Der
traditionellen Volkskultur
eine
Bühne bieten
Die Aufführungen der Schattenspieltruppe
aus Huanxian an der Peking- und der Qinghua-Universität
wurden von der Tongji Kultur & Medien GmbH gesponsert.
„China heute“ sprach mit Li Ge, dem Vizedirektor und Verantwortlichen
für das Volkskulturprogramm.
Woher kommt das Interesse Ihrer Firma für die Volkskultur?
Li: Das Interesse ist in erster Linie mein
eigenes. Ich habe mich von klein auf für Volkslieder, Balladengesang,
Musik usw. begeistert. Volkskunstaufführungen machen nur den
kleinsten Teil unserer Veranstaltungen aus, denn damit verdient
man kein Geld. Doch der Chef denkt sehr fortschrittlich. Einen
Teil des Gewinns, den wir mit den anderen Aktivitäten
erzielen, fließt in den Schutz und die Erhaltung der
Volkskünste. Selbstverständlich hoffen wir, dass eines
Tages auch Volkskunstveranstaltungen profitabel sein werden,
doch im Moment ist der Markt dafür einfach zu klein. Wir sind
fürs Erste zufrieden, wenn wir es schaffen, unsere Kosten
zu decken. Man muss erst ein Publikum für traditionelle chinesische
Volkskünste heranbilden.
Was
ist denn Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass das Interesse
in der Bevölkerung so gering ist?
Li: In erster Linie liegt es daran, dass
niemand wirklich weiß, was authentische traditionelle
Volkskunst ist. Nehmen wir die Musik als Beispiel: Die meisten
Leute hören Pop, Rock, Jazz, Klassik. Es gibt nur sehr
wenige, die bewusst traditionelle chinesische Musik hören,
als Teil der chinesischen Kultur – nicht, weil die anderen
das nicht wollen, sondern weil sie keine Gelegenheit haben,
mit ursprünglicher, unverdorbener Volksmusik in Berührung
zu kommen. Was sie zu hören und sehen kriegen, sind diese
Auftritte in Fernsehshows. Was da geboten wird, kann man eigentlich
nicht als Volksmusik bezeichnen.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass es
an Musikfirmen fehlt, die chinesische Volksmusik verlegen.
Diejenigen, die es tun, tun es auf Anweisung des Staates.
Sie erfüllen nur eine Vorgabe und haben selber kein Interesse
daran. Das Programm ist denn auch recht eintönig. Die
Leute, die wirklich Interesse zeigen, kommen alle von außerhalb.
In Taiwan und Hong Kong gibt es einige Firmen, die für Aufnahmen
aufs Festland kommen und nach ursprünglicher Volksmusik suchen.
Es tut weh zu sehen, dass es hier niemanden gibt, der sich
der Volkskultur annimmt und sich für seine Erhaltung einsetzt.
Denn den Auswärtigen fehlen Kenntnisse über den Hintergrund,
über das Umfeld und die Geschichte der Volkskünste hierzulande.
Dennoch waren die Aufführungen an der Peking- und der Qinghua-Universität
gut besucht. Auch wenn es am freien Eintritt lag – das größte
Publikum für traditionelle Volkskunst scheint in den großen
Städten zu sein.
Li: Ja, genau. Wir wollen traditionelle
Volkskunst in den Städten verbreiten. Gerade die Studenten
verlangen nach geistiger Abwechslung. Einige von ihnen finden
das Leben in der Stadt vielleicht eintönig, vermissen
etwas im kulturellen Angebot. Doch wer sich für Volkskultur
interessiert, hat in Beijing keine Möglichkeit, ihr zu
begegnen. Es gibt keinen Ort in dieser Stadt, wo sich Interessierte
und Darsteller treffen können. Wir wollen einen solchen
Ort gründen, einen festen Aufführungsort für Volkskünste,
eine Adresse, wo die Leute wissen, da kann man ursprüngliche
Volkskultur aus allen Ecken des Landes sehen. Unsere Firma
will eine Brücke sein. Wir wollen den Leuten in den Städten
die Gelegenheit geben, das wirklich Chinesische, das ursprünglich
Chinesische zu sehen. Auf der anderen Seite ermöglichen
wir es den Volkskünstlern aus der Provinz, in den großen
Städten aufzutreten. Ihnen fehlt, als Bauern, das Verständnis
für den Kulturmarkt, sie haben die Kontakte nicht, um eine
Aufführung in Beijing oder Shanghai zu organisieren, und auch
nicht die Mittel, um Werbung für sich zu machen.
Dadurch, dass wir diese Darsteller in die
Städte bringen, sichern wir gleichzeitig den Erhalt der
Volkskünste, indem wir die Aufmerksamkeit der Städter
darauf lenken und dazu beitragen, dass sich bei ihnen ein
Bewusstsein für die Bedrohung der Volkskultur bildet. Das
ist sehr wichtig. Wenn die Schattenspieltruppe aus Huanxian
nicht nach Beijing gekommen wäre, würde ihre Kunst bald
verschwinden. Nur sind die Möglichkeiten unserer Firma
natürlich begrenzt. Vielleicht können wir durch unsere
Aktivitäten einen Beitrag zur Rettung des Schattenspiels
in Huanxian leisten, doch wer kümmert sich um die regionalen
Stile von Shaanxi oder Hebei? Von anderen Volkskünsten ganz
zu schweigen. Wir tun, was wir können, mehr geht leider
nicht. Wir hoffen aber, dass mit der Zeit noch mehr Leute
und Firmen ein entsprechendes Interesse entwickeln und sich
für die Volkskultur einsetzen. Dann erst wird es um ihren
Erhalt besser bestellt sein.
Glauben Sie, dass die Rechnung
aufgeht, die Tradition in die Großstadt zu bringen, um
sie zu erhalten? Wird sie noch ursprünglich sein, wenn man sie
aus ihrem Umfeld herauslöst?
Li: Das oberste Ziel ist natürlich, zunächst
einmal ihr Verschwinden zu verhindern. Was die Zukunft der
Volkskünste angeht – man kann eine Schattenspieltruppe zwar
für Aufführungen nach Beijing holen, für ein, zwei, ein Dutzend,
gar hunderte, doch das ändert natürlich gewisse grundlegende
Gegebenheiten nicht, die ihre zukünftige Entwicklung in ihrem
Ursprungsgebiet bestimmen. Wir sind uns bewusst, dass die
Verlagerung in die Stadt gezwungenermaßen einen Einfluss
auf die Volkskünste haben wird. Ihre Ursprünglichkeit wird
vielleicht beeinträchtigt werden. Wir sind in diesem
Punkt auch gespalten. Aber vordringlich gilt es, zu retten,
was noch da ist.
Was das Schattenspiel betrifft, haben wir
uns u. a. überlegt, Aufnahmen von Aufführungen auf Video-CD
oder DVD zu verkaufen. Doch damit bewahrt man ja nur eine
Hülle. Unser Wunsch ist es, die Kunst selber am Leben zu erhalten
und ihre Weitergabe zu sichern. Denn letztendlich sind diese
Künste von den Menschen nicht zu trennen, die sie darbieten.
Schaut man sich nur eine Aufzeichnung an, spürt man den Reiz
nicht, der davon ausgeht. Selbst wenn man sich einen Auftritt
in Beijing anschaut, fehlt ein gewisses Etwas. Erst wenn man
sich Volkskunst in ihrer heimatlichen Umgebung anschaut, entfaltet
sie ihre volle Wirkung.
Haben
Sie sich mit den Schattenspielern aus Huanxian über eine weitere
Zusammenarbeit verständigt? Wie sehen da Ihre Pläne
aus?
Li: Mit Huanxian haben wir schon vereinbart,
dass wir als ihre Agenten wirken werden, sowohl für Aufführungen
als auch für den Verkauf von Kunsthandwerk. Wir bereiten weitere
Auftritte in verschiedenen Orten des Landes vor, aber auch
im Ausland. Wir haben schon einige gute Kontakte zu ausländischen
Botschaften und hoffen, auf diesem Weg einige Auslandstourneen
organisieren zu können. Das Schattenspiel aus Huanxian
war ja 1987 schon einmal in Italien. Was wir von diesen Plänen
verwirklichen können, wird sich weisen.
Und sonst, welche Projekte verfolgen sie daneben noch?
Li: In nächster Zeit planen wir Aufnahmen
von einer Sängerin in Yunnan, die schon über 80 Jahre
alt ist. Sie ist eine der letzten Vertreterinnen einer Tradition,
in der Erzählungen und Berichte über Vorgefallenes singend
vorgetragen werden. Sie weiß noch über 100 Lieder, aber
schon ihre Enkel können das nicht mehr. Sie ist wohl
bereits zu alt für Aufführungen in Beijing, deshalb wollen
wir sie aufnehmen, einfach um für die Zukunft zu dokumentieren,
dass es so etwas in China einmal gegeben hat. Dann planen
wir Ähnliches mit einem Sänger aus Shaanxi und einem
aus der Inneren Mongolei. Wir wollen es aber nicht einfach
bei den Aufnahmen belassen, sondern eine umfassende Dokumentation
zusammenstellen mit Material über das Umfeld, in dem diese
Traditionen überlebt haben, ihre Geschichte, Entwicklung usw.
Interview: Olivier Roos