Januar 2004
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Bertolt Brecht in China

Von Ding Yangzhong

Werke des berühmten deutschen Dramtikers und Dichters Bertolt Brecht wurden in China erstmals in den 50er Jahren vorgestellt. Mit anderen Worten, erst nach der Gründung der VR China erhielt das chinesische Volk Gelegenheit, diesen großen Schriftsteller, der zu China eine tiefe Zuneigung hegte, kennen zu lernen.

Die Brecht-Aufnahme hat in China in zwei Phasen stattgefunden. Die erste Phase dauerte bis Anfang der 60er Jahre, die zweite begann Ende der 70er Jahre und hält noch immer an.

Als erstes erschien 1959 der Sammelband „Ausgewählte Werke von Bertolt Brecht“, herausgegeben von dem namhaften Dichter und Germanisten Feng Zhi. Die Anthologie enthält 37 Gedichte und drei Theaterstücke – „Die Gewehre der Frau Carrar“, „Mutter Courage und ihre Kinder“ und „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Wenn die Auswahl auch nicht sehr umfangreich war, so bot sie dem chinesischen Leser doch erstmals die Gelegenheit, sich mit dem großen Dramatiker zu befassen. Sein unverwechselbarer literarischer Stil und seine philosophische Gedankentiefe fesselten das breite Leserpublikum. Im Oktober 1959 führte das Shanghaier Volkskunsttheater „Mutter Courage und ihre Kinder“ (übersetzt von Sun Fengcheng) unter der Regie des berühmten Dramaturgen Huang Zuolin auf. Diese erste Inszenierung eines Brecht-Stückes in China bedeutete eine beträchtliche künstlerische Horizonterweiterung. Anfang der 60er Jahre erschienen dann Übersetzungen von „Die Tage der Commune“, „Der kaukasische Kreidekreis“ und „Die Ausnahme und die Regel“. Auch die wichtigen Abhandlungen „Kleines Organon für das Theater“, „Vergnügungstheater oder Lehrtheater?“, „Die Straßenszene“, „Neue Technik der Schauspiel-Kunst“ und „Anmerkungen zur Aufführung von ,Mutter Courage und ihre Kinder’“ wurden ins Chinesische übertragen.

Die erste chinesische Studie über das Brechtsche Theater wurde gleichfalls in dieser Zeit veröffentlicht. Von dem Anglizisten Bian Zhilin verfasst, wurde sie 1962 unter dem Titel „Die Rezeptionsgeschichte der Brecht-Stücke“ in den Nummern 5 bis 8 der Zeitschrift „Weltliteratur“ abgedruckt und erregte großes Interesse. Viel Beachtung in Theaterkreisen fanden auch die im gleichen Jahr von dem Dramaturgen Huang Zuolin verfassten „Bemerkungen zum ,epischen Theater’“. Ebenfalls 1962, und zwar im September, erschien in der Monatsschrift „Theatermanuskripte“ mein Artikel „Brecht und seine Lehrstücke“. Doch gerade als sich mehr und mehr Leute mit Brecht auseinanderzusetzen begannen, brachen die zehnjährigenWirren aus. Auf Betreiben der Viererbande verschwanden ausländische Theaterstücke von den Bühnen Chinas.

1976 wurde die Viererbande vom empörten Volk auf den Abfallhaufen der Geschichte befördert. Die Übersetzung von und Befassung mit ausländischer Literatur konnte wieder aufgenommen werden. Im Winter 1978 wurde im Beijinger Jugend-Kunsttheater das von mir übersetzte „Leben des Galilei“ unter der Regie von Huang Zuolin und Chen Yong einstudiert. Die 80 Aufführungen des Stückes im Frühjahr und Sommer 1979 waren alle ausverkauft. Die Inszenierung fand nicht nur in China begeisterte Zustimmung und gute Kritiken, sondern wurde auch im Ausland viel beachtet. Brechtsches Theater, so zeigte die chinesische Premiere des „Leben des Galilei“, ist immer aktuell. Darüber hinaus erwies sich, dass unsere Theaterkünstler – obgleich mit Bertolt Brecht noch nicht allzu vertraut – sehr wohl in der Lage sind, ihn zu verstehen und seine Ideen auf der Bühnezu realisieren.

Im Mai 1980 erschien „Theaterstücke von Bertolt Brecht“ in zwei Bänden. Die Auswahl enthält neben den fünf schon früher erschienenen Stücken drei neue Übersetzungen – „Die Dreigroschenoper“, „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ und „Leben des Galilei“. Damit zusammenhängend lässt sich ein erfreuliches Phänomen beobachten: Mehr und mehr Menschen beginnen sich für Bertolt Brecht zu interessieren, und auch in Zeitschriften setzt man sich mehr und mehr mit ihm auseinandern.

Bertolt Brecht und die chinesische Theaterkunst

Bei der Schaffung seines epischen Theaters griff Brecht einerseits auf ihm nützlich erscheinende Elemente der traditionellen und der zeitgenössischen europäischen Bühnenkunst zurück, andererseits bezog er zahlreiche Anregungen und Ideen vom chinesischen und japanischen Theater. Er liebte die chinesische Kultur und Kunst und studierte die alte Philosophie Chinas, die Geschichte der Tang-Zeit, das Theater der Yuan-Dynastie und das philosophische Denken Mao Zedongs. Von der traditionellen chinesischen Bühnenkunst war er besonders hingerissen. Es lässt sich durchaus sagen, dass er in ihr einen ganz neuen künstlerischen Kosmos erblickte. Er entdeckte, dass sie mit seiner eigenen Bühnentheorie viele Gemeinsamkeiten in prinzipieller und methodischer Hinsicht aufwies, wodurch ihm nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch Ermunterung zuteil wurde.

1935 sah Bertolt Brecht in Moskau die Aufführung einer chinesischen Truppe, in der der große Meister der Peking-Oper Mei Lanfang mitwirkte. Im folgenden Jahr veröffentlichte er eine bedeutende Abhandlung, in der er die chinesische Theaterkunst besprach und seine Eindrücke von ihr schilderte. Wenn man den Artikel liest, merkt man, dass er in dem, was er sah, vieles vorfand, das er selbst für das Theater forderte und erstrebte. Natürlich handelt es sich trotz allem um zwei sehr verschiedene Theaterformen. Das chinesische Operntheater ist eine Gesamtkunstform, die Singen, Sprechen, Tanzen und Akrobatik miteinschließt, während die Brechtschen Schauspiele dem europäischen Drama zuzuordnen sind. Doch in theatertheoretischer und darstellungsmethodischer Hinsicht gibt es viele Gemeinsamkeiten. So schrieb Brecht: „In stilistischer Hinsicht ist das epische Theater nichts besonders Neues. Mit seinem Ausstellungscharakter und seiner Betonung des Artistischen ist es dem uralten asiatischen Theater verwandt.“ („Vergnügungstheateer oder Lehrtheater?“)

Das europäische Sprechtheater wurde in China vor rund 70 Jahren eingeführt. In der relativ kurzen Zeitspanne seither wuchs und erstarkte es im Gefolge der Entwicklung der Revolution des chinesischen Volkes. Neben hervorragenden Dramatikern – genannt seien Guo Moruo, Cao Yu, Lao She und Xia Yan – traten auch großartige Regisseure, Dramaturgen und Schauspieler auf. Dramen und Aufführungen von hohem künstlerischen Niveau fanden auch international Beachtung. Im ganzen gesehen, ist unser Sprechtheater jedoch noch nicht aufgereift. Sowohl was die Stücke als auch was die Aufführungsform betrifft, bestehen noch allerlei Schwächen. Den Dramen, die geschrieben werden, haftet ein gewisser formaler Konservatismus an und es mangelt ihnen an gedanklicher Tiefe. Die Inszenieerungen sind relativ einförmig und nicht spritzig genug. Um das Niveau zu heben, ist das Studium unserer eigenen Traditionen sicherlich sehr wichtig, doch ebenso unverzichtbar ist es, dass wir uns mit den ausländischen Kunstströmungen auseinandersetzen. Wir sollten nicht nur Stanislavsky studieren, sondern auch Bertolt Brecht.

Im März 1981 fand in Hong Kong ein internationales Brecht-Forum statt, dessen Teilnehmer aus neun Ländern und Gebieten kamen. Ich nahm mit mehreren anderen chinesischen Kollegen daran teil. Zentrales Thema war die Realisierung der Brechtschen Stücke in Ostasien und insbesondere in China. Auch ausländische Theaterwissenschaftler, so zeigte sich dabei, verfolgen mit Interesse die Brecht-Rezeption in China. Die Auseinandersetzung mit Bertolt Brecht befindet sich in China noch im Anfangsstadium. Wir müssen ihn noch eingehend studieren, noch mehr seiner Werke ins Chinesische übersetzen und noch mehr seiner Stücke auf unseren Bühnen inszenieren, damit die Theaterrfreunde unseres Landes Gelegenheit haben, diesen großen Autor und Dramatiker möglichst umfassend kennen zu lernen.

Aus „China im Aufbau“, Nr. 6, 1982

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