Kurze
Einführung in
die
Peking-Oper
Von
M.-L. Latsch-Heberer

Im Mai dieses Jahres geht die Shanghaier
Peking-Oper-Truppe auf Tournee in Deutschland. Dies möchte
ich zum Anlass nehmen, kurz eine Einführung in die Peking-Oper
zu geben, denn diese Theaterform ist für den westlichen Betrachter
relativ schwer zugänglich, und zudem ist dieses klassische
Musiktheater von unserer Oper grundsätzlich verschieden.
Alle Aspekte jedoch fundiert und bis ins
einzelne darzulegen würde eine genauere Analyse erfordern
und ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt.
Zur
Geschichte
Von einer Peking-Oper als solcher kann man
seit ungefähr 200 Jahren sprechen. Die Ursprünge reichen
allerdings weit in die Geschichte zurück. Großen Einfluss
auf die Entwicklung hatte beispielsweise das Kunqu, eine Singspielform,
die sich zur Zeit der Ming-Dynastie entwickelte, und von der
heute noch viele Elemente beim Gesang, beim Tanz und bei der
Musikbegleitung festgestellt werden können.
Die Peking-Oper entwickelte sich aus einer
Synthese verschiedener Lokalopern, hauptsächlich aus
der Hui-Oper aus Anhui und der Han-Oper aus Hubei.
Besondere Merkmale
Als besonders charakteristisch für die Peking-Oper
wäre zu nennen, dass in ihr Gattungen vereint sind, die
bei der europäischen Bühnenkunst scharf getrennt sind,
wie Gesang mit Orchesterbegleitung, das gesprochene Wort,
Pantomime, Akrobatik. Der Darsteller ist Schauspieler, Tänzer,
Akrobat, alles in einem.
Dabei haben sich verschiedene Formen herausgebildet.
Manchmal überwiegen Musik und Gesang, manchmal die Pantomime,
wieder bei einer anderen Art überwiegen die Kampfszenen -
also die Akrobatik - und bei einer vierten schließlich
steht das gesprochene Wort im Vordergrund.
Musik und Sprechen
Die Zusammenstellung der begleitenden Instrumente
kann je nach Stück sehr variieren. Mal dominieren die Schlaginstrumente,
mal die Streich- oder Blasinstrumente. Generell kann aber
gesagt werden, dass zum Peking-Oper-Orchester folgende Instrumente
gehören: die zweisaitigen Fideln (Erhu, Huqin), Flöten,
die Mundorgel (Sheng), die viersaitige Mondguitarre (Yueqin),
die chinesische Laute (Pipa), eine Art Klarinette (Sona),
Trommeln, verschiedene Arten von Glocken, Becken, ein hölzerner
Taktschlegel. Der "Schlagzeuger" dirigiert gleichzeitig
das Orchester. Musikalisch werden Auftritte und Abgänge
unterstrichen, Kämpfe im allgemeinen mit Schlaginstrumenten
untermalt, Gesänge mit Streich- oder Blasinstrumenten
begleitet, pantomimische Darbietungen unterstrichen.
Singen und Dialoge sind eng miteinander
verworben. Normalerweise wird der Gesang benutzt, um starke
emotionale Intensität auszudrücken. Oftmals wird im Gesang
noch einmal wiederholt, was vorher schon gesprochen wurde.
An dieser Stelle auf die Unterschiede in
den verschiedenen Gesangsstilen, ihre Entwicklung und Herkunft
einzugehen, würde zu weit führen. Allgemein gesagt werden
muss jedoch, dass gerade Musik und Gesang das Bestimmende,
das wesentlichste Element der Peking-Oper sind. Die Peking-Oper-Fans
gehen sich eine Oper nicht ansehen, sondern anhören.
Die Sprechdialoge selbst werden nicht musikalisch
begleitet, aber in verschiedenen rythmischen Variationen vorgetragen.
Betritt ein Darsteller in einer traditionellen
Peking-Oper zum ersten Mal die Bühne, hält er einen sehr
melodischer Prolog in Versform.
Er stellt sich auf diese Art vor, erzählt,
wer er ist, in welcher Situation er sich befindet usw. Vereinfacht
lässt sich sagen, dass der Kaiser, die Beamten, die Gelehrten
usw. meistens in Gedichtform sprechen, die Spaßmacher,
das Dienstpersonal aber im allgemeinen die Umgangssprache
benutzen.
Rollen
Es werden vier Rollentypen unterschieden:
Sheng, Dan, Jing und Chou. Nicht dabei inbegriffen sind die
Statisten, d.h. die Truppen, Volksmassen usw.
Sheng heißen
die Darsteller männlicher Hauptrollen. Es sind die Scholaren,
Staatsleute, kriegerischen Patrioten usw. Man untergliedert
in Lao Sheng, ältere Männer mit Bart, und Xiao Sheng,
jüngere Männer, die mit hoher Falsettstimme singen, um
ihre Jugendlichkeiten anzuzeigen. Dann unterscheidet man noch
die Wen Sheng und die Wu Sheng. Die Wen Sheng sind die Gelehrten
und Beamten, die Würde und Haltung zeigen müssen, und die
Wu Sheng sind die Militärs, die besonders in Akrobatik
ausgebildet sein müssen, weil sie in Kampfszenen auftreten.
Mit Dan bezeichnet man die Frauenrollen.
Sie werden unterteilt in Lao Dan, ältere, würdevolle
Damen wie Mütter, Tanten, Witwen. Sie sind natürlich geschminkt
und singen mit natürlicher Stimme; die Qing Yi, edle Frauen
mit gutem Charakter; die Hua Dan, Kammerzofen und Mägde;
die Dao Ma Dan, die Kämpferinnen, und schließlich
die Cai Dan oder Chou Dan, manchmal gefährliche, unangenehme
Frauen, aber meistens weibliche Spaßmacher, der Gegenpart
zu der Chou-Rolle (Siehe weiter unten).
Die Jing-Rollen sind die Bemalten-Gesichter-Rollen.
So dargestellt werden Krieger, Helden, aber auch Staatsleute,
Abenteuer, übernatürliche Wesen usw. eine Untergruppe davon
sind die Fu Jing - bärbeißige, oft lächerliche
überhaupt nicht heldenhafte Figuren.
Die Chou schließlich sind die
Spaßmacher. Sie sind daran zu erkennen, dass die Augen-
und Nasenparte weiß geschminkt ist. Sie bringen das
Publikum zum Lachen. Durch sie werden törrichte, tölpelhafte,
aber auch geizige, geldgierige Charaktere dargestellt, d.h.
aber nicht unbedingt schlechte, sondern öfter auch offenherzige,
einfache, aufrichtige Menschen.
Kostüme
Für jede Rolle gibt es ein entsprechendes
Kostüm. Dabei orientierte man sich hauptsächlich an der
Kleidung der Ming-Dynastie (1368-1644), fügte allerdings einiges
hinzu, wandelte manches ab.
An Schnitt und Farbe lässt sich die
gesellschaftliche Stellung erkennen. Jedes Kostüm weist bestimmte
Merkmale auf. Ein Bettler etwa trägt wie alle anderen
Darsteller Seidenkleidung, allerdings mit kunstvoll verteilten
Flicken.
Bei den männlichen Rollen sind die
Bärte ein wichtiges Accessoire. Dabei sind Farbe und
Form von Belang. Der Bart bestimmt sich nach dem darzustellenden
Charakter, dem Alter, der sozialen Stellung. Ein in drei Teile
geteilter Bart zeigt Rechtschaffenheit, Redlichkeit an, ein
kurzer Schnurrbart einen groben Charakter usw.
Pantomime und Akrobatik
Auf der äußerst sparsam dekorierten
Bühne, meistens gibt es nur wenige Requisiten wie Tische,
Stühle, Paravents, Stöcke, Peitschen und in wenigen Fällen
auch ein Bühnenbild, werden viele Vorgänge pantomimisch
dargestellt: Pferde werden bestiegen, indem man sich eine
mit Quasten geschmückte Peitsche reichen läßt und
genau vorgeschriebene Bein- und Armbewegungen vollzieht, ebenso
wird geritten, vom Pferd abgestiegen. Die Farbe der Quasten
gibt dabei die Farbe des Pferdes an. Imaginäre Türen
werden geöffnet, geschlossen, es wird geschwommen, Boot
gefahren, Berge werden bestiegen. Tücher bestickt und das
alles, ohne dass neue Requisiten außer den oben genannten
ins Spiel kämen.
Jedoch benutzt man solche Hilfsmittel wie
Fahnen und Tücher. Tücher mit blauen Wellenlinien stellen
Wasser dar, zwei Fahnen mit Rädern symbolisieren einen
Wagen usw. Dabei ist jede Haltung, jede Bewegung genau vorgeschrieben.
Es gibt unzählige Arten von Schritten, zwanzig Arten
des Lachens und Lächelns usw. Der Tanz in der Peking-Oper
geht zum einen auf alte Volkstänze zurück, zum anderen
auf den alten klassischen Tanz. Die akrobatischen Elemente
dabei stammen von alten Kampf- und Kriegstänzen.
Inhalte
Generell wird zwischen Wenxi und Wuxi unterschieden.
Erstere sind Stücke, die das gesellschaftliche, häusliche
Leben beschreiben, und letztere sind Stücke, die von Krieg,
Militär und Abenteuer handeln. Aber meistens sind beide
Arten in einem Stück vermischt. Allgemein lässt sich
sagen, dass viele Volksmärchen, Sagen, Legenden und klassische
literarische Werke wie die "Drei Reiche", "Traum
der Roten Kammer", "Reise nach dem Westen"
usw. die Vorlage zu Peking-Opern dargestellt haben.
Die Thematik ist dementsprechend. Es geht
um geschichtliche Gegebenheiten, gesellschaftliche Missstände
werden angeprangert, es geht um Helden, um dem Kampf von Frauen
gegen die feudalen Zustände, die Treue von Männern
und Frauen, um Liebesgeschichten, um phantastische Geschichten.
Reform
Seit 1949, der Gründung der VR China, begann
man, neue Peking-Opern im traditionellen Stil gezielt zu schreiben
und alte zu reformieren, um damit der neuen gesellschaftlichen
Entwicklung gerecht zu werden. Mit dem Beginn der Kulturrevolution
wurden dann nur noch die sogenannten "Modellopern"
gezeigt, die alten Peking-Opern verschwanden von der Bühne,
waren verboten. Zehn Jahre lang gab es an den Peking-Opern-Schulen
keine Absolventen mehr.
Nach der Zerschlagung der Viererbande, im
Gefolge der neuen Kulturpolitik, wurden wieder einige der
alten Peking-Opern aufgeführt.
Ich befragte hierzu in Interviews Zuständige
an dem Beijinger Institut für Chinesisches Theater. Als ein
Grund wurde angeführt: "Wir führen diese Stück auf, weil
die Leute sie so lange nicht sehen konnten. Unter der Viererbande
ging es nur ums Belehren. Natürlich kann gute Kunst einen
erzieherischen Effekt haben, aber die Leute wollen sich doch
auch für ihr Geld amüsieren."
Und auf meine Frage, ob und wie man in Zukunft
die Oper reformieren wolle: "Die Peking-Oper muss geändert
werden, und zwar so, dass sie mit der Entwicklung der Gesellschaft
in Zusammenhang steht. Aber dabei darf man nicht grobschlächtig
vorgehen, wie unter der Viererbande, aber auch nicht zu konservativ.
Vor allen Dingen müssen die hauptsächlichen Merkmale
der Peking-Oper beibehalten werden."
(Aus
Nr. 3 von "China im Aufbau", 1979)