Das
Kloster und die Boxtechnik von Shaolin
Von
Xin Yi und Xu Zhao

Das
chinesische Boxen ist ein wichtiger Bestandteil der traditionellen
chinesischen Kampfkünste, des Wushu, und es gibt davon die
verschiedensten Formen und Schulen. Das Shaolin-Boxen ist
eine der berühmtesten und stammt, wie der Name sagt, aus dem
Shaolin-Kloster. Dieses alte buddhistische Kloster befindet
sich am Songshan, einem der fünf heiligen Berge Chinas. Wenn
man mit dem Auto 80 km südwestlich von Zhengzhou, der Hauptstadt
der Provinz Henan, die Berge hinauffährt, trifft man
im dichten Wald am nördlichen Fuß des Shaoshi-Bergs
auf das Kloster; daher kommt auch der Name Shaolin, „Wald
von Shao“. Die mächtigen Hallen und Pavillons sind von
roten Wänden eingerahmt und mit glasierten Ziegeln bedeckt.
Vor dem Eingangstor strecken alte Zypressen ihre Zweige gen
Himmel. Ringsumher herrscht eine ruhige und heitere Atmosphäre.
Im Jahre 495, als ein indischer Mönch
namens Tuo Ba hierher kam, um den Buddhismus zu verbreiten,
baute der Kaiser Xiao Wen der Nördlichen Wei-Dynastie
(386 – 581 u. Z.) für ihn dieses Kloster. Später predigte
auch der berühmte Mönch Bodhidharma hier die Religion,
und von dieser Zeit an gilt es als der Ursprungsort des Chan-Buddhismus
(auch bekannt unter dem jap. Namen Zen-B.), einer der drei
großen Sekten des Buddhismus. Das Shaolin-Kloster besteht
aus sieben Hauptgebäuden. Es sind dies das Eingangstor,
die Tianwang-Halle, die Daxiongbao-Halle, der Cangjing-Pavillon,
in dem die buddhistischen Sutras aufbewahrt werden, die Abtei,
der Dharma-Pavillon und die Qianfo-Halle. In der tausendjährigen
Geschichte des Klosters wechselten Blüte und Verfall einander
mehrmals ab; allein dreimal brannte es ab. Heute sind nur
noch einige der großen Hallen in der Mitte erhalten.
Nach der Befreiung ist es auf Anregung der Volksregierung
mehrmals restauriert worden.
Das
hohe Tor des Klosters hat vier nach oben geneigte Dachschrägen.
Unter der Traufe hängt eine Tafel mit der goldenen Inschrift
„Shaolin-Kloster“ aus, die vom Qing-Kaiser Kangxi (1662 –
1721) geschrieben wurde. Passiert man das Klostertor, so sieht
man viele Steintafeln, die die beiden Seiten des Korridors
flankieren. Die Schriftzeichen darauf wurden von berühmten
Kalligraphen der Tang- und der Song-Dynastie geschrieben,
wie z. B.: „Steintafel für den Abt des Shaolin-Klosters“ vom
Kaiser Taizong (627 – 649) der Tang-Dynastie, „Gepriesen sei
Guanyin“ vom bekannten Schriftsteller Su Dongpo (1037 – 1101)
aus der Song-Dynastie und „Berg Nr. 1“ vom bekannten Song-Kalligraphen
Mishi (1051 – 1107) usw. Die „Qianfo(Tausend-Buddha)-Halle“
mit der Torinschrift „Die Weisen aus dem Westen“ ist die Haupthalle
des Klosters und wurde in der Ming-Dynastie gebaut. Die hochgezogenen
Dachvorsprünge werden von regenschirmartigen Stützpfeilern
getragen. An den Wänden zum Osten, Westen und Norden
sind viele farbige Wandmalereien zu sehen, bei denen es sich
um 500 Luohans (Arhats, Erhabene) handelt. Die Buddhafiguren
zeichnen sich durch eine hohe Kunstfertigkeit in ihrer Bemalung
aus. Sie zählen zum unschätzbaren Vermächtnis
in der Schatzkammer der chinesischen Kunst.
Einen halben Kilometer westlich vom Kloster
liegt ein Friedhof mit ungefähr 220 Stupas. Seit tausend
Jahren fanden hier berühmte Äbte und Mönche, die
durch ihre Kampfgeschicklichkeit bekannt waren, ihre letzte
Ruhestätte.
Viele
kulturelle Gegenstände im Kloster sind mit der Geschichte
des Shaolin-Boxens eng verbunden. Darunter verdienen die Wandmalereien
„Schaubilder des Shaolin-Boxens“ in der Baiyi-Halle besondere
Beachtung. Die Illustrationen zeigen, wie 30 starke Mönche,
in 15 Paare aufgestellt, in der mächtigen, mit Laternen
und buntfarbigen Bänden ausgeschmückten Halle das Shaolin-Boxen
üben. Die Szenen werden so anschaulich dargestellt, dass man
meint, man wäre persönlich dabei anwesend. Neben
den Boxer-Schaubildern gibt es in der Halle auch solche Wandmalereien,
die Übungen mit Waffen schildern. Dies alles ist wertvolles
Material für das Studium der alten Kampfkünste des Shaolin-Klosters.
Es heißt, dass Bodhidharma der Begründer
des Shaolin-Boxens sei. Im Jahr 527 u. Z., als er hierher
kam und den Chan-Buddhismus lehrte, fand er, dass manche Jünger
während des Unterrichts oft in Lethargie versanken. Als
Gegenmittel erarbeitete Bodhidharma eine Leibesübung namens
„Methode der körperlichen Ertüchtigung“, den Ursprung
des Shaolin-Boxens. Durch langjährige Verfeinerung hat
sich das Shaolin-Boxen zu einer fast vollkommenen Art des
Faustkampfs entwickelt.
Vom Shaolin-Boxen gibt es zwei Abarten.
Die südliche Methode legt das Schwergewicht auf die Fäuste,
während die nördliche Methode die ganze Aufmerksamkeit
auf die Füße richtet. Jede Schule zerfällt wiederum
in Unterabteilungen. Shaolin-Boxen konzentriert sich jedoch
allgemein hauptsächlich auf den Angriff und dient sowohl
der körperlichen Ertüchtigung als auch dem praktischen
Kampf. Es gibt verschiedenaritge Angriffs- und Abwehrtechniken,
bestimmte Griffe und Übungsbewegungen wie Luftsprünge,
Überschläge und Luftrollen.
Seit der Zeit Bodhidharmas haben die Mönche
das Boxen dermaßen hart geübt, dass zwei Reihen von
Gruben mit einer Breite von 0,4 – 0,5 m und im Abstand von
1,7 m auf den Ziegelböden der Tausend-Buddha-Halle zurückgeblieben
sind, die von den Fußabdrücken der Mönche stammen.
Eine andere Wandmalerei hält eine weitere
wichtige Episode in der Geschichte des Shaolin-Boxens fest:
sie stellt eine alte Stadt mit festen Mauern und tiefem Burggraben
dar, die heiß umkämpft wird. Rings um das Kampffeld
vor dem Stadttor flattern Fahnen, blitzen Speere und Schwerter.
Von tausend und aber tausend Bögen abgeschossen, schwirren
Pfeile durch die Luft. Ein Dutzend Mönche kämpft
einen tapferen Kampf gegen den mächtigen Feind.
Es heißt, dass es sich bei der abgebildeten
Stadt um Luoyang, die Nordhauptstadt, handelt. Kaiser Taizong
der Tang-Dynastie begab sich dorthin, um von hier aus den
von Wang Shichong geführten Aufstand niederzuschlagen. Da
der Kaiser von Wangs Truppen umzingelt wurde, kamen ihm dreizehn
Mönche aus dem Shaolin-Kloster mit Tan Zong an der Spitze
zur Hilfe, und endlich wurde der Kaiser von ihnen gerettet.
Aus Dankbarkeit für ihre Rettungsaktion ernannte der Kaiser
Tan Zong zum General und verlieh den anderen zwölf Mönchen
die Ehre, purpurnes Ornat tragen zu dürfen. Außerdem
bewilligte er dem Kloster reichlich Geld und Boden. Infolgedessen
blühte das Kloster auf und beherbergte zu Spitzenzeiten mehr
als 1000 Mönche. Von da an drang der Ruf des Shaolin-Boxens
weit über die Grenze des Klosters hinaus.
Während der Regierungszeit des Kaisers
Jia Jing der Ming-Dynastie (im 16. Jahrhundert), als japanische
Seeräuber die Küstengegend Chinas plünderten, organisierte
Yue Kong einen Kampftrupp von 40 Shaolin-Mönchen, um
der Seeräuberplage im Distrikt Songjiang in der Nähe
von Shanghai ein Ende zu machen. Tatsächlich wurden diese
heroisch geschlagen, was den überlegenen patriotischen Geist
der Mönche zum Ausdruck brachte.
Um das Niveau der Kampfkunst zu heben, wurden
viele berühmte Fachleute ins Kloster eingeladen. Sie demonstrierten
ihre Geschicklichkeit und übermitteln ihre reichhaltigen Erfahrungen.
Unter ihnen befand sich auch Yu Dayou, ein bekannter General
der Ming-Dynastie, der sehr geschickt mit seinem Knüppel umgehen
konnte. Das Shaolin-Boxen übernahm daher die verschiedensten
Elemente aus den anderen Kampfschulen und brachte so die verschiedenen
Abarten des Wushu hervor, die jeweils auf den Kampf zu Fuß,
zu Pferd, mit verschiedenartigen Waffen usw. spezialisiert
sind. Infolgedessen drang sein Einfluss weit über die Grenzen
des Landes hinaus.
Die Tradition lebt fort. Nach der Befreiung
wurde die Wushu-Schule von Shaolin in der naheliegenden Kreisstadt
gegründet. Manche ehemalige Mönche sind jetzt Trainer
und Sportlehrer, die aktiv an der Forschungsarbeit des Shaolin-Boxens
teilnehmen. Viele Leute aus der Umgebung machten der Sportschule
ihre von Hand kopierten Box-Schaubilder, die in ihren Familien
von Generation zu Generation aufbewahrt worden waren, zum
Geschenk. Als Schaukampfkunst ist das Shaolin-Boxen
beim Nationalen Wushu-Treffen natürlich äußerst
publikumswirksam.
1946 wurde der Verein für Shaolin-Boxen
in Japan gegründet. Er hat in seinen verschiedenen Zweigen
in Japan, den USA, der Bundesrepublik Deutschland, in Indonesien
und anderen Ländern jetzt insgesamt ungefähr eine
Million Mitglieder. Do Shin So, der Gründer der Organisation,
der schon einmal vor 40 Jahren das Shaolin-Kloster besucht
hatte, sagte diesmal, als er durch das Tor des Klosters eintrat,
„endlich wieder einmal im alten Zuhause.“
Aus China im Aufbau, Nr. 9, 1981