Neue
Veränderungen im Königreich der Fahrräder
Von Zhang Hua und Lu Rucai

„Das
Rennrad gefällt mir besser“, hört man in einem Geschäft
in Beijing, wo sich einige junge Leute neue Fahrräder
aussuchen. Sie gestikulierten mit den Händen. Zwar besitzen
immer mehr Menschen Privatautos, und auch die Buslinien der
Stadt führen in alle Richtungen, doch das Fahrrad tritt noch
nicht von der Bühne ab. Im Gegenteil, das Rad ist für viele
nicht nur ein wichtiges Fortbewegungsmittel, sondern auch
ein Sportgerät zum Fitnesstraining. Das Rad hat sich
den veränderten chinesischen Verhältnissen angepasst,
und es gibt heute verschiedene Typen mit verschiedenen Funktionen.
„Radfahren macht Freude!“
Frau
Wangs täglicher Weg zur Arbeit sieht so aus: Sie verlässt
das Wohnhaus, fährt mit dem Fahrrad zur U-Bahn-Station,
nimmt das weniger als 10 kg schwere, zusammenklappbare Rad
in die Hand und steigt in die U-Bahn ein. „Das ist viel gemütlicher
als mit dem Bus oder mit dem Auto zu fahren. Außerdem
spart es Zeit und trimmt den Körper. Sehen Sie, mein
Fahrrad ist klein und fein geformt. Ich kann es in mein Büro
bringen und muss keine Angst haben, dass es gestohlen wird.“
Es
gibt immer mehr Chinesen, die wie Frau Wang das Rad als Fortbewegungsmittel
benutzen. Im Vergleich zu einigen Jahren zuvor legen viel
mehr Leute Wert auf seine Fitnesswirkung. „Tagsüber bleibe
ich im Büro und habe überhaupt keine Zeit, mich körperlich
zu betätigen. Ich will meine mangelnde Bewegung durch
das Radfahren wettmachen“, sagt Herr Zhang, Mitarbeiter in
einer Verwaltungsabteilung. Damit spricht er die heimliche
Motivation für die meisten Radfahrer aus.
Die
wahren Rad-Fans jedoch unterscheiden sich nochmals von Frau
Wang und Herrn Zhang. Sie rasen mit ihren Rädern durch
die Stadt in die freie Natur hinaus. Eine hohe Geschwindigkeit
und die Verbindung mit der Natur sind ihr Ziel. Die meisten
von ihnen sind Mitglieder in Fahrrad-Klubs oder Fahrrad-Vereinen,
die in den letzten Jahren ins Leben gerufen wurden und sich
dem Fitnesstraning oder wissenschaftlichen Untersuchungen
widmen, und Gleichgesinnten eine Begegnungsmöglichkeit
bieten. Das Rad schlägt Brücken zwischen ihnen. Xiao
Zhang, Mitglied des Rad-Vereins an der Peking-Universität,
sagte: „Vor meinem Studium hatte ich vom Rad-Verein an der
Peking-Universität erfahren. Ich empfinde eine tiefe
Sehnsucht für den Radsport. Ich mag es, in die frei Natur
zu fahren. In den letzten Jahren sind unsere Mitglieder in
fast alle Teile des ganzen Landes, von Hong Kong nach Tibet,
gereist. Ich bin stolz darauf.“ Die Rad-Klubs veranstalten
oft Ausflüge und Wettrennen, was auf Rad-Fans eine große
Anziehungkraft ausübt. Mitglieder der Klubs gewannen Auszeichnungen
bei inländischen und internationalen Wettkämpfen.
Das zeigt, dass sich der volkstümliche Radsport dem professionellen
Standard angenähert hat.
Radakrobaten
Radakrobatikshows
sieht man an den Straßenecken oder in den Grünanlagen
der Stadt. Die Darsteller sind meistens Mittelschüler. Sie
hüpfen auf dem Hinterrad umher oder vor Ort auf und ab und
vollführen gewagte Manöver, dass die Fußgänger
stehen bleiben und sich die Darbietungen atemlos anschauen.
Für
die Radakrobaten kann die Stimulation des Radsports nicht
durch andere Sportarten ersetzt werden. Alle Radakrobaten
sind der Meinung, dass Radsport den Willen stärkt. Ein
Mittelschüler sagte: „Durch den Radsport habe ich gelernt,
wie ich mich meinem Ziel nähere. Beispielsweise können
die anderen von einer Treppe auf die andere springen. Ich
kann es nicht. Das macht aber nichts. Ich werde so lange
üben, bis es klappt. Das ist die Anziehungskraft des Radsports
für mich.“
Wang Wei, vielfacher Goldmedaillenträger im
Mountain-Fahren, sagte: „Der Radsport ist zauberhaft. Früher
war ich Eisschnellläufer und habe Fußball gespielt.
Ich konnte mich für diese zwei Sportarten leider nicht ganz
erwärmen. Nur in den Radsport bin ich ganz vernarrt.“
Heute ist der 22-jährige ein erfolgreicher Radrennfahrer.
Seine Augen beginnen zu glühen, wenn er über seinen Lieblingssport
spricht: „Vor sechs Jahren schloss ich die Oberstufe der Mittelschule
ab, nahm aber nicht wie meine Klassenkameraden an der Hochschulaufnahmeprüfung
teil. Das bereue ich nicht. Beim Training habe ich auch Rückschläge
erlitten, aber nie überlegte ich, das aufzugeben. Ich habe
den ersten Preis in vielen nationalen Wettbewerben gewonnen.
Solche Leistungen hätte ich an einer Hochschule nie erzielen
können.“
Luxusartikel der Mittelschüler
Bei den Mittelschülern- und schülerinnen ist es üblich,
ein „Mountainbike“ im Wert von mehr als 1000 Yuan zu besitzen.
Diejenigen, die sich ein Luxusrad nicht leisten können,
kleben die bekannten Markenzeichen der Rad-Ersatzteile wie
„Campagnolo“, „Tektro“ und „Continental“ auf das Rad. Angesichts
dieser Situation untersagte die Mittelschule Nr. 15 in der
Stadt Taiyuan den Schülern und Schülerinnen den Besitz von
Rädern im Wert von mehr als 300 Yuan. Ein Schüler der
ersten Klasse an der Beijinger Mittelschule Nr. 22 sagte:
„Ich beneide meine Klassenkameraden um ihr Luxusrad. Anfangs
waren meine Eltern nicht damit einverstanden, mir ein solches
Rad zu kaufen. Ich lag ihnen in den Ohren, und sie konnten
schließlich nicht anders, als meine Bitte zu erfüllen.
Als Gegenzug muss ich fleißig studieren.“
Nicht alle betrachten die Verschwendungsucht der
Mittelschüler- und schülerinnen als eine schlechte Sache.
Ganz im Gegenteil freuen sich die Radhersteller und –händler
darüber, weil das Rad eine Kultur reich an Wissenschaft, Technik
und Mode ist, die sich durch Fans verbreiten soll.
Diebstahl und Schutz vor Dieben
Nicht nur die Fans, sondern auch die Diebe verfolgen
die Räder mit wachsender Faszination.
Hou Tao, Mitarbeiter der Beixinqiao-Filiale von Giant,
ist ein Rad-Fan. Was den Schutz vor Diebstahl betrifft, sagt
er: „Die Diebe haben mir mehr als zehn Räder im Wert
von 30 000 bis 40 000 Yuan gestohlen. Es bleibt mir nichts
anderes übrig, als das Rad immer mitzunehmen.“ Früher war
er Reiseführer. Unterwegs während der Arbeit legte er
sein Rad in die Gepäckkiste des Reisebusses und in der
Nacht neben sein Bett. Ging er in die Toilette, brachte er
auch das Rad mit. Kurz gesagt, das Rad war jederzeit in seinem
Blickfeld.
Herr Zheng, Leiter der Polizeiwache Zhanlanlu des
Bezirks Xicheng in Beijing, sagte: „Sowohl die modernen Mountainbikes
als auch die einfachen Räder werden nicht von Diebstahl
verschont. Deshalb kauft man lieber ein Second-Hand-Rad, was
zu einen guten Absatz von Gebrauchträdern führt. Das
fördert den Diebstahl und bildet einen Teufelkreis. Vor
einigen Jahren gingen die Diebe so weit, mit einem Lastkraftwagen
in die Stadt zu fahren und ihn mit den Rädern an den
Straßenrändern zu beladen. Die Schlösser brauchen
sie überhaupt nicht aufzubrechen. Ein Giant-Rad im Wert von
über 500 Yuan kostet auf dem Schwarzmarkt 100 bis 200 Yuan.
Das Rad der Marke Tianjin kostet nur 30 bis 50 Yuan.
Um die Räder vor Diebstahl zu schützen, hat
die Giant-Firma kürzlich ein neues Schloss entwickelt. Das
Schloss liegt in der Mitte der Lenkstange. Ist das Rad verschlossen,
verwandelt sich der vordere Teil des Rads von einem rechten
Winkel zu einem Winkel von 45 Grad. Ohne Schlüssel kann man
diesen Winkel nicht verändern.
Weitere Informationen über Räder
Zur Zeit erreicht die Zahl der Räder Chinas
500 Mio. Die jährliche Produktionsmenge beträgt
50 Mio., 60% davon werden exportiert. In Beijing, wo der öffentliche
Verkehr gut ausgebaut und der Anteil an Privatautos hoch ist,
verfügen 10 Mio. Einwohner noch über 10 Mio. Räder.
Fast
jede chinesische Familie wurde durch Rad-Diebstahl in Mitleidenschaft
gezogen. Allein in der Stadt Guangzhou betrugen die Verluste
in den vergangenen drei Jahren eine Milliarde Yuan. 80% der
Familien erlitten im Durchschnitt einen Verlust von 3,76 Rädern.
Die Lage in den kleinen und mittelgroßen Städten
ist auch nicht besser. In Wuhu, einer kleinen Stadt in der
Provinz Anhui, wurden über 100 000 Räder gestohlen.