Golmud,
das Kunlun-Gebirge und die Qingzang-Eisenbahnlinie (Xining–Lhasa)
Von Shen
Honglei

Vor kurzem sendete das Chinesische Zentralfernsehen
CCTV-4 einen Beitrag über die Provinz Qinghai. Ein junger Vizegouverneur
stellte der ganzen Welt sein Heimatland vor. Er sagte: „Qinghai
ist ein schönes Gebiet...“ Hinter ihm sah man einen Fluss
durch eine Schlucht rauschen, den sich kräuselnden Salzsee,
die Eisenbahnlinie, die sich vom Bahnhof Golmud in Richtung
Lhasa ausdehnt, und das Qinghai-Tibet-Plateau, das die Sehnsucht
unzähliger Menschen auf sich zieht. Ich hatte die Gelegenheit,
mit der Fotografengruppe „Fokus auf Qinghai 2002“ vom Norden
des Plateaus nach Golmud, zum Kunlun-Gebirge und an die Qingzang-Eisenbahnlinie
zu fahren.
Golmud – eine Stadt, die mit dem Straßenbau
entstanden ist
Zwei
Stunden und 15 Minuten Flug oder 1150 km von Beijing entfernt
liegt Xining, die Hauptstadt der Provinz Qinghai. Die Fahrt
mit dem Zug von Xining nach Golmud führt fast geradlinig von
Osten nach Westen.
Gegen Abend saß ich am Zugfenster. Draußen
glitzerte ein Fluss in der dunkelgrünen Ebene. Die Berge in
der Ferne wurden ganz rot in der Abendsonne. Die Gebirge in
Qinghai ragen im Westen hoch und fallen gegen Osten allmählich
ab. Die ferne und mysteriöse Welt westlicher Zeichentrickfilme
ist hier Wirklichkeit. Nach etwa acht Stunden kommen wir in
Golmud im Qaidam-Becken an.
Das Qaidam-Becken mit seinen unendlichen Sandgebieten
zählt zu den vier großen Becken Chinas. Seit alters
ist es für seine Weite und Breite bekannt. Die Stadt Golmud
liegt am südlichen Rand des Qaidam-Beckens. Im Jahr 1954 kamen
Leute aus allen Teilen Chinas in die tausend Jahre lang unberührte
Gobi-Wüste, um die Qinghai-Tibet-Straße zu bauen.
Mit dem Straßenbau wurden auf dem öden
und verlassenen Hochland die ersten Rufe der Händler hörbar.
Dann setzte ein nicht enden wollender Strom von Gütern auf das
Qinghai-Tibet-Plateau ein. Aber erst in den 80er Jahren, als
Golmud mit Genehmigung des Staatsrats zu einer Kreisstadt erhoben
wurde, begann ihre Entwicklung zu einer Industriestadt. Seither
wurde dort eine Reihe von Großbetrieben errichtet, die
den Rahmen für die wirtschaftliche Entwicklung bildeten, wie
das Gasfeld Sebei, die Raffinerie Golmud und die erste große
Kalidüngerfabrik.
Heute sind die Flöten und Kamelglöckchen
alter Zeit durch dröhnende Züge, Lkws und Flugzeuge ersetzt
worden. Kaufhäuser, Bars, Internet und Erdgas gehören
zum Alltagsleben. Auf den von Bäumen gesäumten Gehsteigen
sieht man sogar ab und zu Ausländer vorbei gehen.
In den Grünanlagen an der gerade im Umbau
befindlichen Kunlun-Straße sieht man Steinbrücken und
bunte Kieswege. Die Staatsstraße 109, die zur Raffinerie
führt, ist sehr breit, und viele Großstädter sind
auf den zügigen Verkehr neidisch. Im Hotel Golmud begegnete
ich vier von Qingdao hierher geflogenen Deutschen. Als sie die
Warnung des Reiseführers vor der Höhenkrankheit hörten,
sagten sie lachend: „Keine Angst. Unser Ziel ist Tibet, das
Dach der Welt.“
Über den Kunlun-Pass, eine Reise durch
1300 Jahre
Durch
den Kunlun-Gebirgspass tritt man in Tibet ein.
Die Straße von Xining über den Gebirgspass
nach Lhasa führt auf über 800 km durch Gebiete, die mehr als
4500 m über dem Meeresspiegel liegen, in der „Sperrzone für
jegliches Leben“.
Das 2500 km lange Kunlun-Gebirge erstreckt
sich vom Pamir im Westen Chinas bis nach Qinghai. Die Durchschnittshöhe
seiner Gipfel liegt zwischen 5500 und 6000 m. Auf dem Kunlun-Gebirge
gibt es mit ewigem Schnee bedeckte Gipfel und eisfreie Quellen.
Der 4767 m hohe Gebirgspass liegt im mittleren Teil des Kunlun
und ist der einzige Weg, der von Qinghai und Gansu nach Tibet
führt. Er ist ein wichtiger Pass der Qinghai-Tibet-Straße
und ein geschichtsträchtiger Ort.
Vor 1300 Jahren ging die Tang-Prinzessin Wencheng
über diesen Weg nach Tibet, um mit Songtsan Gampo die Ehe zu
schließen. Es wurde berichtet, dass sie, aus Chang’an
(dem heutigen Xi’an) kommend, Lhasa erst nach drei Jahren erreichte.
Seit der Gründung des Neuen China erreichte auch die wiederholte
materielle Unterstützung der Zentralregierung Tibet über diesen
Weg.
1951 wurde Tibet friedlich befreit. Die Zentralregierung
setzte mehr als 4000 Kamele, 1/10 des gesamten Kamelbestands
Chinas, ein, um mit Beteiligung der Volksbefreiungsarmee eine
große Karawane für den Gütertransport nach Tibet zu bilden.
Um die Verkehrsverbindungen zu verbessern, legten mehr als 100
000 Soldaten und Bauarbeiter in fünf Jahren auf dem 4000 m hohen
Plateau zwei Straßen an, die „Chuanzang-“ (Sichuan-Tibet)
und die „Qingzang-“Straße (Qinghai-Tibet), mit einer Gesamtlänge
von über 4360 km. Heute werden immer noch 90% der Güter auf
der 1948 km langen Qingzang-Straße nach Tibet transportiert,
sie wird deshalb auch als „Suezkanal auf dem Dach der Welt“
bezeichnet.
Um das Erdölproblem in Tibet zu lösen,
wurde im Jahr 1977 mit staatlichen Investitionen eine 1080 km
lange Pipeline von Golmud nach Lhasa gebaut. Die Ölleitung
führt über das Kunlun-Gebirge und ist eine Energieader, die
vom Landesinneren auf das Dach der Welt führt.
1997 wurde das erste Glasfaserkabel des öffentlichen
Telekommunikationsnetzes nach Tibet verlegt. Das 2739 km lange
Kabel reicht von Lanzhou über Xining bis Lhasa, womit die Abhängigkeit
von Ferngesprächen aus Tibet von der Übertragung über
Satelliten zu Ende ging. Der mitreisende Journalist Jiang Haitao
erzählte mir, als er damals eine Armeeeinheit besuchte,
die mit dem Verlegen des Glasfaserkabels am Tanggula-Pass beauftragt
war, erkältete sich ein Soldat. Er wurde sofort mit einem
Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht. Unterwegs jedoch löste
die Lungenschwellung eine Gehirnblutung aus und er starb. Die
Namen auf den Grabsteinen am Gebirgspass warnen uns alle davor,
dass hier einst eine „Sperrzone für jegliches Leben“ war.
Am 24. Dezember 2001 erfolgte in Tibet der
erste Tunneldurchbruch an der Qingzang-Eisenbahnlinie. Davor
hatten Ministerpräsident Zhu Rongji und Vizeministerpräsident
Wu Bangguo jeweils in Golmud und am Lhasa-Fluss an den Eröffnungszeremonien
für die Bauarbeiten der Eisenbahnlinie teilgenommen. Damit wurde
eine neue Seite in der Geschichte des Verkehrs zwischen Han-Chinesen
und Tibetern aufgeschlagen.
Die Qingzang-Eisenbahnlinie wächst
Tag für Tag
Auf
dem Qinghai-Tibet-Plateau hört man oft den Begriff „Höhe
über Meer“. Die Arbeiter, die am Bau der Eisenbahnlinie teilnehmen,
wurden vorher in Golmud hinsichtlich ihrer Anpassungsfähigkeit
an die Höhe trainiert. Normalerweise zeigt man schon Symptome
von Höhenkrankheit, bevor man Golmud erreicht. Im schlimmeren
Fall fällt das Atmen schwer, wenn man nur einige Schritte
geht. In den 18 Unterkunftswagen auf der Baustelle gibt es eine
Sauerstoffflasche für drei Leute.
Jeden Morgen spielt sich eine interessante
Szene ab. Vor dem Arbeitsbeginn sitzen viele 30-jährige
oder ältere Arbeiter vor dem Spiegel, tragen Sonnenschutzcreme
und Lippenstift auf. Bevor sie hinausgehen, setzen Sie noch
einen Hut und ein Kopftuch auf. Viele Brigaden haben für ihre
Arbeiter speziale Tassen gekauft.
Beim Essen im Mannschaftswagen hörte
ich einen Kader der Baustelle sagen: „Unsere Verantwortung liegt
nicht nur darin, die Arbeit an der Eisenbahnlinie zu leiten,
sondern auch darin, alle Arbeiter unversehrt nach Hause zu bringen!“
Nur an Ort und Stelle kann man das Gewicht der Verantwortung
begreifen. Es gab in den 50er Jahren einen chinesischen Film,
der vom Alltagsleben der Helfer beim Aufbau Tibets handelt.
Der Film heißt „Ein Grashalm im Kunlun-Gebirge“. Nur wer
im Kunlun-Gebirge war, weiß, warum hier kein Leben gedeiht.
Wenn man keine Rücksicht darauf nimmt, droht einem der Tod.
Auf der Baustelle verlängert sich die
Eisenbahnlinie jeden Tag. Die Arbeit auf dem Plateau ist sehr
hart. Dass es Menschen gibt, die dieser Härte trotzen,
rührt Tausende und Abertausende von Chinesen.
Auf dem Bürotisch des Gewerkschaftsvorsitzenden
bei der Chinesischen Eisenbahndirektion für Bauingenieurwesen
Nr. 1 lagen viele Briefe von Rentnern. In einem Brief stand
geschrieben: „Immer wenn ich im Nachrichtenprogramm die Transparente
der chinesischen Eisenbahn auf der Baustelle flattern sehe,
bin ich begeistert. Ich bin stolz auf Sie! Wenn einst ein Zug
auf dieser Eisenbahnlinie fährt, wird das Qinghai-Tibet-Plateau
uns ganz nah sein...“
Unterwegs legten einige von uns grüne Grashalme
ins Notizbuch. Nur wenn man persönlich hier gewesen ist,
weiß man, was Unbeugsamkeit heißt.