Ungleiches
Rechtssystem in feudaler Zeit
Von
Huo Jianying
Das Rechtssystem im Alten Chinas war dadurch
gekennzeichnet, dass es eine lange Geschichte hatte, dem gleichen
Ursprung entsprang und im Interesse der herrschenden Klasse
stand.
In
der archaischen Gesellschaft, wo nur ungeschriebene Gesetze
galten, wurden das gesellschaftliche Leben und das Verhalten
von Menschen durch Gewohnheitsrechte und überlieferte Regeln
genormt. Das Verfahren zur Behandlung eines Falls war recht
einfach und bezog sich auf „die Anhörung von Äußerungen
und die Betrachtung des Erscheinungsbildes.“ Man las in der
Miene des Angeklagten und stellte durch die – heute würde man
sagen - Psychoanalyse die Wahrheit seiner Aussage fest. In der
Westlichen Zhou-Dynastie (11. Jh. – 771 v. Chr.) nahmen die
Gesetze bereits in groben Zügen Gestalt an. Die Gesetze von
damals bestanden aus gesetzlichen Bestimmungen für Riten und
Strafgesetzen. Die Ritengesetze gingen von der positiven Seite
aus, um das Verhalten zu normen und Verbrechen durch Selbsteinschränkung
vorzubeugen. Von der negativen Seite ausgehend wurden die Verbrecher
durch Strafgesetze bestraft, was die Nachahmer abschrecken sollte.
Die Ungleichheit derartiger Gesetze bestand gerade darin, dass
sie offenkundig dem Grundsatz unterlagen: „Die Riten gelten
nicht dem Fußvolk, und die Strafen nicht den Gelehrten-Beamten.“
Das Tragische war aber, dass dieser Grundsatz die ganze feudale
Gesellschaft durchzog und zweitausend Jahre lang galt. In den
Gesetzen der Wei-Dynastie (220 - 265) fanden sich die sog. „Acht
Kategorien“, die auch in späteren Dynastien gültig waren.
Darunter ist zu verstehen, dass bei Verbrechen acht Kategorien
von Menschen vom Gesetz milder bestraft wurden und weitgehende
Immunität besaßen. In den Gesetzen der Tang-Dynastie
(619-907) wurden die „Acht Kategorien“ definiert als: a) der
Kaiser, b) nahe Verwandte des Kaisers, c) Weise, d) talentierte
Menschen, e) verdienstvolle Menschen, f) Adlige, g) fleißige
Beamte und h) Nachkommen eines früheren Kaisers. Diese Menschen
der Oberschicht genossen weitgehende Immunität und wurden
gesetzlich geschützt, offensichtlich fielen die Volksmassen
nicht unter den Schutz durch das Gesetz.
Abgesehen von den zehn Arten schwerer Verbrechen,
wurden die erwähnten Personengruppen bei geringeren Gesetzesverstößen
von der behördlichen Verfolgung ausgenommen. In einem Rechtsfall
wurde dem Kaiser eine Eingabe mit der Darstellung des Verbrechens
und dem Status der betreffenden Person eingereicht, der
Kaiser beauftragte dann Beamten, diesen Sachverhalt zu untersuchen
und die Ermäßigung der Strafe vorzuschlagen. Die
Entscheidung wurde vom Kaiser getroffen.
Die
Strafminderung war allerdings nicht bedingungslos. Oberste Voraussetzung
war, dass die verübte Tat die Interessen der obersten Herrscher
nicht gefährden, konkret gesprochen, nicht zu den zehn
Arten der Verbrechen gehören durfte. Die zehn Arten der
schweren Verbrechen waren a) Konspiration, b) Zerstörung
des Ahnentempels des Kaisers, c) Rebellion, d) Mord an Familienangehörigen
der älteren Generation, e) bestialische Verbrechen, f)
Verleumdung des Kaisers oder eines Prinzen, g) Mord an Vorgesetzten
oder Verrat gegen sie, h) Mord an lokal führenden Beamten,
i) Mord an Lehrern und j) Blutschande. Die Regelung wurde in
späteren Zeiten übernommen. Daraus formte sich eine Redensart:
Die abscheulichsten Verbrecher sind jene, die eine der zehn
Arten Verbrechen begangen haben.
Der
Kanon der Gesetze ist die erste einigermaßen systematisch
geordnete Gesetzessammlung der feudalen Zeit Chinas. Sie entstand
zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. in der Periode der Streitenden
Reiche, der Verfasser war Li Kui. Von dieser Gesetzessammlung
sind sechs Gesetze überliefert: Das Diebstahlgesetz diente
zum Schutz des Eigentums der Klasse der Gutsbesitzer, das Gesetz
über die Auflehnung gegen die Obrigkeit schützte die
öffentliche Ordnung, das Sträflingsgesetz hatte die
Behandlung von Sträflingen zum Inhalt, das Gesetz
zur Strafverfolgung diente dazu, Straftäter gefangenzunehmen,
das Gesetz gegen die Störung der öffentlichen Ordnung
beinhaltete eine Strafe für das Stehlen amtlicher Siegel und
die Kritik an gesetzlichen Bestimmungen und das Begnadigungsgesetz
diente dazu, die Strafe zu steigern oder zu mindern.
Die Bedeutung des Kanons der Gesetze
bestand darin, dass die Gesetze und gesetzlichen Bestimmungen
sowie juristischen Konzeptionen der vorangegangenen Dynastien
aufgenommen wurden und dabei ein juristisch mustergültiges Werk
bildeten, das als Grundlage für den Aufbau und die Entwicklung
des Rechtssystems in den späteren Dynastien diente. Insbesondere
in den Gesetzen der Qin- und Han-Dynastie (221 – 207 v. Chr.;
206 v. Chr. - 220) hatten sich die juristischen Gedanken Li
Kuis und des Kanons der Gesetze durchgesetzt.
In den ersten Jahren nach der Gründung der
Han-Dynastie hatte Kanzler Xiao He auf der Grundlage des
Kanons der Gesetze noch drei Gesetze hinzugefügt. Diese
Gesetze bildeten den Kern für den Kodex in den späteren
Zeiten. Durch Ergänzung und Hinzufügung gab es schließlich
über 60 Gesetze, die sich auf viele gesellschaftliche Bereiche
bezogen. Allein über die Vollstreckung der Todesstrafe gab es
über 1000 Paragraphen. Der Kodex der Han-Dynastie umfasste über
eine Million Schriftzeichen.
In der Tang-Dynastie (618 - 907) wurde auf
der Grundlage der Übernahme der Gesetze der früheren Dynastien
bei der Ausarbeitung und Revision von Gesetzen die Erziehung
zur Tugend in den Mittelpunkt gestellt, wobei die Justiz nur
eine ergänzende Rolle spielte. In der Tang-Dynastie wurde
das erste Verwaltungsgesetz Chinas herausgebracht. Darin waren
der Aufbau der zentralen und lokalen Verwaltung, deren Planstellen
und Ämter sowie die Bezeichnungen und Ränge von Beamten
festgelegt. Dadurch wurde das Verwaltungsgesetz von den Strafgesetzen
getrennt. Das bedeutete einen beachtlichen Schritt hin zur Vervollkommung
des Rechtssystems in der feudalen Zeit in China.
Die Herrscher der Yuan-Dynastie (1206 - 1368)
waren Mongolen. Die in dieser Zeit angewandten Gesetze waren
im Grunde die Gesetze aus der Tang-Dynastie mit geringfügigen
Abänderungen. Die Besonderheit der Gesetze der Yuan-Dynastie
bestand darin, dass eine bestimmte die Nationalitäten diskriminierende
Politik offen praktiziert wurde. Die Angehörigen verschiedener
Nationalitäten wurden in vier gesellschaftliche Kategorien
eingeteilt, so stand im Strafgesetz der Yuan-Dynastie z. B.
geschrieben: „Wenn ein Mongole einen Han-Chinesen prügelt, darf
dieser nicht zurückschlagen.“
Die Gesetze in der Ming-Dynastie (1368 - 1644)
hatten zwei Besonderheiten. Die eine bezog sich auf schwere
Strafen. Im Vorwort des Großen Kanons der Gesetze der
Ming-Dynastie stand geschrieben: „Gesetzesverstöße
werden mit strengen Strafen geahndet, damit die Volksmassen
abgeschreckt werden und nicht rebellieren.“ Das hing wohl damit
zusammen, dass es in der ausgehenden Yuan-Dynastie an vielen
Orten andauernde Bauernaufstände und Kriegswirren gab und
die politische Situation unstabil war. In der feudalen Zeit
Chinas gab es eine Tradition, „in wirren Zeiten“ schwere Strafen
zu vollziehen.
Die andere Besonderheit der Gesetze der Ming-Dynastie
war, dass harte Strafen über korrupte Beamten verhängt
wurden. Unter der persönlichen Instruktion des ersten Kaisers
der Ming-Dynastie, Zhu Yuanzhang, wurde das Große Mahnende
Gesetz der Ming-Dynastie mit 236 Paragraphen ausgearbeitet.
Zhu Yuanzhang war ursprünglich ein armer Bauer und erkannte
die Gefährdung der Herrschaft durch die Korruption, und
so wurde die schwere Strafe gegen korrupte Beamten hervorgehoben,
so dass sich 80% der Paragraphen des Großen Mahnenden
Gesetzes auf die Bestrafung von korrupten Beamten bezogen.
Der Kodex der Qing-Dynastie (1644 -
1911) trug den Namen Großer Kodex der Qing-Dynastie.
Neben der Betonung des Schutzes der Interessen der Mandschus
und der Ergänzung und Streichung einzelner Paragraphen
wurde im Wesentlichen die Kodexe der Tang- und Ming-Dynastie
übernommen. Das ist auch der letzte Kodex der chinesischen Feudalgesellschaft.
Mit dem Sieg der Revolution 1911 verschwand ein Rechtssystem,
das in der zweitausend Jahre langen feudalen Zeit gültig war,
von der historischen Bühne in China.