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Methode und Lektüre – François Jullien und die Deutung chinesischer Philosophie

2018-02-02 10:31:00 Source:China heute Author:Wolfgang Kubin
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Von Wolfgang Kubin

Die chinesische Philosophie gilt manchen Gelehrten nicht unbedingt als Philosophie, und wenn doch als Philosophie, so entweder als zu einfach oder als schwer nachvollziehbar. Ansichten wie diese hört man nicht nur in Europa, sondern auch in China. Ich will hier nicht der Frage nachgehen, ob wir es in Fällen wie diesen bloß mit Meinungsäußerungen oder gar schon mit Tatsachen zu tun haben. Ich möchte lieber die Problematik einer Kunst von schwieriger Lektüre aufbringen: Wie lesen wir einen (chinesischen) Text, der nicht zu uns spricht? Bekanntlich ist gemäß der modernen Hermeneutik ein Werk, das kein Gespräch mit uns beginnt, ein totes Werk. Gleichwohl wissen wir aber auch, daß etwas, was wir heute noch nicht goutieren, morgen dennoch unsere ganze Zuneigung gewinnen kann. Wie ist das möglich, und was ist in einem solchen Fall mit uns zwischen den beiden Akten unseres Lebens passiert?

Ich darf mich als Beispiel anführen und mich daher wiederholen: Bedingt durch meine frühe Hegellektüre in Wien (1968), meinen ersten Chinesischlehrer in Münster (1969) und durch die Studienzeit während der Kulturrevolution in Peking (1974/75) hegte ich für Konfuzius (551-479) keinerlei Interesse. Er schien mir zu langweilig, zu banal und im Vergleich zu der von mir favorisierten griechischen Philosophie alles andere als philosophisch.

Wie kommt es dann aber, daß ich heute Die Gespräche des Konfuzius (Lunyu) nicht gerade ungern lese und nicht selten die Worte des Meisters anführe, ja, gar verteidige, wenn es um bestimmte Fehlentwicklungen der westlichen Moderne geht? Dies hängt mit einem Urerlebnis zusammen. Im Mai 1999 erwarb ich, da ich mich viel mit chinesischer Ästhetik beschäftige, das Buch Éloge de la fadeur. À partir de la pensée et de l’esthétique de la Chine (1991) von François Jullien in deutscher Übersetzung. Es beginnt mehr oder minder mit der genauen Lektüre eines unscheinbaren Abschnitts aus dem Lunyu. Um der Leserschaft den möglichen Eindruck philosophischer Unbedarftheit zu ersparen, verweist der Autor auf den wahren Charakter dessen, was chinesische Kultur ausmache: Etwas, was in der Mitte liege, als solches zunächst unerheblich erscheine, aber wesentlich sei. Wer also die von Hegel angesprochenen Banalitäten in den Gesprächen zu tiefem Ernst erheben wolle, habe erst einmal den chinesischen Geist zu studieren, und der definiere sich anders als der unsere, nämlich durch den Entzug aus dem Sichtbaren und Gestalteten.

 

 

 

I Philosophie und Tod

Der Chinese fürchtet zu Recht alles Gestaltete, denn das Gestaltete legt ihn auf etwas Konkretes fest. Als das Gestaltete bin ich nur das, was ich als gestaltet von mir zu erkennen gebe: einige konkrete Merkmale, aber nicht alle möglichen Optionen gleichzeitig. Weil sie es dem Menschen erlaubt, sich besonders individuell zu entwerfen, deshalb spielt im Westen die Mode eine so wichtige Rolle. Was ungestaltet ist, ist auf sich und seine Potentialität beschränkt, ohne daß es als etwas Besonderes wahrnehmbar wäre. Es könnte vieles im Äußeren sein, aber es ist lieber alles (Mögliche) in sich. Nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) hat der Mensch das, was er für sich (Subjektivität) ist, auch an sich (Objektivität) zu sein, d.h., er hat im Äußeren das zu verwirklichen, was er tief in sich spürt, um die Gespaltenheit des Seins aufzuheben. Die Selbstverwirklichung wird daher 1816 bei unserem deutschen Philosophen zu einem neuen Wort und zu einem neuen Programm! Dieses Programm unterscheidet sich von der chinesischen Konzeption xiushen 修身. Dieses für den Konfuzianismus so zentrale Binom, welches mit „die eigene Person pflegen“ übersetzt werden kann, hat einen religiösen Ursprung. Es meint urtümlich die Reinigung vom Bösen im Flußwasser. Mit Konfuzius wird es säkularisiert und zur Grundlage der Persönlichkeitsbildung. Eine Person wird man nach dem Klassiker Das Große Lernen (Daxue) dadurch, daß man diesen Akt der leiblichen Reinigung in den Kontext von Reich (tianxia), (Vasallen) Staat (guo) und Familie stellt. Wie sehr eine solch kosmologische Konzeption dem einzelnen das nimmt, was nach abendländischer Auffassung zu seiner Individualität gehört, wird aus dem späteren Schlagwort der Song-Zeit (960-1279) ersichtlich: „Die menschlichen Begierden auslöschen und die himmlischen Prinzipien einsetzen.“ (Mie renyu, cun tianli 灭人欲,存天理). Dieses geht weiter als die einstige Forderung des Konfuzius, daß der Mensch sich „zu überwinden habe, um die gesellschaftlichen Normen, den Ritus (li 礼), wieder einzusetzen“ (keji fuli 克己复礼).

In allen genannten Fällen gewinne ich so nicht meine eigene unverwechselbare Gestalt, sondern die Gestalt des Seins, die Gestalt aller und von allem. Ich bin damit äußerlich von anderen nicht besonders unterscheidbar, trage aber in mir den Grund der Welt, denn ich bin als etwas Allgemeines der Grund der Welt. Darum können Himmel, Erde und Mensch als eines, als innerweltliche Trinität (sancai) gedacht werden.

Hieraus erklärt sich auch das Schweigen der frühen chinesischen Philosophie. Worte gestalten einen Text und engen ihn dadurch auf wenige Möglichkeiten ein. Zu viele Worte machen eine Aussage nur scheinbar klar, tatsächlich unklar. So wie wir im Hebräischen des Alten Testamentes die Vokale zu den Konsonanten hinzudenken müssen, um ein Wort aussprechen zu können, so sind wir auch bei Konfuzius etwa gehalten, zwischen die spärlichen Schriftzeichen weiterführende Gedanken zu setzen und dadurch stille Aussprüche zu etwas Philosophischem und Beredtem aufzuwerten. So zum Beispiel in folgendem Fall (Lunyu IV. 8):

Kong Zi yue: „Zhao wen Dao, xi si, ke yi.“

孔子曰: „朝问道,夕死, 可矣.“

Konfuzius sagt: „Am Morgen das Tao vernehmen, am Abend sterben, das kann angehen.“

Was soll das heißen? Uns ist aus dem Munde des Sokrates (470-399) das große Wort vom Philosophieren als Sterbenlernen geläufig. Warum sollten wir nicht einen Umweg über ihn machen, um den chinesischen Kollegen zu verstehen? Von Europa her kommend könnten wir nämlich folgendermaßen fragen: Warum kann derjenige, der am Morgen vom Tao hört, nicht schon im Mittag sterben? Und: Darf man am Abend sterben, wenn man erst mittags das Tao vernommen hat? Und was ist mit demjenigen, der erst abends vom Tao erfährt, hat dieser das Recht sogleich zu sterben oder hat er bis zum nächsten Morgen noch zu warten? Wer so fragt und einen spärlichen Ausspruch fragend auffüllt, gerät wahrlich ins Philosophieren. Der Tod wird somit zum Gegenstand seines Denkens wie auch zuvor bei Sokrates.

Dies Auffüllen einer kurzen Aussage hat François Jullien an einer anderen berühmten Textstelle des Lunyu (VII.18) betrieben, die ebenfalls mit dem Sterben zu tun hat.

She gong wen Kong Zi yu Zilu. Zilu bu dui. Zi yue: „Ru xi bu yue, qi wei ren ye, fafen wang shi, le yi wang you, bu zhi lao zhi jiang zhi yun er.“

叶公问孔子於子路. 子路不对. 子曰: „女奚不曰, 其为人也, 发愤忘食, 乐以忘忧, 不知老之将至云尔.“

Der Herzog von She befragte den Zilu nach Konfuzius, doch dieser antwortete ihm nicht. Da sprach der Meister: „Warum hast du nicht gesagt, als Mensch vergisst er das Essen in seinem Eifer, in seiner Freude vergisst er jegliche Sorge, und er merkt nicht, wie ihm das Alter naht.“

Das Schweigen des Zilu ist bezeichnend, denn eine Aussage über den Meister hätte diesen unweigerlich auf etwas Bestimmtes festgelegt und ihn damit als etwas Partikulares ausgewiesen. Konfuzius scheint eine solche Schwierigkeit persönlich nicht zu kennen. Er spricht über sich in dualen Figuren, welche klar machen, was ihm wichtig ist und was nicht. So kontrastieren Eifer (fen) und Essen miteinander, Freude und Sorge, Wissen und Alter. Worin der Meister besonderen Eifer zeigt, woran er seine Freude hat, das wird uns nicht gesagt. Es gibt hier - wie auch sonst - oft kein Objekt nach dem Verbum. Lediglich das letzte Verb (wissen, zhi) gibt einen Gegenstand zu erkennen: das Nahen des Alters. Da dieses Verbum negiert ist, scheint der Inhalt der Selbstcharakterisierung auf eine Art Gelassenheit des Meisters hinauszulaufen. Ob Alter oder Tod, nichts soll seine Suche (nach Wissen?) aufhalten. Die Suche wird erst mit dem Tod, den er nicht zu fürchten scheint, beendet sein. Wir haben es hier mit dem Phänomen einer Übung zu tun, die in der chinesischen wie auch in der abendländischen Philosophie eine große Rolle spielt, ohne daß diese Parallele bislang besonders wahrgenommen worden wäre.

II Die Übung und die Freude

Die Gespräche des Konfuzius beginnen mit drei bekannten und längst geflügelten Worten, von denen uns hier zunächst nur das erste interessieren soll:

Kong Zi yue: „Xue er shi xi zhi, bu yi yue hu?“

孔子曰: „学而时习之,不亦说乎?“

Konfuzius sagte: „Etwas erlernen und dieses von Zeit zu Zeit üben, ist das nicht etwas, was Freude macht?“

Drei Verben sind hier von großer Bedeutung: lernen (xue), üben (xi) und sich freuen (yue). Es stellt sich daher die Frage nach ihrem inneren Zusammenhang. Sind sie in ihrer Auflistung zufälliger Natur oder unterliegt ihnen tatsächlich, wie ich meine, eine notwendige Beziehung? Ich denke, wir können diese Frage nur mit einem Umweg über Europa beantworten und so die Erkenntnis gewinnen, daß besagte Verben nicht willkürlich vom Sprecher gewählt worden sind, sondern folgerichtig aufeinander aufbauen und etwas von den Bedingungen der menschlichen Existenz zu sagen haben, ob damals oder heute.

Lernen (xue 学) meint im Altchinesischen eigentlich nachahmen, zum Beispiel einen Lehrer, der etwas vorspricht, sprechend nachahmen. Darum ist ein lautes Lesen unter Anleitung in China bis heute so lebendig und wichtig geblieben. Überall trifft man inzwischen (wieder) auf Gruppen von Personen, die sich zum lauten Memorieren zusammenfinden. Lernen begründet so eine Gemeinschaft, zunächst die Gemeinschaft mit dem Lehrer und dann die Gemeinschaft der Lernenden untereinander. Wir könnten hier leicht die Theorien von Martin Buber (1878-1965) oder auch von Hans Georg Gadamer (1900-2002) einbringen, welche die Persönlichkeitsbildung auf je ihre Weise von einem Gegenüber abhängig gemacht haben. Es ist die Stimme des anderen, durch welche der Einzelne sich erkennt. Dieses Gegenüber kann ein Gott sein, ein Lehrer, ein Elternteil oder ein Partner. So oder so kann nur in dieser Gemeinschaft Glück gefunden werden. Darum war es auch für Konfuzius so wichtig, ein Mensch unter Menschen zu sein.

Dinge wie diese habe ich als „Chinas Umweg“ über Europa schon mehrfach abgehandelt. Dasselbe gilt für den Begriff der Harmonie oder der Ehrfurcht. All dieses kann daher heute hier nicht unser Thema sein. Ich möchte vielmehr auf etwas anderes hinaus, was es mir erlaubt, ein weiteres Mal einen Umweg über Europa zu machen, um auf diese Weise China tiefer zu erklären. Es geht dabei um den Zusammenhang von Übung und Freude, den wir sonst vielleicht nicht in allen Dimensionen erfassen können.

Wenn auch das Üben (lat. exercitatio, engl. exercise, frz. exercice, dt. Übung) mit dem Siegeszug der Moderne im Abendland kaum noch Fürsprecher hatte und hat, so hat es, das Üben, dennoch eine (lange) Geschichte, welche Antike, Mittelalter, Neuzeit und Gegenwart ebenso miteinander verbinden wie in China auch. Da der Wortgebrauch im Lateinischen, Deutschen, Englischen und Französischem variiert, soll hier weniger die etymologische als vielmehr die philosophische bzw. theologische Seite betrachtet werden.

Im alten Griechenland bot das Üben die Möglichkeit, sich die Gaben der Götter anzueignen. Ursprünglich waren die Tugenden nämlich nicht Sache des Menschen gewesen, doch durch die Einübung von Fertigkeiten kann zum Beispiel etwas wie die Weisheit zur zweiten Natur des Menschen werden. Diese religiöse Grundlage des Begriffes Üben läßt sich weiter auch im Mittelalter und in der Neuzeit beobachten: Die Übung wird im griechischen Sinne als Askese (άσκησις) verstanden und bietet im Rahmen einer imitatio Christi, einer imitatio Dei die Möglichkeit, dank einer exercitatio spiritualia zu Gott aufzusteigen (in Deum adscendere). Sie erlaubt also eine höhere und damit im theologischen Sinne eine richtige Erkenntnis. D.h., die Übung ist die Voraussetzung zu einem erfüllten Leben. Und eben dies ist der Grundgedanke von Otto Friedrich Bollnow (1903-1991), der in seiner (hermeneutischen) Philosophie dem Üben ein eigenes Buch gewidmet hat. Der Grund, warum er für die Deutung des Konfuzianismus nicht nur formal, sondern auch inhaltlich in Betracht gezogen werden kann, ist seine geistige und tatsächliche Begegnung mit Japan sowie mit Korea. Die „Übung als Alltag“, die er dort auch auf Reisen kennenlernte, ist nichts anderes als die Übung, wie sie neben dem Konfuzianismus gleichfalls der Taoismus und der Buddhismus propagieren. Denken wir nur an das berühmte Gleichnis vom Kuhberg bei Meng Zi (372-281). Dieser große geistige Schüler des Konfuzius spricht von der Notwendigkeit einer täglichen Nährung des Odems (qi 气), um die vis vitalis als Voraussetzung für die Tugenden zu erhalten (VI.A8). Oder denken wir an den Koch Ding, von dem der taoistische Philosoph Zhuang Zi (369-286) sagt, ihm sei es durch die Praktizierung seiner Messerkunst gelungen, ein Rind mit einem einzigen Schnitt in alle Teile zu zerlegen. (III.2) Aus dem Buddhismus kennen wir die bekannten Geschichten vom Fegen des Bodens als Weg zur Erleuchtung, etwas was im koreanischen Konfuzianismus in Theorie und Praxis als „die kleine Lehre“ (xiaoxue 小学), die kleine Schule für junge Adepten, überliefert ist.

Kehren wir einmal zu Konfuzius und seiner Aussage zurück. Noch erscheint uns ungeklärt, warum „üben“ (xi 习) Freude bereiten solle. Die heutige Zeit würde das Gegenteil behaupten. Und sie täte recht daran, mit Blick auf den Fußball zum Beispiel, wo das tägliche Üben für die Profis eher Schinderei als Annehmlichkeit bedeutet.

Die Etymologie des chinesischen Schriftzeichens für Üben besagt folgendes: Auf den Orakelknochen und auf den Bronzegefäßen findet sich ein Zeichen, welches dem heute gebräuchlichen verwandt ist: xi 习 in der heutigen Kurzform und xi 習in der bis 1949 gebräuchlichen Langform. Bildlich gesprochen sehen wir im oberen Teil (Kurzform, Langform) ein Gefieder und im unteren Teil (Langform) einen Vogel, der Flugversuche unternimmt. Spätestens zur Zeit der Streitenden Reiche (475-221) hat xi die Bedeutung von xuexi 学习, von „üben durch Nachahmen“ angenommen, etwas, was sich bis in die Gegenwart hinein erhalten hat.

Daß das von der Moderne oftmals als unproduktiv geschmähte Üben nicht etwa in die Ecke der konservativen „Orientalen“ oder der westlichen „Esoteriker“ gehört, zeigt jüngst eine Publikation des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk (geb. 1947). Er wiederholt, ohne dies wohl besonders anzuführen, Bollnows These vom Menschen als einem Wesen der Wiederholung. Wiederholung, d.h. Üben, immer dasselbe üben, um so die eigene Identität zu gewinnen. Also auch hier ist der Alltag als ein Alltag der Übung bzw. die Übung als Alltag zu verstehen.

Was Bollnow mit der Antike, dem Mittelalter, der Neuzeit des Abendlandes, aber auch mit der ostasiatischen Tradition verbindet, ist seine Sicht von Üben als einer kultischen Handlung. Er verfolgt das deutsche Wort „üben“ etymologisch zurück und verweist auf dessen Ursprung in der Landwirtschaft und in der religiösen Feier. Ähnliches macht er für das Lateinische und das „Indische“ geltend. Etymologische Handbücher geben ihm recht: Alles Üben ist sakraler Natur, es wird begleitet von Tanz und Ritus. Können wir solches für das obige Zitat von Konfuzius auch ansetzen?

Hier treffen wir auf eine besondere Schwierigkeit, denn die Allgemeinheit, ob akademisch oder nicht, ob in China oder nicht, ist der herkömmlichen Auffassung, Konfuzius stehe allem Religiösen fern gegenüber. Ich kann hier gegen die Mehrheitsmeinung nur bescheiden auf meinen Versuch verweisen, das Religiöse im Lunyu als den Kern eines Verständnisses des Meisters anzusetzen. Es muß daher meine allerdings noch zu beweisende These sein, daß auch das chinesische „üben“ (xi) ursprünglich dem sakralen Bereich entstammt. Eine erste Gewissheit meiner Vermutung ist in der Tatsache zu finden, daß das Üben im Zen-Buddhismus von zentraler Bedeutung und damit religiös ist. Vielleicht läßt sich ja einmal zeigen, daß sowohl das Lernen als auch das Üben bei Konfuzius ein gemeinsames verschwiegenes Objekt haben, nämlich den Dienst im Ahnentempel bzw. den aus diesem Dienst entsprungenen Ritus.

Was ist es nun, das uns dank Bollnow die Freude als Folge des Übens in obigem Kernsatz des Konfuzianismus verstehen hilft? Für unseren deutschen Philosophen gehört das Üben zur Menschwerdung, und zwar vom Kind bis ins Alter. Nur durch das Üben wird der Mensch wahrer Mensch, erlebt er sich als Sinnganzes. Das Üben macht seinen innersten Kern aus und führt ihn zu seiner höchsten Erfüllung. Die Entfaltung seiner Möglichkeiten und die Verwandlung in ein Kulturwesen münden wie von selbst in eine Art innerer Freiheit. Gelassenheit und Gelöstheit, Heiterkeit und Freude sind die natürliche Folge, so daß sich wie von selbst der dritte Kernsatz im obigen Zitat erwarten läßt:

„Ren bu zhi er bu yun, bu yi junzi hu?“ „人不知而不愠,不亦君子乎?“ „Wenn mich kein Adliger kennt, und ich dennoch nicht grolle, bin ich dann nicht doch ein Edler?“

Wer die Tradition lernt und übt, empfiehlt sich für die Dienste eines Landesherrn (ren 人), doch dieser kann geblendet sein und die Tüchtigen nicht einstellen wollen. So wie Konfuzius, der nie ein ihn zufrieden stellendes Amt bekleidete. Doch ein Mensch, der durch die tägliche Übung sich selber gefunden hat, bedarf keines Fürsten, um sich selbst vollkommen zu sein. Dies eben ist auch der Grund, warum Freunde, die aus der Ferne kommen (zweiter Kernsatz), die bereits empfundene Freude vertiefen können:

„You peng zi yuanfang lai, bu yi yue hu?“ 有朋自远方来,不亦乐乎?“ „Und wenn Freunde aus der Ferne kommen, ist das nicht auch Freude?“

Warum, so mag man fragen, kommen die Freunde aus der Ferne? Sie dürften von der richtigen Art des Übens gehört haben und ihren Anteil daran nehmen, um sich mit der Hilfe und durch das Vorbild des Meisters neu zu begründen.

François Jullien gebührt das Verdienst, chinesische Philosophie durch seinen „Umweg über China“, der eigentlich ein Umweg über Griechenland ist, zu einem geistigen Ereignis gemacht zu haben. Er hat gezeigt, daß die Lektüre chinesischer Philosophen uns immer dazu auffordert, das Ungesagte zu ergänzen. Wir ergänzen es aus unserem Verständnis. Dazu mag manchmal auch ein Umweg über Europa nützlich sein.

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