Noch gibt es viel zu tun
Die Regierung will das Netz der Altenvorsorge noch weiter aufspannen: Bis Ende 2012 sollen alle Beijinger Wohnviertel eine Altentagesstätte bekommen, in der den rüstigen Senioren vielfältige Aktivitäten angeboten werden. Aber auch die Zahl der pflegebedürftigen alten Menschen steigt rapide. Rund 10,36 Millionen Alte sind vollständig auf Pflege angewiesen und über 18,9 Millionen können ihren Alltag nur teilweise selbständig bestreiten. Langfristig werden viele auf professionelle Pflege angewiesen sein.
Das Pflegeheim im Ostbeijinger Wohnviertel Liufangnanli ist eine der Einrichtungen, die solche Menschen aufnimmt. Die meisten werden am Morgen von ihren Kindern in die Tagesstätte gebracht und abends wieder abgeholt. Tagsüber bietet ihnen das Pflegeheim Dienste wie Massagen oder Hilfe bei der Einnahme von Medikamenten, überwacht ihren körperlichen Zustand und bietet drei Mahlzeiten an. Dafür zahlen die Angehörigen monatlich rund 820 Yuan (100 Euro). Alle Pflegerinnen und Pfleger haben eine professionelle Ausbildung. Aber die Kapazitäten solcher Einrichtung sind begrenzt. Das Pflegeheim in Liufangnanli etwa hat lediglich fünf Betten, was den Bedarf des Wohnviertels bei weitem nicht deckt. Daher plant die Stadtregierung in den kommenden drei Jahren, 10 000 arbeitslose Menschen mittleren Alters als häusliche Pflegekräfte und Pflegehelfer in Altentagesstätten zu beschäftigen.
Gegenwärtig sind die Dienstleistungen der meisten Wohnviertel auf die Bedürfnisse gesunder Senioren ausgerichtet. Forderungen nach Sterbebegleitung sind bisher kaum zu erfüllen. Was die baulichen Voraussetzungen betrifft, haben es die Senioren sowohl in ihrem alltäglichen Lebensumfeld in den Wohnvierteln als auch in den Altentagesstätten bisher schwer. Es gibt noch viel zu tun im Altersversorgungssystem der Wohnviertel. Das Dienstleistungsangebot beispielsweise ist bisher beschränkt. Liu Lifeng vom Forschungsinstitut für Investment bei der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform schlägt vor, die Altersversorgung und Altenhilfe in den Wohnvierteln auf eine höhere Ebene anzuheben. Zu den Dienstleistungen sollten zukünftig neben alltäglichen Aktivitäten auch psychische Betreuung, häusliche Pflege und Rehabilitation zählen, fordert er.
Die Beijinger Stadtregierung hat reagiert und einen Pilotversuch gestartet: die Beijinger „Sonnenstadt". Es ist ein modernes, eigens für die Ansprüche betagter Menschen gebautes Wohnviertel mit kompletten Einrichtungen und einem umfassenden Angebot an Dienstleistungen. Es gilt als erstes Projekt dieser Art in der Volksrepublik. Das 420 000 Quadratmeter große Wohnviertel liegt in Xiaotangshan im Beijinger Außenbezirk Changping. Die bebaute Fläche beträgt 180 000 Quadratmeter. In der Anlage gibt es Wohngebäude verschiedener Klassen und sechs Altenzentren, die jeweils für medizinische Betreuung, kulturelle Bildung, Unterhaltung, Einkäufe, Hausdienstleistungen und den internationalen Austausch gedacht sind. Um das Problem der Finanzierung für die älteren Menschen in den Griff zu bekommen, setzt die „Sonnenstadt" auf das Konzept Wohnungstausch. Senioren können ihre bisherige Eigentumswohnung gegen eine gleichwertige Wohnung im Seniorenviertel eintauschen. Nach dem Tod wird der Preis der Eigentumswohnung berechnet und die Gesamtkosten, die der Senior im Wohnviertel zu zahlen hat, abgezogen. Die gesetzlichen Erben erhalten den Restbetrag, die Eigentumswohnung bleibt im Besitz des Wohnviertels.
Professor Wang Fuxian ist Leiter des Forschungsinstituts für Erziehungswissenschaften an der Beijinger Berufsfachhochschule für Sozialarbeit. Altenpflege und -hilfe in den Wohnvierteln sei nicht mit Wohltätigkeit gleichzusetzen, sagt er. „Sie müssen marktwirtschaftlich orientiert sein." Um ein Servicesystem für Senioren in den Wohnvierteln aufzubauen, müssten entsprechende politische Maßnahmen und gesetzliche Regelungen her, so Wang. In Bezug auf Einrichtung, Management, Zielgruppen, Geldmittelbeschaffung und Pflegekräfte fordert der Experte eine standardisierte und spezialisierte Verwaltung.