Januar 2004
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Die Kanton-Oper

Ein Kurzporträt von Peng Shouhui

Yue, die Provinz Guangdong, ist die Heimat des Yueju, der Kanton-Oper. Zu Hause ist diese regionale Kunstform ebenfalls in Gui, dem Land der Kassiablüte – ein anderer Name für Guangxi -, wo man die gleiche Sprache spricht.

Zeitlich gesehen liegt der Ursprung der Kanton-Oper zwischen den Regierungszeiten der Qing-Kaiser Yong Zheng und Dao Guang, also in der Zeit von 1720 bis zur Jahrhundertwende. Ihre endgültige Form fand sie, nachdem sie Elemente aus den Opern anderer Provinzen adaptiert und sich einige gefällige Sequenzen aus Lokalopern und volkstümlichen Melodien assimiliert hatte.

Yue und Gui sind die beiden Südprovinzen, von denen aus sich einmal das Südchinesische Meer bis weit zu fernen Ländern hin erstreckt und zum anderen Indochina vor der Haustüre liegt. Als nun Mitte des vorvorigen Jahrhunderts viele auszogen, um in der Ferne ihr Glück zu machen, nahmen sie ihre Oper mit. So findet sich die Kanton-Oper heute denn auch in ganz Südostasien bis hinunter zum australischen Kontinent; und geht jemand in den USA, in Kanada, Mexiko oder sogar Kuba ins Theater, um sich eine chinesische Oper anzusehen, so mag diese sehr wohl die Kanton-Oper sein.

Welche Lebenskraft in dieser Operform steckt, zeigt der Umstand, dass sie in ihrer Geschichte von 260 Jahren bereits ein Repertoire von über 5000 traditionellen Stücken zusammengetragen hat, von denen die meisten schon wieder verschlissen, etwa 1500 aber am Leben und aufführbar sind. Der Umfang der von ihr aufgegriffenen Themen reicht von historischen Legenden und lokalen Begebenheiten über moderne Thematiken bis zu aus dem Ausland stammenden Stoffen; formal schließen ihre Darbietungen die Originalvorführungen wie auch auf die Höhepunkte einer Oper reduzierte, zusammengefasste oder überarbeitete Stücke ein.

Musiksystematisch gehört die Kanton-Oper dem Untersystem an, dem auch die Opern von Anhui und Hubei sowie die Peking-Oper zugehören. Grundsätzlich stützt sich ihre Musik wie in der Peking-Oper auch auf einen von hölzernen Klappern angegebenen Takt; diese Ban genannten Kastagnetten regulieren das Tempo des ganzen Orchesters. Für die darüber liegenden Melodien und die Liedzeilen gibt es zwei Arten der Vertonung. Bei wichtigen Gesangstexten wird die Melodie dem Text angepasst, genauso kann der Text durch Verkürzung bzw. Füllwörter der vorgegebenen Melodie angeglichen werden. Allerdings gibt es auch eine ganze Reihe vorgegebener Melodien, in die die meisten – oft fünf- bis siebenzeiligen – Liedzeilen und Gedichtstrophen ohnehin hineinpassen.

Die Melodien in dieser Opernform teilen sich in die Kategorien Erhuang, Xipi, Bangzi, Nanyin, Muyu, Xianshuige, Longzhou, Fanqu und weitere; nach den beiden ersten wird dieses Musiksystem für die Oper deshalb auch Pihuang-System genannt. Ein weiterer Punkt und eine musikalische Besonderheit der Kanton-Oper ist, dass sie von Zeit zu Zeit einige unter den Leuten beliebte Liedchen, Volksschlager und Gassenhauer wie auch neue Liedkompositionen in ihren Korpus aufnimmt. Außer den bereits vorhandenen Liedern, die in den Stücken der Kanton-Oper bestimmten Versformen angepasst worden sind (zumeist Liedgedichten der Form Ci, deren Zeilenlänge nicht festliegt), gehen z. B. auch Lieder und Gesänge des übrigen Südchina, vor allem aus Jiangxi und Zhejiang, und noch nicht berühmtes Liedgut aus Guangdong in die gesungenen oder deklamierten Vorträge ein, häufig ebenfalls in der Form eines Ci. Zuweilen wird auch ein neues Lied für einen vorhandenen Text neu komponiert.

Eine weitere Besonderheit, die wie die Adaptierung fremden chinesischen Materials viel zur klanglichen Anreicherung der Kanton-Oper beigetragen hat, ist die Aneignung westlicher Musikinstrumente. Vordem hatten die Opernorchester sich im Wesentlichen nur der Zupfinstrumente Erxian und Sanxian (einer zwei- bzw. dreisaitiigen Gitarre), der viersaitigen Mondleier, der „Sandtrommel“ und anderer traditioneller Instrumente bedient; im 20. Jahrhundert kamen das Saxophon, das Cello und die Violine dazu. Zur weiteren Veränderung der orchestralen Klangfülle trug die Weiterentwicklung der zweisaitigen chinesischen Geige bei, der Erhu, die heute als Gaohu das wichtigste Begleitinstrument der Kanton-Oper darstellt. Damit war zugleich verhindert, dass die Begleitmusik im eisigen Bett der strengen Form zur Leblosigkeit erstarrt. Die Begleitung insgesamt setzt sich aus Saiten-, Blas- und Schlaginstrumenten zusammen. Letztere sind u. a. große Becken, Gongs, Tamtams, große Trommeln usw.; einmal in Aktion, sind sie imstande, das ganze Stück mit einem alles durchdringenden Rhythmus zu verbinden. Wenn die Musiker gut sind, liegt allein schon in ihrer Darbietung das Wesentliche und die Atmosphäre des Stückes verborgen. Ein Satz Gongs und Trommeln, so heißt es hier, sind schon das halbe Spiel.

Von den akrobatischen Einlagen und den Kampfszenen auf der Bühne her gesehen gehört das Yueju der „Süd-Schule“ an, welche vom Zweikampf bis hin zum Shaolin-Boxen eine ganze Menge Disziplinen lehrt. Die martialischen Xiaowu und Wusheng, die auf den Brettern der Kanton-Oper ihre Kämpfe austragen, praktizieren alle Qigong während der Aufführung, eine Tiefatemtechnik, die die physische Energie in bestimmte Körperpartien leitet, und eine bestimmte Technik des Grimassenschneidens namens Miangong. Nicht selten trifft man sellbst die betagteren unter den Artisten noch dabei an, wie sie auf der Bühne herumstolzieren, auf einem Bein stehend umhersphären oder kämpfen, wild mit den Augen rollen, ihre Löwenmahne nach hinten werfen und andere unerwartete Dinge mehr.

Die Kostümierung der Kanton-Oper legt das Schwergewicht auf schlichte Eleganz und auf Frische. Man sieht ihr an, wieviele Anregungen und Einflüsse sie vom berühmten Foshan- und Shiwan-Porzellan, von der Scherenschnittkunst Guangdongs und von der Stickereikunst dieser Provinz empfangen hat.

Aus „China im Aufbau“, Nr. 6, 1982

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