Bertolt
Brecht in China
Von Ding Yangzhong
Werke
des berühmten deutschen Dramtikers und Dichters Bertolt Brecht
wurden in China erstmals in den 50er Jahren vorgestellt. Mit
anderen Worten, erst nach der Gründung der VR China erhielt
das chinesische Volk Gelegenheit, diesen großen Schriftsteller,
der zu China eine tiefe Zuneigung hegte, kennen zu lernen.
Die Brecht-Aufnahme hat in China
in zwei Phasen stattgefunden. Die erste Phase dauerte bis
Anfang der 60er Jahre, die zweite begann Ende der 70er Jahre
und hält noch immer an.
Als erstes erschien 1959 der
Sammelband „Ausgewählte Werke von Bertolt Brecht“, herausgegeben
von dem namhaften Dichter und Germanisten Feng Zhi. Die Anthologie
enthält 37 Gedichte und drei Theaterstücke – „Die Gewehre
der Frau Carrar“, „Mutter Courage und ihre Kinder“ und „Herr
Puntila und sein Knecht Matti“. Wenn die Auswahl auch nicht
sehr umfangreich war, so bot sie dem chinesischen Leser doch
erstmals die Gelegenheit, sich mit dem großen Dramatiker
zu befassen. Sein unverwechselbarer literarischer Stil und
seine philosophische Gedankentiefe fesselten das breite Leserpublikum.
Im Oktober 1959 führte das Shanghaier Volkskunsttheater „Mutter
Courage und ihre Kinder“ (übersetzt von Sun Fengcheng) unter
der Regie des berühmten Dramaturgen Huang Zuolin auf. Diese
erste Inszenierung eines Brecht-Stückes in China bedeutete
eine beträchtliche künstlerische Horizonterweiterung.
Anfang der 60er Jahre erschienen dann Übersetzungen von
„Die Tage der Commune“, „Der kaukasische Kreidekreis“ und
„Die Ausnahme und die Regel“. Auch die wichtigen Abhandlungen
„Kleines Organon für das Theater“, „Vergnügungstheater oder
Lehrtheater?“, „Die Straßenszene“, „Neue Technik der
Schauspiel-Kunst“ und „Anmerkungen zur Aufführung von ,Mutter
Courage und ihre Kinder’“ wurden ins Chinesische übertragen.
Die erste chinesische Studie
über das Brechtsche Theater wurde gleichfalls in dieser Zeit
veröffentlicht. Von dem Anglizisten Bian Zhilin verfasst,
wurde sie 1962 unter dem Titel „Die Rezeptionsgeschichte der
Brecht-Stücke“ in den Nummern 5 bis 8 der Zeitschrift „Weltliteratur“
abgedruckt und erregte großes Interesse. Viel Beachtung
in Theaterkreisen fanden auch die im gleichen Jahr von dem
Dramaturgen Huang Zuolin verfassten „Bemerkungen zum ,epischen
Theater’“. Ebenfalls 1962, und zwar im September, erschien
in der Monatsschrift „Theatermanuskripte“ mein Artikel „Brecht
und seine Lehrstücke“. Doch gerade als sich mehr und mehr
Leute mit Brecht auseinanderzusetzen begannen, brachen die
zehnjährigenWirren aus. Auf Betreiben der Viererbande
verschwanden ausländische Theaterstücke von den Bühnen
Chinas.
1976 wurde die Viererbande vom
empörten Volk auf den Abfallhaufen der Geschichte befördert.
Die Übersetzung von und Befassung mit ausländischer
Literatur konnte wieder aufgenommen werden. Im Winter 1978
wurde im Beijinger Jugend-Kunsttheater das von mir übersetzte
„Leben des Galilei“ unter der Regie von Huang Zuolin und Chen
Yong einstudiert. Die 80 Aufführungen des Stückes im Frühjahr
und Sommer 1979 waren alle ausverkauft. Die Inszenierung fand
nicht nur in China begeisterte Zustimmung und gute Kritiken,
sondern wurde auch im Ausland viel beachtet. Brechtsches Theater,
so zeigte die chinesische Premiere des „Leben des Galilei“,
ist immer aktuell. Darüber hinaus erwies sich, dass unsere
Theaterkünstler – obgleich mit Bertolt Brecht noch nicht allzu
vertraut – sehr wohl in der Lage sind, ihn zu verstehen und
seine Ideen auf der Bühnezu realisieren.
Im Mai 1980 erschien „Theaterstücke
von Bertolt Brecht“ in zwei Bänden. Die Auswahl enthält
neben den fünf schon früher erschienenen Stücken drei neue
Übersetzungen – „Die Dreigroschenoper“, „Furcht und Elend
des Dritten Reiches“ und „Leben des Galilei“. Damit zusammenhängend
lässt sich ein erfreuliches Phänomen beobachten:
Mehr und mehr Menschen beginnen sich für Bertolt Brecht zu
interessieren, und auch in Zeitschriften setzt man sich mehr
und mehr mit ihm auseinandern.
Bertolt
Brecht und die chinesische Theaterkunst
Bei der Schaffung seines epischen
Theaters griff Brecht einerseits auf ihm nützlich erscheinende
Elemente der traditionellen und der zeitgenössischen
europäischen Bühnenkunst zurück, andererseits bezog er
zahlreiche Anregungen und Ideen vom chinesischen und japanischen
Theater. Er liebte die chinesische Kultur und Kunst und studierte
die alte Philosophie Chinas, die Geschichte der Tang-Zeit,
das Theater der Yuan-Dynastie und das philosophische Denken
Mao Zedongs. Von der traditionellen chinesischen Bühnenkunst
war er besonders hingerissen. Es lässt sich durchaus
sagen, dass er in ihr einen ganz neuen künstlerischen Kosmos
erblickte. Er entdeckte, dass sie mit seiner eigenen Bühnentheorie
viele Gemeinsamkeiten in prinzipieller und methodischer Hinsicht
aufwies, wodurch ihm nicht nur neue Erkenntnisse, sondern
auch Ermunterung zuteil wurde.
1935 sah Bertolt Brecht in Moskau
die Aufführung einer chinesischen Truppe, in der der große
Meister der Peking-Oper Mei Lanfang mitwirkte. Im folgenden
Jahr veröffentlichte er eine bedeutende Abhandlung, in
der er die chinesische Theaterkunst besprach und seine Eindrücke
von ihr schilderte. Wenn man den Artikel liest, merkt man,
dass er in dem, was er sah, vieles vorfand, das er selbst
für das Theater forderte und erstrebte. Natürlich handelt
es sich trotz allem um zwei sehr verschiedene Theaterformen.
Das chinesische Operntheater ist eine Gesamtkunstform, die
Singen, Sprechen, Tanzen und Akrobatik miteinschließt,
während die Brechtschen Schauspiele dem europäischen
Drama zuzuordnen sind. Doch in theatertheoretischer und darstellungsmethodischer
Hinsicht gibt es viele Gemeinsamkeiten. So schrieb Brecht:
„In stilistischer Hinsicht ist das epische Theater nichts
besonders Neues. Mit seinem Ausstellungscharakter und seiner
Betonung des Artistischen ist es dem uralten asiatischen Theater
verwandt.“ („Vergnügungstheateer oder Lehrtheater?“)
Das europäische Sprechtheater
wurde in China vor rund 70 Jahren eingeführt. In der relativ
kurzen Zeitspanne seither wuchs und erstarkte es im Gefolge
der Entwicklung der Revolution des chinesischen Volkes. Neben
hervorragenden Dramatikern – genannt seien Guo Moruo, Cao
Yu, Lao She und Xia Yan – traten auch großartige Regisseure,
Dramaturgen und Schauspieler auf. Dramen und Aufführungen
von hohem künstlerischen Niveau fanden auch international
Beachtung. Im ganzen gesehen, ist unser Sprechtheater jedoch
noch nicht aufgereift. Sowohl was die Stücke als auch was
die Aufführungsform betrifft, bestehen noch allerlei Schwächen.
Den Dramen, die geschrieben werden, haftet ein gewisser formaler
Konservatismus an und es mangelt ihnen an gedanklicher Tiefe.
Die Inszenieerungen sind relativ einförmig und nicht
spritzig genug. Um das Niveau zu heben, ist das Studium unserer
eigenen Traditionen sicherlich sehr wichtig, doch ebenso unverzichtbar
ist es, dass wir uns mit den ausländischen Kunstströmungen
auseinandersetzen. Wir sollten nicht nur Stanislavsky studieren,
sondern auch Bertolt Brecht.
Im
März 1981 fand in Hong Kong ein internationales Brecht-Forum
statt, dessen Teilnehmer aus neun Ländern und Gebieten
kamen. Ich nahm mit mehreren anderen chinesischen Kollegen
daran teil. Zentrales Thema war die Realisierung der Brechtschen
Stücke in Ostasien und insbesondere in China. Auch ausländische
Theaterwissenschaftler, so zeigte sich dabei, verfolgen mit
Interesse die Brecht-Rezeption in China. Die Auseinandersetzung
mit Bertolt Brecht befindet sich in China noch im Anfangsstadium.
Wir müssen ihn noch eingehend studieren, noch mehr seiner
Werke ins Chinesische übersetzen und noch mehr seiner Stücke
auf unseren Bühnen inszenieren, damit die Theaterrfreunde
unseres Landes Gelegenheit haben, diesen großen Autor
und Dramatiker möglichst umfassend kennen zu lernen.
Aus
„China im Aufbau“, Nr. 6, 1982