Beijings
Flüsse
Von
Huo Jianying


Im
August 2002 erblickte der Changpu-Bach östlich der Tian’anmen-Tribüne
nach mehr als 40 Jahren im Untergrund wieder das Tageslicht.
In den späten 60er Jahren verschwand der Bach unter einem
Betondeckel, auf dem Lagerräume für Verzierungen, die
bei Paraden auf dem Tian’anmen-Platz zum Einsatz kamen, gebaut
wurden. In den letzten Jahren jedoch hat die Stadtregierung
der natürlichen Umwelt und dem Schutz historischer Stätten
vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt und entsprechende Maßnahmen
ergriffen. Dabei wurde der Wiederherstellung des Flussnetzes
auf dem Stadtgebiet hohe Priorität eingeräumt.
Das kaiserliche Flussnetz
Obwohl
gerade 510 m lang, war der Changpu zwischen dem 14. und dem
20. Jh. einer der zwei wichtigsten Wasserläufe in der
einstigen kaiserlichen Stadt Beijings. Der andere war der
Goldwasserfluss neben der Halle der Höchsten Harmonie
in der Verbotenen Stadt. Weil der Changpu außerhalb
des Kaiserpalasts liegt, wird er auch der „Äußere
Goldwasserfluss“ genannt. In der Ming-Dynastie war Beijing
in drei konzentrischen Ringen angelegt: Das Zentrum bildete
die Verbotene Stadt, darum herum lag die kaiserliche Stadt,
wo der Adel und hohe Beamte wohnten, und zuäußerst
befand sich die Innenstadt. Die Verbotene Stadt als kaiserlicher
Hof war von Wasser umgeben; im Süden floss der Goldwasserfluss,
im Osten, Norden und Westen der Tongzi-Fluss. Beide Wasserläufe
sind heute noch erhalten. Die Innenstadt war ebenfalls durch
Wassergräben eingefasst. Was heute davon übrig ist, wurde
in der Ming-Dynastie (1368–1644) gebaut und diente damals
mehreren Zwecken, nämlich der Wasserversorgung, der Abwasserableitung,
dem Transport und der Verteidigung.

Aufgrund ihrer Herkunft in Südchina hatten
die Ming-Kaiser eine große Vorliebe für Wasser. Kaiser
Zhu Yuanzhang, der Gründer der Dynastie, wählte Nanjing
am Yangtze als Hauptstadt für sein Reich aus, doch nachdem
sein Sohn Zhu Di den Thron bestiegen hatte, wurde sie nach
Beijing verlegt. Der Grund dafür war, dass Beijing seit langem
zu Zhu Dis Einflussbereich gehört hatte und über eine
erhebliche wirtschaftliche und militärische Stärke
verfügte. Seine Lage war außerdem von strategischer
Bedeutung für die Verteidigung gegen die feindlichen Völker
im Norden. Auf Zhu Di folgte im Jahr 1424 sein Sohn Zhu Gaochi,
der bald den Entscheid seines Vaters rückgängig machte
und die Hauptstadt abermals nach Nanjing verlegte. Doch er
starb nur gerade zwei Monate später. Ansonsten wäre
Beijings Geschichte ganz anders verlaufen.
Zhu Di hatte schon in seiner Zeit als Gouverneur
von Beijing, damals unter dem Namen Prinz Yan, großes
Gewicht auf den Bau der Wasserversorgung gelegt. 1371 ließ
er die Stadtmauer aus der vorhergehenden Dynastie, der Yuan
(1271–1368), nach Süden verlegen und machte den Gaoliang-Fluss
und den Jishuitan-See zum nördlichen Wassergraben. 1419
wurde ein neuer Wassergraben südlich der kaiserlichen Stadt
angelegt, und der westliche und der östliche Graben aus
der Yuan-Dynastie wurden erweitert und mit ihm verbunden.
Später, nach dem Bau der Stadtmauer, kam ein äußerer
Graben hinzu, dessen Wasser schließlich, zusammen mit
dem der anderen Wasserläufe, in den Tonghui-Fluss abgeführt
wurde. Ab diesem Zeitpunkt war Beijing von grünem Wasser eingeschlossen.


Alte Wasserversorgungsanlagen
In alter Zeit war Beijing ein bedeutender
Binnenhafen. Nachdem es im 13. Jh. zur Hauptstadt der Yuan-Dynastie
erklärt wurde, nahm seine Bevölkerung schlagartig
zu. In jener Zeit unterstanden der Stadt 16 Bezirke mit einer
einheimischen Bevölkerung von über 400 000. Zählt
man die Regierungsbeamten, Kasernenbelegschaften und Wanderarbeiter
hinzu, dürfte die wahre Einwohnerzahl Beijings bei einer Million
gelegen haben. Um eine Bevölkerung dieser Größe
zu ernähren, bedurfte es regelmäßiger Getreidetransporte
aus Südchina, der „staatlichen Kornkammer“. Diese erfolgten
auf dem Kaiserkanal, der von Hangzhou nach Beijing führt,
und die Fracht wurde in den Docks von Zhangjiawan entladen.
Im Süden des heutigen Beijinger Bezirks
Tongzhou gelegen, wickelte der Hafen von Zhangjiawan alle
Getreidelieferungen nach Beijing ab, von der Yuan- bis zur
Qing-Dynastie. Da sich in Zhangjiawan das Amt für die Verwaltung
der Getreidetransporte nach Beijing zu Wasser und zahlreiche
Getreidespeicher befanden, war der Ort streng bewacht. Frachtkähne
bildeten nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt lange
Kolonnen entlang des Kanals.
Als politisches, wirtschaftliches und kulturelles
Zentrum der Yuan-Dynastie stand Beijing vor zwei dringenden
Aufgaben: neue Wasserquellen zu finden und eine Wasserverbindung
nach Zhangjiawan zu bauen, um Getreidelieferungen direkt in
die Stadt zu erlauben.
Diese beiden Projekte standen unter Federführung
von Guo Shoujing (1231–1316), einem renommierten Astronomen
und Wasserbauingenieur. Nach sorgfältigen hydrologischen
und geographischen Abklärungen entdeckte Guo die Baifu-Quelle
im Shenshan-Berg. Er ließ im Nordwesten Beijings den
30 km langen Baifu-Kanal bauen, um das Quellwasser in die
Stadt zu führen, das dann über das bestehende Flusssystem
in den Kaiserkanal fließen sollte.
Um topographische Probleme bei der Verbindung
Beijings mit dem Kaiserkanal zu lösen, sah Guo Dutzende
von Schleusen vor, mit denen der Wasserstand und die Abflussmenge
gesteuert werden konnten. Der 80 km lange Kanal wurde von
20 000 Arbeitern in gerade etwas mehr als einem Jahr gebaut.
Bei seiner Fertigstellung war der Yuan-Kaiser Kublai Khan
entzückt, auf dem Jishuitan-See lauter Boote aus Tongzhou
zu sehen, und gab dem Kanal den Namen „Tonghui-Fluss“. Der
Fluss wurde instandgestellt und man kann heute darauf eine
Bootstour machen.


Hochwasserkatastrophen
Obwohl Beijing heutzutage zunehmend unter
Wassermangel leidet, führt es nichtsdestoweniger jährlich
Hochwasserschutzübungen durch. Dies rührt daher, dass die
Stadt in den vergangenen Jahrhunderten schwere Überschwemmungen
erlebte, für die meistens der Yongding-Fluss verantwortlich
war. Wie historischen Dokumenten zu entnehmen ist, trat der
Yongding-Fluss zwischen 1115 und 1949 140 Mal über die Ufer,
wobei die Zeitabstände zwischen den einzelnen Hochwassern
immer kürzer wurden. In den 268 Jahren der Qing-Dynastie gab
es 68 Flutkatastrophen, im Durchschnitt also eine alle vier
Jahre.
Im Jahre 1626 fegten reißende Fluten
vom Yongding-Fluss durch die Stadt und forderten viele Opfer.
Das Hochwasser von 1890 überschwemmte auch das östliche,
westliche und südliche Umland von Beijing, mit der Folge,
dass das Wasser nicht aus der Stadt abfließen konnte
und viele der unter Wasser stehenden Gebäude einstürzten
Trotz des Unheils, das der Yongding-Fluss
immer wieder über Beijing gebracht hat, ist er seine Lebensader.
Ohne ihn hätte sich Beijing nicht von einer einfachen
Siedlung zu einer Metropole entwickeln können. Aus den
süßen und erfrischenden Quellen am Yuquan-Hügel sprudelt
genau besehen durch Kalkstein gefiltertes Wasser aus dem Yongding-Fluss.
Er ermöglichte die Bewässerung des Ackerlands um
Beijing und speiste die meisten Bäche und Seen in der
Stadt. Vor Jahrhunderten gab es große Wasserflächen
nordwestlich der Innenstadt, in denen üppiger Lotos spross
und es vor Fischen und Wasservögeln wimmelte. Tempel,
Pavillons und Residenzen schmückten die Ufer.
Restaurierung der Flüsse Beijings
Wegen
klimatischer Veränderungen und stark gestiegenen Verbrauchs
ist der Wasserstand in den Gewässern Beijings in den
letzten hundert Jahren gesunken. In den 60er Jahren wurde
der westliche Teil des Wassergrabens um die Innere Stadt in
den Untergrund verbannt, und im Zuge der raschen Stadtentwicklung
in den 70er Jahren erlitten andere Teile das gleiche Schicksal.
Übrig geblieben sind nur noch der südliche und ein Stück
des nördlichen Grabens und damit weniger als die Hälfte
der ursprünglichen Anlage. Unschön sind auch die betonierten
Flussränder, in die Beijings alte Wasserläufe gezwängt
wurden.
Dies soll sich jedoch mit dem Erlass des
„Plans zum Schutz historisch und kulturell wertvoller Stadtteile“
durch die Beijinger Stadtregierung ändern. Der Plan sieht
einen besonderen Schutz von Beijings Wassersystem vor, insbesondere
von historisch und ökologisch bedeutenden Gewässern,
und verlangt auch Maßnahmen für deren Nutzung. Gemäß
dem Plan sollen außerdem die wichtigsten Flüsse und
Seen wiederhergestellt werden.
Seit 1998 hat die Stadtregierung eine Milliarde
Yuan in Wasserprojekte investiert. Der Beihai- und der Shichahai-See
sowie der Tongzi-Fluss wurden ausgebaggert und ihre Uferanlagen
repariert. Zur Zeit sind die Arbeiten am Qingshui-, am Bahe-
und am Liangshui-Fluss noch im Gang. Bis 2005 hat die Regierung
weitere 5,45 Mrd. Yuan für die Säuberung weiterer 20
Flüsse veranschlagt. Ziel ist es, die ursprüngliche Pracht
Beijings als Wasserstadt wiederherzustellen.