Tempel und Klöster (2)
In der Regierungszeit Songtsan Gampos wurde eine Reihe von Tempeln gebaut, um Körper und Glieder der Felsendämonen sowie die Geister der Himmelsrichtungen zu unterdrücken. Tatsächlich ging es aber um die Unterwerfung der Kräfte der Bon-Religion. Von ihr zeugen heute nur noch der Qamzub- und der Gequ-Tempel in Shannan. Auch der erste Grottentempel in Tibet, der Zhalalupu-Höhlemtempel in Lhasa, wurde in dieser Zeit angelegt. Nach langen Kämpfen mit der Bon-Religion fasste der Buddhismus endlich Mitte des 8. Jahrhunderts während der Herrschaft Trisung Detsans in Tibet festen Fuß. Ein Zeichen dafür war die Errichtung des Samye-Klosters im Jahr 763 in Samye in Shannan. Es war das erste Kloster in Tibet, in dem Mönche die Weihe empfingen, die buddhistische Lehre studierten und praktizierten. Das ist die Zeit, in der bei buddhistischen Bauten der Übergang vom Tempel zum Kloster zu verzeichnen ist.
Klöster sind große Baukomplexe, die aus vielen Hallen, Mönchszellen, Stupas, Gratsangs (Institute) und anderen Gebäuden bestehen. Je nach Gestaltung unterscheidet man drei Arten von Klosteranlage: Klöster mit einer Haupthalle als Zentrum, Grottentempel und Pagodentempel. Das Samye-Kloster mit einer Haupthalle als Zentrum ist typisch für die erste Art. Aus Aufzeichnungen ist ersichtlich, dass das Samye-Kloster nach Vorstellungen der buddhistischen Kosmographie gestaltet wurde. In der dreistöckigen Haupthalle (Uze-Halle) findet man eine harmonische Kombination tibetischen, han-chinesischen und indischen Baustils. In der Halle sind Wandgemälde zu bewundern und Gottheiten zu verehren. Die innere Konstruktion symbolisiert den buddhistischen Weltenberg Sumeru. Die Haupthalle besteht aus der zentralen Gebetshalle, der Meditationshalle, dem Gebetsmühlenhauptweg, dem inneren und dem äußeren Gebetsmühlenweg, den Nebenhallen, dem Wandelgang und der Außenmauer. Die Gebetshalle ist das Zentrum der Klosteranlage, in der Buddhas und Bodhisattwas mit Mahavairocana an der Spitze verehrt werden. In der Meditationshalle, die vor der Gebetshalle steht, studieren oder versammeln sich die Mönche. Der Gebetsmühlenweg erleichtert den Gläubigen die Verehrung Buddhas. Wie sich um den Weltenberg herum gemäß buddhistischer Vorstellung in den vier Himmelsrichtungen vier größere Kontinente mit je zwei kleineren Subkontinenten gruppieren, so gruppieren sich um die Haupthalle in den vier Richtungen vier Gebetshallen und vier Stupas (je ein grüner, schwarzer, roter und weißer Stupa). Die Klosteranlage ist von einer Mauer umgeben, die das Cakravada, eine den Weltenberg Sumeru umschließende Mauer, symbolisiert. Die ganze Klosteranlage sieht aus wie das Mandala als symbolisches Abbild des Universums nach buddhistischen Vorstellung. Unterschiedliche Bauten sind sorgfältig angeordnet. Die Haupthalle ragt hervor, doch wird bei aller Unterschiedlichkeit die Einheit von Haupthalle und umliegenden Bauten unterstrichen. Die umliegenden Bauten sind symmetrisch und harmonisch angeordnet, so dass alle Teile ein einheitliches Ganzes bilden. Obwohl das Samye-Kloster während der Herrschaft der Sakja-Sekte und des Lebenden Buddha Razheng renoviert und ausgebaut wurde, blieb der ursprüngliche Stil des Baukomplexes im Großen und Ganzen bis heute erhalten. Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wird das Samye-Kloster mit Unterstützung der Regierung wieder restauriert. Das alte Kloster soll mit Blick auf seine originelle Anlage und seine einzigartige Architektur als Ganzes bewahrt und geschützt werden.
Die Anlage des Samye-Klosters hatte großen Einfluss auf den späteren Bau anderer Klöster in Tibet. Das Toding-Kloster im Kreis Zamda in Ngari, das Mitte des 10. Jahrhunderts errichtet wurde, übernahm einige Besonderheiten des Samye-Klosters. Die Kjasa-Halle beispielsweise wurde nach dem Muster einer Halle des Samye-Klosters gebaut. Sie ist nach Osten gerichtet und besteht aus den Bauten im inneren und im äußeren Ring. Innerhalb des inneren Ringes gibt es fünf Gebetshallen, die in Form eines Kreuzes angeordnet sind, wobei die Haupthalle im Mittelpunkt steht. Die Haupthalle symbolisiert den Weltenberg Sumeru. Die vier umliegenden Gebetshallen stellen die vier Kontinente vor. Außerhalb der vier Gebetshallen befindet sich der Gebetsmühlenweg, ein Wandelgang. Am äußeren Ring liegt nach Osten hin die Eingangshalle, in den drei anderen Richtungen liegen drei Gebetshallen. An den vier Ecken des Klosters stehen jeweils zwei Gebetshallen und ein Stupa. Damit werden die vier Kontinente und die acht Subkontinente symbolisiert. Die architektonische Struktur des großartigen Samye-Klosters ist in diesem Kloster gut vertreten und wirkte als Vorbild für den Bau weiterer Klöster. Im Jahr 1999 stellte die Zentralregierung zur umfassenden Restaurierung des Toding-Klosters eine größere Summe Geldes zur Verfügung. Inzwischen erstrahlt dieses Kloster in alter Pracht und neuem Glanz.