Lebensabend in China: Seniorenarbeit in den Wohnvierteln der Hauptstadt wird ausgebaut
Von Hou Ruili
China, Land der Senioren: Im weltweiten Vergleich ist China Spitze, was die Zahl der Alten angeht. Und auch das Wachstum des Altenanteils ist weltweit am schnellsten. Seit 1980 liegt die jährliche Wachstumsrate der über 60-Jährigen im Durchschnitt bei drei Prozent. Etwa 200 Millionen Senioren zählt das Land heute, sie machen damit gut ein Siebtel der chinesischen Gesamtbevölkerung aus. Und die Tendenz steigt: Die Zahl der Menschen über 80 wächst in China jährlich um ganze 5,4 Prozent.
Soweit, so gut. Das Problem nur: Chinas Einrichtungen zur Altenpflege können mit der Entwicklung bisher kaum Schritt halten. Derzeit gibt es nur rund 40 000 staatliche Alteneinrichtungen mit einer Gesamtkapazität von 830 000 Pflegeplätzen. Das reicht gerade einmal, um rund 0,5 Prozent der Senioren des Landes zu versorgen. Die meisten Stadtbewohner verbringen ihren Lebensabend deshalb zu Hause oder in den Alteneinrichtungen der Wohnviertel.
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Altenpflege aus Leidenschaft: Cheng Yifeng, Direktorin der Seniorentagesstätte Riguangyuan, sind die älteren Menschen wie die eigenen Verwandten ans Herz gewachsen. |
Reichhaltiges Kulturangebot
Eine dieser Seniorinnen ist Liu Xialing. Die 74-Jährige lebt alleine im Beijinger Wohnviertel Baiwanzhuang Xiqu, kurz Baixi, im Bezirk Xicheng im Zentrum der Stadt. Jeden Morgen steht für die rüstige Rentnerin erst einmal Frühsport auf dem Programm. Noch vor dem Frühstück nimmt die 74-Jährige an den Sportaktivitäten der vom Wohnviertel gegründeten Fitnessgruppe „Sonnenschein" teil, übt sich in Gymnastik und Tanz. Nach dem Frühstück geht sie dann zur Seniorentagesstätte Riguangyuan. Hier besucht Liu einen Flechtkurs. Seit einem Jahr nimmt sie teil und es geht immer besser, sagt sie. Geübt und mit ruhiger Hand flechtet die 74-Jährige aus Plastikperlen verschiedenste Spielzeuge. „Im letzten Winter habe ich ein Weihnachtsmännchen geflochten und es einem Freund geschenkt", erzählt sie, nicht ohne Stolz. „Ich finde, dass durch das Flechten mein schöpferisches Denken trainiert wird. Ich fühle mich gleich viel jünger", sagt sie. Liu hat eine frische und gesunde Gesichtsfarbe, all ihre Bewegungen wirken trotz hohen Alters geschmeidig und flink. Dass die Ärzte bei ihr vor gut einem Jahr die ersten Symptome von Alzheimer diagnostiziert haben, merkt man der Rentnerin nicht an.
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„Ich fühle mich gleich viel jünger": Rentnerin Liu Xialing, 74, sieht durch die Teilnahme am Flechtkurs ihr schöpferisches Denken trainiert. |
Das Wohnviertel Baixi liegt im Zentrum Beijings, es ist ein Wohnquartier mit langer Tradition. Baixi gehörte zu den ersten Wohnvierteln der Hauptstadt. Die Gebäude in Baixi sind überwiegend dreistöckige rote Ziegelbauten aus den 1950er Jahren, die Bewohner überwiegend Rentner, die vor ihrer Pensionierung für staatliche Behörden und Institutionen gearbeitet haben. Nach Daten der sechsten Volkszählung lebten in Baixi 2010 insgesamt 4754 ständige Einwohner, nur 400 davon waren unter 18 Jahren, über 60-Jährige gab es dagegen 1636. Der Seniorenanteil beträgt hier rund 30 Prozent. Zum Vergleich: Für ganz Beijing lag der Prozentsatz im gleichen Jahr bei nur 18,2 Prozent. Mittlerweile dürfte die Zahl der Senioren in Baixi auf mehr als 2000 angestiegen sein.