In einem nächsten Schritt wird auch der Marktanteil auf dem internationalen Markt abnehmen. Bei der letzten internationalen Finanzkrise haben Chinas Exportunternehmen viele Aufträge verloren, die Unternehmen selbst aber überlebten die Krise und konnten mit der langsamen Erholung der Weltwirtschaft erneut Aufträge an Land ziehen. Im Vergleich dazu droht Chinas Exportunternehmen heute mit dem Verlust der Aufträge auch gleichzeitig ein Verlust der Handelskanäle. Viele der Aufträge werden wohl in unterentwickelte Länder wie Vietnam, Indien, Indonesien, Pakistan oder Kambodscha mit latentem Potential abwandern. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Chinas Exportfirmen längst nicht mehr die Frage, welche Vorkehrung gegen die Folgen der amerikanischen und europäischen Schuldenkrise getroffen werden sollen, sondern welche rettenden Maßnahmen im Nachhinein ergriffen werden können.
Für die chinesische Wirtschaft hat die Situation aber auch durchaus ihre positiven Seiten, vor allem was die Milderung des Inflationsdrucks betrifft. In der ersten Hälfte dieses Jahres ist der chinesische Verbraucherpreisindex um 5,4 Prozent gestiegen, im Juli stieg er im Vergleich zum Vorjahr erneut um 6,5 Prozent an. Viele der Gründe für diese Entwicklung allerdings kommen von außen. Oberflächlich betrachtet ist etwa der Preis für Schweinefleisch gestiegen und hat somit auch den Verbrauchpreisindex in die Höhe getrieben. Bei genauerem Hinsehen aber zeigt sich, dass zunächst die Futterpreise in starkem Maße angestiegen sind und sich so die Preise für Schweinefleisch erhöht haben. Die Futterpreise wiederum sind stark von den Preisen von Massenprodukten auf dem internationalen Markt abhängig, auch wenn diese Auswirkungen sicher indirekt sind und mit einer gewissen Verzögerung eintreten. Nach der Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit sind die Preise für Massenprodukte am internationalen Markt gesunken. Die Bedingungen des internationalen Marktumfeldes mildern also die chinesische Inflation. China büßt demnach nicht nur für die Fehler anderer Teilnehmer des internationalen Marktes, das Land profitiert auch von ihnen.
Da verschiedene Faktoren für die inländische Inflation im Ausland liegen, ist das Anheben des Zinsniveaus sicher kein probates Mittel zur Drosselung der Inflation. Um das Wirtschaftswachstums abzubremsen, erweist es sich aber als ein überaus effektives Werkzeug. Statt abzuwarten, bis die Wirtschaft einen Punkt der Stagnation erreicht hat und dann zu beginnen, sie kostspielig wieder in Gang zu setzen, scheint es vernünftiger, vom jetzigen Zeitpunkt an das Wirtschaftswachstum gezielt abzumildern. Es muss unbedingt verhindert werden, dass Chinas Wirtschaft bei einer weiteren internationalen Finanzkrise einen ähnlichen Schock erleidet, wie es 2008 der Fall war. Schon heute müssen Vorkehrungen getroffen werden, um das chinesische Wirtschaftswachstum auch im Krisenfall aufrechterhalten zu können.
Lange Zeit galt die Faustregel: „Wenn Amerika niest, holt sich Europa einen Schnupfen und Japan wird ernsthaft krank.“ Jetzt da China immer mehr mit dem Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung verschmilzt, muss das Land die nötigen Vorkehrungen treffen. Wir müssen lernen, uns den Gegebenheiten anzupassen. China kann nicht nur die Früchte der wirtschaftlichen Globalisierung kosten, sondern muss auch dem Druck des globalen Wirtschaftssystems standhalten können.
Die direkten Auswirkungen der derzeitigen US-Schuldenkrise mögen zunächst kurzfristiger Natur sein. Aber langfristige Folgen werden nur schwer zu vermeiden sein. China muss deshalb sein wirtschaftliches Wachstumsmodell überdenken und verändern. Das Land darf sich nicht mehr wie in der Vergangenheit übermäßig auf niedrige Wertzuwächse und den Export von Produkten mit niedrigem technischem Gehalt verlassen. Wenn wir uns diesen Vorschlag zu Herzen nehmen, wird es China gelingen, in der internationalen wirtschaftlichen Arbeitsteilung seinen angemessenen Platz zu finden.
*Bai Ming ist Forscher im Rang eines Professors und Vizedirektor der Forschungsabteilung für internationale Märkte des Instituts für internationalen Handel und wirtschaftliche Kooperation des Handelsministeriums.