Dezember 2002
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Chinesisches Allerlei

Sind die Schatten zu retten?
Der traditionellen Volkskultur eine Bühne bieten

Der traditionellen Volkskultur

eine Bühne bieten

Die Aufführungen der Schattenspieltruppe aus Huanxian an der Peking- und der Qinghua-Universität wurden von der Tongji Kultur & Medien GmbH gesponsert. „China heute“ sprach mit Li Ge, dem Vizedirektor und Verantwortlichen für das Volkskulturprogramm.

Woher kommt das Interesse Ihrer Firma für die Volkskultur?

Li: Das Interesse ist in erster Linie mein eigenes. Ich habe mich von klein auf für Volkslieder, Balladengesang, Musik usw. begeistert. Volkskunstaufführungen machen nur den kleinsten Teil unserer Veranstaltungen aus, denn damit verdient man kein Geld. Doch der Chef denkt sehr fortschrittlich. Einen Teil des Gewinns, den wir mit den anderen Aktivitäten erzielen, fließt in den Schutz und die Erhaltung der Volkskünste. Selbstverständlich hoffen wir, dass eines Tages auch Volkskunstveranstaltungen profitabel sein werden, doch im Moment ist der Markt dafür einfach zu klein. Wir sind fürs Erste zufrieden, wenn wir es schaffen, unsere Kosten zu decken. Man muss erst ein Publikum für traditionelle chinesische Volkskünste heranbilden.

Was ist denn Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass das Interesse in der Bevölkerung so gering ist?

Li: In erster Linie liegt es daran, dass niemand wirklich weiß, was authentische traditionelle Volkskunst ist. Nehmen wir die Musik als Beispiel: Die meisten Leute hören Pop, Rock, Jazz, Klassik. Es gibt nur sehr wenige, die bewusst traditionelle chinesische Musik hören, als Teil der chinesischen Kultur – nicht, weil die anderen das nicht wollen, sondern weil sie keine Gelegenheit haben, mit ursprünglicher, unverdorbener Volksmusik in Berührung zu kommen. Was sie zu hören und sehen kriegen, sind diese Auftritte in Fernsehshows. Was da geboten wird, kann man eigentlich nicht als Volksmusik bezeichnen.

Ein weiteres Problem liegt darin, dass es an Musikfirmen fehlt, die chinesische Volksmusik verlegen. Diejenigen, die es tun, tun es auf Anweisung des Staates. Sie erfüllen nur eine Vorgabe und haben selber kein Interesse daran. Das Programm ist denn auch recht eintönig. Die Leute, die wirklich Interesse zeigen, kommen alle von außerhalb. In Taiwan und Hong Kong gibt es einige Firmen, die für Aufnahmen aufs Festland kommen und nach ursprünglicher Volksmusik suchen. Es tut weh zu sehen, dass es hier niemanden gibt, der sich der Volkskultur annimmt und sich für seine Erhaltung einsetzt. Denn den Auswärtigen fehlen Kenntnisse über den Hintergrund, über das Umfeld und die Geschichte der Volkskünste hierzulande.

Dennoch waren die Aufführungen an der Peking- und der Qinghua-Universität gut besucht. Auch wenn es am freien Eintritt lag – das größte Publikum für traditionelle Volkskunst scheint in den großen Städten zu sein.

Li: Ja, genau. Wir wollen traditionelle Volkskunst in den Städten verbreiten. Gerade die Studenten verlangen nach geistiger Abwechslung. Einige von ihnen finden das Leben in der Stadt vielleicht eintönig, vermissen etwas im kulturellen Angebot. Doch wer sich für Volkskultur interessiert, hat in Beijing keine Möglichkeit, ihr zu begegnen. Es gibt keinen Ort in dieser Stadt, wo sich Interessierte und Darsteller treffen können. Wir wollen einen solchen Ort gründen, einen festen Aufführungsort für Volkskünste, eine Adresse, wo die Leute wissen, da kann man ursprüngliche Volkskultur aus allen Ecken des Landes sehen. Unsere Firma will eine Brücke sein. Wir wollen den Leuten in den Städten die Gelegenheit geben, das wirklich Chinesische, das ursprünglich Chinesische zu sehen. Auf der anderen Seite ermöglichen wir es den Volkskünstlern aus der Provinz, in den großen Städten aufzutreten. Ihnen fehlt, als Bauern, das Verständnis für den Kulturmarkt, sie haben die Kontakte nicht, um eine Aufführung in Beijing oder Shanghai zu organisieren, und auch nicht die Mittel, um Werbung für sich zu machen.

Dadurch, dass wir diese Darsteller in die Städte bringen, sichern wir gleichzeitig den Erhalt der Volkskünste, indem wir die Aufmerksamkeit der Städter darauf lenken und dazu beitragen, dass sich bei ihnen ein Bewusstsein für die Bedrohung der Volkskultur bildet. Das ist sehr wichtig. Wenn die Schattenspieltruppe aus Huanxian nicht nach Beijing gekommen wäre, würde ihre Kunst bald verschwinden. Nur sind die Möglichkeiten unserer Firma natürlich begrenzt. Vielleicht können wir durch unsere Aktivitäten einen Beitrag zur Rettung des Schattenspiels in Huanxian leisten, doch wer kümmert sich um die regionalen Stile von Shaanxi oder Hebei? Von anderen Volkskünsten ganz zu schweigen. Wir tun, was wir können, mehr geht leider nicht. Wir hoffen aber, dass mit der Zeit noch mehr Leute und Firmen ein entsprechendes Interesse entwickeln und sich für die Volkskultur einsetzen. Dann erst wird es um ihren Erhalt besser bestellt sein.

Glauben Sie, dass die Rechnung aufgeht, die Tradition in die Großstadt zu bringen, um sie zu erhalten? Wird sie noch ursprünglich sein, wenn man sie aus ihrem Umfeld herauslöst?

Li: Das oberste Ziel ist natürlich, zunächst einmal ihr Verschwinden zu verhindern. Was die Zukunft der Volkskünste angeht – man kann eine Schattenspieltruppe zwar für Aufführungen nach Beijing holen, für ein, zwei, ein Dutzend, gar hunderte, doch das ändert natürlich gewisse grundlegende Gegebenheiten nicht, die ihre zukünftige Entwicklung in ihrem Ursprungsgebiet bestimmen. Wir sind uns bewusst, dass die Verlagerung in die Stadt gezwungenermaßen einen Einfluss auf die Volkskünste haben wird. Ihre Ursprünglichkeit wird vielleicht beeinträchtigt werden. Wir sind in diesem Punkt auch gespalten. Aber vordringlich gilt es, zu retten, was noch da ist.

Was das Schattenspiel betrifft, haben wir uns u. a. überlegt, Aufnahmen von Aufführungen auf Video-CD oder DVD zu verkaufen. Doch damit bewahrt man ja nur eine Hülle. Unser Wunsch ist es, die Kunst selber am Leben zu erhalten und ihre Weitergabe zu sichern. Denn letztendlich sind diese Künste von den Menschen nicht zu trennen, die sie darbieten. Schaut man sich nur eine Aufzeichnung an, spürt man den Reiz nicht, der davon ausgeht. Selbst wenn man sich einen Auftritt in Beijing anschaut, fehlt ein gewisses Etwas. Erst wenn man sich Volkskunst in ihrer heimatlichen Umgebung anschaut, entfaltet sie ihre volle Wirkung.

Haben Sie sich mit den Schattenspielern aus Huanxian über eine weitere Zusammenarbeit verständigt? Wie sehen da Ihre Pläne aus?

Li: Mit Huanxian haben wir schon vereinbart, dass wir als ihre Agenten wirken werden, sowohl für Aufführungen als auch für den Verkauf von Kunsthandwerk. Wir bereiten weitere Auftritte in verschiedenen Orten des Landes vor, aber auch im Ausland. Wir haben schon einige gute Kontakte zu ausländischen Botschaften und hoffen, auf diesem Weg einige Auslandstourneen organisieren zu können. Das Schattenspiel aus Huanxian war ja 1987 schon einmal in Italien. Was wir von diesen Plänen verwirklichen können, wird sich weisen.

Und sonst, welche Projekte verfolgen sie daneben noch?

Li: In nächster Zeit planen wir Aufnahmen von einer Sängerin in Yunnan, die schon über 80 Jahre alt ist. Sie ist eine der letzten Vertreterinnen einer Tradition, in der Erzählungen und Berichte über Vorgefallenes singend vorgetragen werden. Sie weiß noch über 100 Lieder, aber schon ihre Enkel können das nicht mehr. Sie ist wohl bereits zu alt für Aufführungen in Beijing, deshalb wollen wir sie aufnehmen, einfach um für die Zukunft zu dokumentieren, dass es so etwas in China einmal gegeben hat. Dann planen wir Ähnliches mit einem Sänger aus Shaanxi und einem aus der Inneren Mongolei. Wir wollen es aber nicht einfach bei den Aufnahmen belassen, sondern eine umfassende Dokumentation zusammenstellen mit Material über das Umfeld, in dem diese Traditionen überlebt haben, ihre Geschichte, Entwicklung usw.

Interview: Olivier Roos

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