Der Lebensqualität der Bevölkerung mehr Aufmerksamkeit schenken

Ein Interview von Shen Honglei*

Han Kang, Vizerektor der Chinese Academy of Governance, forscht seit langem im Bereich vergleichende Wirtschaftstheorien, Wirtschaftssysteme und Makroökonomie. Er ist Herausgeber des Buchs „Chinas große Entwicklungsstrategie in der Periode des 12. Fünfjahrplans“ und des Sammelbandes „Neue Überlegungen über die chinesischen Marktwirtschaftsmodelle – Sammlung von Han Kangs Schriften über Volkswirtschaftslehre“. Außerdem wirkte er federführend bei der Erforschung mehrerer Teilaspekte des „12. Fünfjahrplans über die volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung“, als dieses Dokument ausgearbeitet wurde und viele Forschungsinstitutionen zur Erforschung relevanter Themen herangezogen wurden. Die Chinese Academy of Governance wurde im Jahr 1994 gegründet und ist vor allem für die Ausbildung öffentlich Bediensteter zuständig. In einem exklusiven Interview mit China heute spricht Han Kang über die Inhalte des 12. Fünfjahrplans und die Frage, wie die Lebensqualität der Bevölkerung langfristig gesteigert werden kann.

Wirtschaftswissenschaftler Han Kang

China heute: Statt die Forcierung des Wirtschaftstempos zu betonen, stellt der „12. Fünfjahrplan“ die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Vordergrund. Wie betrachten Sie diese Verschiebung?

Han: Im „12. Fünfjahrplan“ sind die Gesamtziele der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung festgelegt. Ein Schwerpunkt liegt vor allem darin, das Gesamtniveau der Preise im Großen und Ganzen zu stabilisieren, die Zahl der Beschäftigten weiter zu erhöhen und die internationale Zahlungsbilanz auf einem ausgewogenen Niveau zu halten. Auch die Qualität und Effizienz des Wirtschaftswachstums sollen erhöht werden. Das bedeutet meiner Meinung nach eine Relativierung der übermäßigen Betonung des Wirtschaftswachstums. Vielmehr wird nun Aspekten wie der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung, der Veränderung der Wirtschaftsstruktur, der Stabilität des Wachstums und der allseitigen Entwicklung größere Aufmerksamkeit geschenkt. Dies betrachte ich als einen bedeutenden Fortschritt in Verständnis und Konzeption von Entwicklung.

China heute: Halten Sie diese Entwicklungen für einen tief greifenden Wandel?

Han: Die Gewichtung der zentralen Ziele hinsichtlich des Wirtschaftswachstums wurde in den Fünfjahrplänen vielfach verschoben: von „sowohl schnell als auch gut“ über „sowohl gut als auch schnell“ bis zur gegenwärtigen „Relativierung der Bedeutung des BIP-Wachstums“. Das ist ein konzeptioneller Wandel, der die Zentralregierung und auch die Lokalregierungen beeinflusst. Wenn man sich einmal vor Augen führt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einst als der primäre Maßstab diente, an dem alle Leistungen der Regierungen aller Ebenen gemessen wurden, dann sieht man, dass der Wandel tief greifend ist.

China heute: Zukünftig soll man sich also nicht mehr am BIP als Indikator orientieren?

Han: Auch die Wissenschaft ist davon abgekommen, dem BIP als dem einzigen, goldenen Maßstab zu huldigen. Das Problem ist nur, dass es den Menschen trotz aller Anstrengungen bisher noch nicht gelungen ist, einen anderen anerkannten und überzeugenden Indikator zu finden, der das BIP ersetzen könnte. Es wurde über andere Maßstäbe wie etwa einen „Indikator für Lebensqualität“ oder das „Grüne BIP“ nachgedacht, aber solche Konzepte lassen sich nur schwer in Zahlen fassen. Deshalb können wir das BIP als Maßstab nicht völlig über Bord werfen. Das BIP-Wachstum ist längst ein Symbol für Chinas Wirtschaftsentwicklung geworden. Es ermöglicht China, weltweit mehr Handlungsspielraum zu gewinnen und mehr Entwicklungschancen wahrzunehmen. Was wir für den Begriff BIP tun können, ist, dass wir ihn umgestalten und vervollkommnen.

Der Bevölkerung mehr Vorteile und Nutzen gewähren

China heute: Wie lange wird es dauern, bis das Volk in den Genuss der Erfolge der neuen Politik zur Verbesserung der Lebensqualität kommen wird?

Han: Das Ziel der „Verbesserung und Gewährleistung der Lebenshaltung und Förderung der gesellschaftlichen Fairness und Gerechtigkeit“ wurde den zentralen Zielen des 12. Fünfjahrplans hinzugefügt. Das zeigt, dass sowohl die Regierung als auch die Wissenschaft ihre Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung in China vertieft hat.

China heute: Welche politischen Schwerpunkte setzt der 12. Fünfjahrplan?

Han: Auf der politischen Ebene betont die Regierung im 12. Fünfjahrplan die „Fairness und Gerechtigkeit“ und die „Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung“. Im 12. Fünfjahrplan wird die Zielsetzung der Entwicklung direkt auf das Wohlergehen der Bevölkerung bezogen. Das zeigt sich besonders darin, dass erstmals in einem Regierungsdokument festgelegt wird, dass das Einkommen der Bevölkerung im Gleichschritt mit der Wirtschaftsentwicklung und die Arbeitsentgelte mit der Erhöhung der Produktivität angehoben werden sollen.

Diese zweifache parallele Erhöhung kann als eindeutiges Versprechen der Regierung zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung betrachtet werden. Dieses Versprechen soll durch die Umsetzung verschiedener konkreter politischer Maßnahmen realisiert werden, wie z. B. durch die Erhöhung des Einkommens der Bevölkerung, die Verbesserung der sozialen Wohlfahrt und Ausbau der Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Bevölkerung wird anhand ihrer eigenen Lebenserfahrungen prüfen können, ob die Regieurng ihr Versprechen erfüllt hat. Damit wird auch die Vertrauenswürdigkeit der Regierung auf die Probe gestellt.