Die
traditionelle chinesische Medizin

Die traditionelle chinesische Medizin und
Pharmakologie kann auf eine lange Geschichte zurückblicken.
Über 3000 Jahre alte Orakelknocheninschriften beschreiben
bereits viele Krankheiten, deren Symptome und allerlei Hygienemaßnahmen.
In der Westlichen Zhou-Dynastie (11. Jh.-770 v. u. Z.) gab
es schon eine Art staatliches Gesundheitswesen und ein Ärzteprüfungssystem.
Die Ärzte wurden in vier Fächer geteilt: Ernährungsmedizin,
Innere Medizin, Chirurgie und Tiermedizin.
Die
Theorie der chinesischen Kräuterheilkunde wurde im Wesentlichen
zur Zeit der Streitenden Reiche (475-221 v. u. Z.) begründet.
Der damals verfaßte Klassiker der Inneren Medizin
ist das erste Fachwerk der chinesischen Medizintheorie, in
dem der damalige Stand der Humanbiologie, Pathologie, Diagnose,
Therapie und Prophylaxe nach elementardialektischen Grundsätzen
systematisch zusammengefasst und erläutert wurde.
Bis zum 2. Jahrhundert v. u. Z. entwickelte
sich die chinesische Medizin sehr rasch – berühmte Ärzte
traten in Erscheinung, und Fachwerke wurden verfasst. Sowohl
Theorie als auch die therapeutische Praxis waren von hohem
Niveau. Wie eine 1972 in einem hanzeitlichem Grab bei Mawangdui,
Provinz Hunan, entdeckte, vollständig erhaltene Frauenmumie
beweist, war die Technik der Körperkonservierung schon
vor 2100 Jahren weit fortgeschritten. In einem weiteren Grab
bei Mawangdui wurde die älteste Anleitungstafel Chinas
für Gesundheitsgymnastik gefunden, außerdem wurden insgesamt
14 Schriften über Akupunktur und Moxibustion, Chirurgie, Gesundheitspflege,
Geburtshilfe und Diagnose entdeckt.
Um die Zeitenwende herum entstand Shen
Nongs Klassiker der Arzneimittelkunde, in dem u. a. die
chinesische Ephedra gegen Asthma und Dichroa febrifuga
gegen Malaria empfohlen wird – Mittel, die bis zum heutigen
Tag angewendet werden. Im 2. Jahrhundert verwendete der berühmte
Arzt Huo Tuo (?-208) das Betäubungsmittel Mafeisan
bei Bauchhöhlenoperationen und war damit einer der großen
Pioniere auf den Gebieten der Anästhesie und Chirurgie.
Sein berühmter Zeitgenosse Zhang Zhongjing schrieb die Abhandlung
über Typhus, das erste chinesische Fachwerk über Theorie
und Praxis der klinischen Therapie.
Mit der weiteren Entwicklung der medizinischen
Wissenschaft im 4. und 5. Jahrhundert wurden die Behandlungsmethoden
immer zahlreicher und wirksamer. Es erschien eine Reihe umfassender
Werke über Pulsdiagnose, Akupunktur und Moxibustion und über
Pathogenese und Symptomatologie. Ab dem 7. Jahrhundert begann
sich die chinesische Medizin in Spezialgebiete wie Innere
Medizin, Chirurgie, Kinderheilkunde, Akupunktur und Moxibustion,
Massagebehandlung etc. aufzufächern. Auch die medizinische
Ausbildung hatte ein hohes Maß der Vollständigkeit
erreicht. Das Amt der kaiserlichen Leibärzte in der Tang-Dynastie
war die erste Medizin-Hochschule der Welt.
Ab dem 15. Jahrhundert kam es durch Gewinnung
neuer Einsichten zu bedeutenden Erneuerungen. Man fand neue
Behandlungsmethoden gegen ansteckende Krankheiten. Li Shizhens
(1518-1593) berühmter Abriss der Arzneikunde, Wu Youxings
Einsichten in die Ätiologie, Wang Qingrens (1768-1831)
anatomische Erkenntnisse und die Verbreitung der Pockenimpfung
stellen bedeutende medizinische Leistungen dieser Zeit dar.
Schon vor über 2000 Jahren begann man in
China menschliche Leichen zu sezieren. Die im Klassiker
der Inneren Medizin beschriebene Anatomie des menschlichen
Skeletts, Länge der Blutgefäße und Lage, Form
und Größe der inneren Organe stimmen im Großen
und Ganzen mit den Kenntnissen der heutigen Anatomie überein.
So wird zum Beispiel die Längenproportion von Speiseröhre
und Darmtrakt mit 1:35 angegeben, was dem Verhältnis
von 1:37 heutiger anamotischer Messungen fast entspricht.
Auch vom Blutkreislauf hatte man bereits eine Vorstellung.
Man wußte, dass das Blut in den Adern „fließt
ohne still zu stehen und kreist ohne zu ruhen“. Auch wußte
man, dass das Herz den Puls erzeugt und zwischen Atmung und
Pulsfrequenz ein Zusammenhang besteht.
Auch die Gynäkologie und Geburtshilfe
hat in China eine lange Geschichte. So werden im Klassiker
der Inneren Medizin bereits Frauenkrankheiten und Schwangerschaftsprobleme
und deren Behandlung beschrieben. Der Arzt Chen Ziming (1190-1270)
verfasste ein Buch mit dem Titel Sämtliche Frauenrezepte,
in dem er das Wissen seiner Zeit über Frauenheilkunde und
Geburtshillfe in ziemlich umfassender Weise zusammenfasste.
Dieses Buch ist bis auf den heutigen Tag von praktischem Wert
geblieben.
Seit alters gab es in China zahlreiche und
verschiedenartige Heilmittel. Das schon erwähnte Buch
Shen Nongs Klassiker der Arzneimittelkunde bildete
mit den darin beschriebenen 365 Arzneien die Grundlage der
chinesischen Pharmakologie. Die im Jahre 659 von der Tang-Regierung
herausgegebene Neue verbesserte Arzneikunde, in der
844 Heilmittel aufgenommen sind, ist die erste staatliche
Pharmakopöe der Welt. Li Shizhens 1578 erschienener berühmter
Abriss der Arzneikunde enthält 1892 Heilmittel,
über 1000 Illustrationen und mehr als 10 000 Rezepte. Später,
Mitte des 18. Jahrhunderts von Zhao Xuemin weiter ergänzt,
waren in den chinesischen Pharmakopöen insgesamt 2608
Heilmittel gesammelt. Kein anderes Land auf der Welt verfügte
über eine derart umfassende Sammlung von Naturheilmitteln,
auch die über 5000 erhaltenen arzneikundlichen Schriftstücke
sind einzigartig.
Die Akupunktur und Moxibustion ist eine
charakteristische chinesische Behandlungsmethode mit einer
langen Geschichte. Vor zweieinhalb Jahrtausenden verwendete
der berühmte Arzt Bian Que Nadeln, um einem halbtoten Patienten
das Leben zu retten, was der Nadelstechkunst schon damals
zu hohem Ansehen verhalf. In der Nördlichen Song-Dynastie
verfertigte Wang Weiyi (etwa 987-1067) zwei mit Akupunktur-Punkten
versehene Bronzefiguren. Diese ersten Modelle stellten einen
bedeutenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Akupunktur dar.


Aus „China im Aufbau“, Nr.
6, 1981