April 2002
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Das öffentliche Hearing in China

Von Qiao Tianbi

Am 12. Januar 2002 fand Chinas erstes öffentliches Hearing auf der Landesebene in Beijing statt. Dieses von der Staatlichen Entwicklungs- und Planungskommission eingeleitete Hearing behandelte das Konzept der von der Regierung festgesetzten Eisenbahnfahrpreise, genauer gesagt, um die Erhöhung der Fahrpreise in der Hochsaison.

Die Eisenbahn ist das wichtigste Fernverkehrsmittel der Chinesen. Obwohl China hinsichtlich der gesamten Länge der Eisenbahnstrecken an der Weltspitze steht, verfügen Chinesen pro Kopf jedoch nur über ein winziges, einer Zigarettenlänge vergleichbares Stück Eisenbahn. Mit der Entwicklung der Wirtschaft, besonders mit der Zunahme der Zahl der Wanderarbeiter in den Städten, wurden immer neue Forderungen an den Eisenbahnverkehr gestellt. Vor dem Frühlingsfest, dem wichtigsten Familienfest der Chinesen, kehren die Wanderarbeiter in ihre Heimatdörfer zurück. In dieser Zeit haben die Studenten Winterferien, sie wollen auch in ihre Heimat zurück. In dieser „Chunyun“ (Frühlingstransport) genannten Hochsaison werden von den chinesischen Eisenbahnen jährlich rund 100 Millionen Menschen befördert. Alle Züge auf den Hauptbahnlinien sind  voll ausgebucht. In Fluren und sogar auf Toiletten sitzen Passagiere. Am 24. Januar 1998 blieben beispielsweise noch 300 000 Passagiere am Hauptbahnhof Guangzhou zurück.

Angesichts dieser Situation erhöhte die Eisenbahnbehörde in den letzten Jahren die Fahrpreise in der Hochsaison mit dem Ziel, einen Teil der Passagiere durch die Hebelwirkung der Preise in die Nachsaison zu verschieben. Dieses Vorgehen stieß allerdings auf die allgemeine Empörung der Konsumenten. 2001 verlangten Qiao Zhanxiang, Anwalt aus der Provinz Hebei, und Yang Lirong, Angestellter der Eisenbahnbehörde Sichuan, vom Ministerium für Eisenbahnwesen, die zweite Lesung über die Preiserhöhung für den „Frühlingstransport“ zu veranstalten. Der Chinesische Verbraucherverband sandte auch einen Brief an das Ministerium, in dem gefragt wurde, ob diese Preiserhöhung rechtmäßig und vernünftig sei. Im „Preisgesetz der Volksrepublik China“, das am 1. Mai 1998 in Kraft trat, steht geschrieben: „Bei der Ausarbeitung der Konzeption der von der Regierung angewiesenen oder bestimmten Preise für öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen sowie monopolistische Unternehmen soll ein Hearingsystem eingeführt werden. Beim öffentlichen Hearing haben die zuständigen Behörden den Vorsitz und hören die Meinungen der Verbraucher und Geschäftsführer, Fachleute und Sachverständigen an und lassen die Notwendigkeit und Durchführbarkeit der ausgearbeiteten Konzeption diskutieren.“ Im August 2001 erließ die Staatliche Planungskommission „Provisorische Vorschriften über die Veranstaltung des öffentlichen Hearings bei der Festlegung der Preise durch die Regierung“. Vor diesem Hintergrund wurde das erste Hearing auf der Landesebene in China veranstaltet.

Die Ergebnisse des ersten Hearings sind schon veröffentlicht. Der Umfang und das Ausmaß der Preiserhöhung zeigten deutlich, dass die Menschen mit weniger Einkommen dabei besonders berücksichtigt wurden. Die Fahrpreise für sitzende Passagiere wurden beispielsweise weniger erhöht. Obwohl das öffentliche Hearing abgeschlossen ist, gilt es aber immer noch als ein interessantes Gesprächsthema, denn es bringt Chinesen einen ganz neuen Begriff. Im neuen Jahr werden mehrere Hearings stattfinden. Die Bevölkerung will stärker an Entscheidungen der Politik und Richtlinien durch die Regierung teilnehmen.

Neue Erfahrungen für Chinesen

An diesem Hearing über die Eisenbahnfahrpreise nahmen 33 Vertreter teil, darunter zwölf Verbraucher, sieben Geschäftsführer und 14 speziell eingeladene Abgeordnete des Nationalen Volkskongresses, des Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz, Experten oder Gelehrte.

Zwölf Verbraucher wurden vom Chinesischen Verband der Verbraucher empfohlen. Im Anmeldezeitraum erhielt der Verbraucherverband aus dem ganzen Land insgesamt 560 Anträge. Unter den Bewerbern war der älteste 72 und der jüngste 17 Jahre alt.  Mehr als die Hälfte waren Intellektuelle. Die Vertreter der Verbraucher kamen aus verschiedenen Gesellschaftskreisen wie Arbeitern, Lehrern, Beamten, den demokratischen Parteien, nationalen Minderheiten und den Angestellten des Verbraucherverbandes.

Die drei Vertreter der Wanderarbeiter fielen besonders auf, denn die Wanderarbeiter waren die größte Gruppe, die am meisten von der Preiserhöhung betroffen, und deshalb als eine schwache Gruppe betrachtet wurde. Sie kommen vom Lande, arbeiten in der Stadt, genießen aber fast keine Rechte der Stadtbewohner. Durch die Teilnahme am öffentlichen Hearing wurden sie wie Stadtbewohner behandelt und brachten ihre Interesse in die Preisentscheidung durch die Regierung ein. Die breite Schicht der Wanderarbeiter schenkte den drei Vertretern großes Vertrauen. Xiao Xiaosong zum Beispiel, der jüngste unter den drei Vertretern, nahm zuvor schon an einem diesbezüglichen Hearing in der Provinz Guangdong teil. In der Stadt Fuoshan der Provinz Guangdong arbeitete er schon drei Jahre in einer Fabrik, in der über 90% der 9000 Arbeiter vom Lande kamen. Für dieses Hearing hörte er bei 200 Arbeitern seiner Fabrik an und machte eine Untersuchung am Hauptbahnhof Guangzhou. Auf dem Hearing äußerte er seine Meinung dahingehend, dass die Preiserhöhung für die armen Wanderarbeiter bedeutete, dass sie vom Regen in die Traufe kämen.

Xia Jiangen, ein anderer Vertreter der Verbraucher aus Shanghai, meinte, dass der Staat durch dieses Hearing den Bürgern eine faire Gelegenheit bot, ihre Meinungen offen darzulegen. Wie alle anderen Vertreter der Verbraucher hatte er den tiefen Eindruck, dass er respektiert wurde.

Beim System der Planwirtschaft wurden die Preise der Waren und Dienstleistungen hauptsächlich von der Regierung bestimmt und angeleitet. Die Verbraucher beteiligten sich als die größte Interessentengruppe fast nicht an der Entscheidung. Mit der Einführung des Systems der freien Konkurrenz werden die Preise durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt und reguliert. Für manche öffentliche Einrichtungen, die mit Sondergenehmigung der Regierung gegründeten Unternehmen in den Branchen Elektrizität, Eisenbahn-, Luftverkehrs- und Telekommunikationswesen, können sich die Preise nicht durch Konkurrenzkämpfe auf dem Markt spontan vernünftig einpendeln. Ihre Preise werden normalerweise von der Regierung entschieden. Im Oktober 2001 gab die Staatliche Planungskommission eine „Namenliste des öffentlichen Hearings zum Thema Preise“ bekannt, in der die Preise der Waren und Dienstleistungen in vier Kategorien, einschließlich der Preise für Strom, Eisenbahn- und Luftverkehr, aufgelistet sind. Bei der Entscheidung und Änderung eines dieser Preise soll die Staatliche Planungskommission ein öffentliches Hearing veranstalten.

Früher gab es in China kein „Gesetz zum Schutz der Rechte und Interessen der Verbraucher“. Mit der Veröffentlichung dieses Gesetzes können die chinesischen Verbraucher durch verschiedene Wege und Kanäle ihre legitimen Rechte und Interesse aufrechterhalten. Das öffentliche Hearing bietet ihnen die neue Möglichkeit, ihre Rechte und Interesse während der Preisentscheidung einzubringen. Von 33 Vertretern sagten 17 bei diesem öffentlichen Hearing „nein“, so dass das Ministerium für Eisenbahnwesen ihr Konzept für die Preiserhöhung modifizieren musste.

Mängel und Enttäuschungen

Verschiedene Gesellschaftskreise schenkten dem ersten Hearing auf der Landesebene große Aufmerksamkeit. Übermäßige Hoffnungen und Mängel bei diesem Hearing brachten unter der Bevölkerung einige Enttäuschungen hervor. Manche Experten stellten sogar das ganze Hearing-Verfahren in Zweifel. Das Hearing fand zum Beispiel kurz vor dem „Frühlingstransport“ statt, so dass die Vertreter nicht genügend Zeit hatten, Untersuchungen anzustellen und das Konzept des Ministeriums zu studieren. Qi Hong, ein Vertreter der Verbraucher aus der Provinz Sichuan, behauptete, dass er nicht wusste, wie er zum Vertreter ausgewählt wurde. Außerdem gab die Staatliche Planungskommission erst einen Tag vor dem Beginn des Hearings die Namenliste der Vertreter bekannt und veröffentlichte auch erst am Eröffnungstag des Hearings die betreffenden Informationsmaterialien. Und die Live-Übertragung des Chinesischen Zentralen Fernsehens verpasste die interessanten Debatten beim Hearing. Manche Leute zweifelten deshalb noch an der Wirkung dieses Hearings.

Dr. Liu Hanhua aus der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, der sich mit dem öffentlichen Hearing beschäftigt, war der Auffassung, dass die Vertreter der Verbraucher gegenüber den Vertretern der Geschäftsführer auf diesem Hearing benachteiligt waren, denn sie konnten nur sich selbst, aber nicht ihre repräsentativen Gesellschaftsschichten vertreten. Das stimmt. Das Konzept der Eisenbahnbehörde zum Beispiel war ein 153-seitiges Dokument mit 10 Anlagen. Es war für die Vertreter schwer, in kurzer Zeit dieses Dokument gründlich zu studieren. Deshalb mussten sich die Vertreter der Verbraucher auf dem Hearing nur auf moralische, gerechte und menschliche Argumente beschränken und konnten nur vereinzelt an Hand der Beispiele aus dem Eisenbahnverkehr oder mit den vom Ministerium für Eisenbahnwesen angebotenen Informationen ihre Ansichten begründen.

Wie Wang Yang, stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Planungskommission, sagte, war dieses erste öffentliche Hearing zum Thema Preise in China noch ein Novum. Trotz verschiedener Mängel wurden jedoch die Hartsitz-Fahrpreise um 5% weniger angehoben als ursprünglich geplant. Das sei auch eine Wirkung des Hearings und ein Sieg der Verbraucher.

Gute Aussichten

Das öffentliche Hearing ist ein wirksamer Weg zur Demokratie. Mit der Einführung des öffentlichen Hearings ins chinesische Gesellschaftsleben machte China einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Demokratie. Gemäß dem WTO-Prinzip über die Transparenz soll eine Politik von ihrer Ausarbeitung bis zu ihrer Umsetzung offen von den Massen kommentiert werden. Vor der Ausarbeitung einer Politik soll die Regierung eine Meinungsumfrage durchgeführt, wobei sie Möglichkeiten bieten soll, Verhandlungen zwischen verschiedenen Interessentengruppen abzuhalten oder Hearingverfahren einzuleiten.

Das öffentliche Hearing wird auch zu einem wirksamen Mittel der Chinesen für die Äußerung ihrer Meinungen. Im 1995 veröffentlichten „Gesetz der administrativen Strafe“ ist nachzulesen, dass man bei der betreffenden Behörde einen Anspruch erheben kann, ein öffentliches Hearing zu organisieren, wenn man der Rechtsmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme zur Einstellung der Produktion oder Stillegung des Betriebs, Aberkennung der Genehmigung oder Lizenz oder an der Höhe einer Geldstrafe zweifelt. Während der Ausarbeitung eines Gesetzes haben die Massen als Betroffene auch das Recht, am öffentlichen Hearing teilzunehmen. Das Oberste Volksgericht wird das Hearingverfahren in die Verhandlung der Entschädigungsfälle des Staates einführen. Der Beteiligte hat auch das Recht, die betreffenden Beweismaterialien nachzulesen, zu kopieren und den Gegenbeweis aufzustellen. Er kann in seinem Antrag das Gericht bitten, seinen Gegenbeweis zu untersuchen.

Das öffentliche Hearing wird damit zu einem wichtigen Mittel zur Lösung der inländischen und internationalen wirtschaftlichen Streitigkeiten. Seit der Veröffentlichung der „Vorschriften über Anti-Dumping und –Subvention“ im März 1997 hat die Staatliche Wirtschafts- und Handelskommission schon zwölf Einsprüche über Anti-Dumping behandelt, wobei das Hearingverfahren unentbehrlich ist. Schon am 22. Januar 2002 fand das erste Hearing zum Thema Anti-Dumping nach dem Beitritt Chinas zur WTO statt, das war auch das erste öffentliche Hearing nach dem Inkrafttreten der „Vorschriften der Volksrepublik China über das Anti-Dumping“.

Mit der Einführung des Hearingsystems ins chinesischen Gesellschaftsleben stellt die Regierung ihre Politikentscheidung unter die Kontrolle der Öffentlichkeit, was die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Effizienz verkörpert und gleichzeitig auch eine wissenschaftliche Preisentscheidung durch die Regierung garantiert.

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