Die
Kanton-Oper
Ein Kurzporträt von Peng Shouhui

Yue, die Provinz Guangdong,
ist die Heimat des Yueju, der Kanton-Oper. Zu Hause ist diese
regionale Kunstform ebenfalls in Gui, dem Land der Kassiablüte
– ein anderer Name für Guangxi -, wo man die gleiche Sprache
spricht.
Zeitlich gesehen liegt der Ursprung
der Kanton-Oper zwischen den Regierungszeiten der Qing-Kaiser
Yong Zheng und Dao Guang, also in der Zeit von 1720 bis zur
Jahrhundertwende. Ihre endgültige Form fand sie, nachdem sie
Elemente aus den Opern anderer Provinzen adaptiert und sich
einige gefällige Sequenzen aus Lokalopern und volkstümlichen
Melodien assimiliert hatte.
Yue und Gui sind die beiden
Südprovinzen, von denen aus sich einmal das Südchinesische
Meer bis weit zu fernen Ländern hin erstreckt und zum
anderen Indochina vor der Haustüre liegt. Als nun Mitte des
vorvorigen Jahrhunderts viele auszogen, um in der Ferne ihr
Glück zu machen, nahmen sie ihre Oper mit. So findet sich
die Kanton-Oper heute denn auch in ganz Südostasien bis hinunter
zum australischen Kontinent; und geht jemand in den USA, in
Kanada, Mexiko oder sogar Kuba ins Theater, um sich eine chinesische
Oper anzusehen, so mag diese sehr wohl die Kanton-Oper sein.
Welche
Lebenskraft in dieser Operform steckt, zeigt der Umstand,
dass sie in ihrer Geschichte von 260 Jahren bereits ein Repertoire
von über 5000 traditionellen Stücken zusammengetragen hat,
von denen die meisten schon wieder verschlissen, etwa 1500
aber am Leben und aufführbar sind. Der Umfang der von ihr
aufgegriffenen Themen reicht von historischen Legenden und
lokalen Begebenheiten über moderne Thematiken bis zu aus dem
Ausland stammenden Stoffen; formal schließen ihre Darbietungen
die Originalvorführungen wie auch auf die Höhepunkte
einer Oper reduzierte, zusammengefasste oder überarbeitete
Stücke ein.
Musiksystematisch gehört
die Kanton-Oper dem Untersystem an, dem auch die Opern von
Anhui und Hubei sowie die Peking-Oper zugehören. Grundsätzlich
stützt sich ihre Musik wie in der Peking-Oper auch auf einen
von hölzernen Klappern angegebenen Takt; diese Ban genannten
Kastagnetten regulieren das Tempo des ganzen Orchesters. Für
die darüber liegenden Melodien und die Liedzeilen gibt es
zwei Arten der Vertonung. Bei wichtigen Gesangstexten wird
die Melodie dem Text angepasst, genauso kann der Text durch
Verkürzung bzw. Füllwörter der vorgegebenen Melodie angeglichen
werden. Allerdings gibt es auch eine ganze Reihe vorgegebener
Melodien, in die die meisten – oft fünf- bis siebenzeiligen
– Liedzeilen und Gedichtstrophen ohnehin hineinpassen.
Die Melodien in dieser Opernform
teilen sich in die Kategorien Erhuang, Xipi, Bangzi, Nanyin,
Muyu, Xianshuige, Longzhou, Fanqu und weitere; nach den beiden
ersten wird dieses Musiksystem für die Oper deshalb auch Pihuang-System
genannt. Ein weiterer Punkt und eine musikalische Besonderheit
der Kanton-Oper ist, dass sie von Zeit zu Zeit einige unter
den Leuten beliebte Liedchen, Volksschlager und Gassenhauer
wie auch neue Liedkompositionen in ihren Korpus aufnimmt.
Außer den bereits vorhandenen Liedern, die in den Stücken
der Kanton-Oper bestimmten Versformen angepasst worden sind
(zumeist Liedgedichten der Form Ci, deren Zeilenlänge
nicht festliegt), gehen z. B. auch Lieder und Gesänge
des übrigen Südchina, vor allem aus Jiangxi und Zhejiang,
und noch nicht berühmtes Liedgut aus Guangdong in die gesungenen
oder deklamierten Vorträge ein, häufig ebenfalls
in der Form eines Ci. Zuweilen wird auch ein neues Lied für
einen vorhandenen Text neu komponiert.
Eine weitere Besonderheit, die
wie die Adaptierung fremden chinesischen Materials viel zur
klanglichen Anreicherung der Kanton-Oper beigetragen hat,
ist die Aneignung westlicher Musikinstrumente. Vordem hatten
die Opernorchester sich im Wesentlichen nur der Zupfinstrumente
Erxian und Sanxian (einer zwei- bzw. dreisaitiigen Gitarre),
der viersaitigen Mondleier, der „Sandtrommel“ und anderer
traditioneller Instrumente bedient; im 20. Jahrhundert kamen
das Saxophon, das Cello und die Violine dazu. Zur weiteren
Veränderung der orchestralen Klangfülle trug die Weiterentwicklung
der zweisaitigen chinesischen Geige bei, der Erhu, die heute
als Gaohu das wichtigste Begleitinstrument der Kanton-Oper
darstellt. Damit war zugleich verhindert, dass die Begleitmusik
im eisigen Bett der strengen Form zur Leblosigkeit erstarrt.
Die Begleitung insgesamt setzt sich aus Saiten-, Blas- und
Schlaginstrumenten zusammen. Letztere sind u. a. große
Becken, Gongs, Tamtams, große Trommeln usw.; einmal
in Aktion, sind sie imstande, das ganze Stück mit einem alles
durchdringenden Rhythmus zu verbinden. Wenn die Musiker gut
sind, liegt allein schon in ihrer Darbietung das Wesentliche
und die Atmosphäre des Stückes verborgen. Ein Satz Gongs
und Trommeln, so heißt es hier, sind schon das halbe
Spiel.
Von den akrobatischen Einlagen
und den Kampfszenen auf der Bühne her gesehen gehört
das Yueju der „Süd-Schule“ an, welche vom Zweikampf bis hin
zum Shaolin-Boxen eine ganze Menge Disziplinen lehrt. Die
martialischen Xiaowu und Wusheng, die auf den Brettern der
Kanton-Oper ihre Kämpfe austragen, praktizieren alle
Qigong während der Aufführung, eine Tiefatemtechnik,
die die physische Energie in bestimmte Körperpartien
leitet, und eine bestimmte Technik des Grimassenschneidens
namens Miangong. Nicht selten trifft man sellbst die betagteren
unter den Artisten noch dabei an, wie sie auf der Bühne herumstolzieren,
auf einem Bein stehend umhersphären oder kämpfen,
wild mit den Augen rollen, ihre Löwenmahne nach hinten
werfen und andere unerwartete Dinge mehr.
Die
Kostümierung der Kanton-Oper legt das Schwergewicht auf schlichte
Eleganz und auf Frische. Man sieht ihr an, wieviele Anregungen
und Einflüsse sie vom berühmten Foshan- und Shiwan-Porzellan,
von der Scherenschnittkunst Guangdongs und von der Stickereikunst
dieser Provinz empfangen hat.
Aus
„China im Aufbau“, Nr. 6, 1982