurrenz werden die Preise durch das Wechselspiel von Angebot
und Nachfrage bestimmt und reguliert. Für manche öffentliche
Einrichtungen, die mit Sondergenehmigung der Regierung gegründeten
Unternehmen in den Branchen Elektrizität, Eisenbahn-, Luftverkehrs-
und Telekommunikationswesen, können sich die Preise nicht
durch Konkurrenzkämpfe auf dem Markt spontan vernünftig
einpendeln. Ihre Preise werden normalerweise von der Regierung
entschieden. Im Oktober 2001 gab die Staatliche Planungskommission
eine „Namenliste des öffentlichen Hearings zum Thema Preise“
bekannt, in der die Preise der Waren und Dienstleistungen in
vier Kategorien, einschließlich der Preise für Strom,
Eisenbahn- und Luftverkehr, aufgelistet sind. Bei der Entscheidung
und Änderung eines dieser Preise soll die Staatliche Planungskommission
ein öffentliches Hearing veranstalten.
Früher
gab es in China kein „Gesetz zum Schutz der Rechte und Interessen
der Verbraucher“. Mit der Veröffentlichung dieses Gesetzes
können die chinesischen Verbraucher durch verschiedene
Wege und Kanäle ihre legitimen Rechte und Interesse aufrechterhalten.
Das öffentliche Hearing bietet ihnen die neue Möglichkeit,
ihre Rechte und Interesse während der Preisentscheidung
einzubringen. Von 33 Vertretern sagten 17 bei diesem öffentlichen
Hearing „nein“, so dass das Ministerium für Eisenbahnwesen ihr
Konzept für die Preiserhöhung modifizieren musste.
Mängel und Enttäuschungen
Verschiedene Gesellschaftskreise schenkten
dem ersten Hearing auf der Landesebene große Aufmerksamkeit.
Übermäßige Hoffnungen und Mängel bei diesem
Hearing brachten unter der Bevölkerung einige Enttäuschungen
hervor. Manche Experten stellten sogar das ganze Hearing-Verfahren
in Zweifel. Das Hearing fand zum Beispiel kurz vor dem „Frühlingstransport“
statt, so dass die Vertreter nicht genügend Zeit hatten, Untersuchungen
anzustellen und das Konzept des Ministeriums zu studieren. Qi
Hong, ein Vertreter der Verbraucher aus der Provinz Sichuan,
behauptete, dass er nicht wusste, wie er zum Vertreter ausgewählt
wurde. Außerdem gab die Staatliche Planungskommission
erst einen Tag vor dem Beginn des Hearings die Namenliste der
Vertreter bekannt und veröffentlichte auch erst am Eröffnungstag
des Hearings die betreffenden Informationsmaterialien. Und die
Live-Übertragung des Chinesischen Zentralen Fernsehens
verpasste die interessanten Debatten beim Hearing. Manche Leute
zweifelten deshalb noch an der Wirkung dieses Hearings.
Dr.
Liu Hanhua aus der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften,
der sich mit dem öffentlichen Hearing beschäftigt,
war der Auffassung, dass die Vertreter der Verbraucher gegenüber
den Vertretern der Geschäftsführer auf diesem Hearing benachteiligt
waren, denn sie konnten nur sich selbst, aber nicht ihre repräsentativen
Gesellschaftsschichten vertreten. Das stimmt. Das Konzept der
Eisenbahnbehörde zum Beispiel war ein 153-seitiges Dokument
mit 10 Anlagen. Es war für die Vertreter schwer, in kurzer Zeit
dieses Dokument gründlich zu studieren. Deshalb mussten sich
die Vertreter der Verbraucher auf dem Hearing nur auf moralische,
gerechte und menschliche Argumente beschränken und konnten
nur vereinzelt an Hand der Beispiele aus dem Eisenbahnverkehr
oder mit den vom Ministerium für Eisenbahnwesen angebotenen
Informationen ihre Ansichten begründen.
Wie Wang Yang, stellvertretender Vorsitzender
der Staatlichen Planungskommission, sagte, war dieses erste
öffentliche Hearing zum Thema Preise in China noch ein
Novum. Trotz verschiedener Mängel wurden jedoch die Hartsitz-Fahrpreise
um 5% weniger angehoben als ursprünglich geplant. Das sei auch
eine Wirkung des Hearings und ein Sieg der Verbraucher.
Gute Aussichten
Das
öffentliche Hearing ist ein wirksamer Weg zur Demokratie.
Mit der Einführung des öffentlichen Hearings ins chinesische
Gesellschaftsleben machte China einen wichtigen Schritt auf
dem Weg zur Demokratie. Gemäß dem WTO-Prinzip über
die Transparenz soll eine Politik von ihrer Ausarbeitung bis
zu ihrer Umsetzung offen von den Massen kommentiert werden.
Vor der Ausarbeitung einer Politik soll die Regierung eine Meinungsumfrage
durchgeführt, wobei sie Möglichkeiten bieten soll, Verhandlungen
zwischen verschiedenen Interessentengruppen abzuhalten oder
Hearingverfahren einzuleiten.
Das
öffentliche Hearing wird auch zu einem wirksamen Mittel
der Chinesen für die Äußerung ihrer Meinungen. Im
1995 veröffentlichten „Gesetz der administrativen Strafe“
ist nachzulesen, dass man bei der betreffenden Behörde
einen Anspruch erheben kann, ein öffentliches Hearing zu
organisieren, wenn man der Rechtsmäßigkeit einer
Verwaltungsmaßnahme zur Einstellung der Produktion oder
Stillegung des Betriebs, Aberkennung der Genehmigung oder Lizenz
oder an der Höhe einer Geldstrafe zweifelt. Während
der Ausarbeitung eines Gesetzes haben die Massen als Betroffene
auch das Recht, am öffentlichen Hearing teilzunehmen. Das
Oberste Volksgericht wird das Hearingverfahren in die Verhandlung
der Entschädigungsfälle des Staates einführen. Der
Beteiligte hat auch das Recht, die betreffenden Beweismaterialien
nachzulesen, zu kopieren und den Gegenbeweis aufzustellen. Er
kann in seinem Antrag das Gericht bitten, seinen Gegenbeweis
zu untersuchen.
Das
öffentliche Hearing wird damit zu einem wichtigen Mittel
zur Lösung der inländischen und internationalen wirtschaftlichen
Streitigkeiten. Seit der Veröffentlichung der „Vorschriften
über Anti-Dumping und –Subvention“ im März 1997 hat die
Staatliche Wirtschafts- und Handelskommission schon zwölf
Einsprüche über Anti-Dumping behandelt, wobei das Hearingverfahren
unentbehrlich ist. Schon am 22. Januar 2002 fand das erste Hearing
zum Thema Anti-Dumping nach dem Beitritt Chinas zur WTO statt,
das war auch das erste öffentliche Hearing nach dem Inkrafttreten
der „Vorschriften der Volksrepublik China über das Anti-Dumping“.
Mit der Einführung des Hearingsystems ins
chinesischen Gesellschaftsleben stellt die Regierung ihre Politikentscheidung
unter die Kontrolle der Öffentlichkeit, was die Grundsätze
der Gerechtigkeit und der Effizienz verkörpert und gleichzeitig
auch eine wissenschaftliche Preisentscheidung durch die Regierung
garantiert.