Seit 1994 haben die Absolventen die Qual der Wahl und müssen sich selbst auf Stellensuche begeben. Dabei stellt nicht selten das soziale Beziehungsgeflecht (die sog. Guanxi) einen Schlüssel auf dem Weg zu einer viel versprechenden Anstellung dar. 1994 gab es noch wesentlich weniger Hochschulabsolventen als heute, was die Stellensuche deutlich erleichterte. Die Bruttoeinschulungsquote lag bei lediglich 5,7 Prozent, die Zahl der Absolventen eines Hochschul-, Fachhochschul- oder Magisterstudiums bewegte sich landesweit um die 800 000. Der Beschäftigungsdruck war demnach eher gering.
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Mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt halten: Derzeit nehmen Chinas Hochschulen eine umfassende Reform unter anderem im Bereich der Lehrtätigkeit und der Studentenaufnahme vor. |
Die Situation änderte sich drastisch, als 1999 politische Maßnahmen zur Erweiterung der Studentenzahlen griffen. Allein in diesem Jahr stieg die Zahl der Studienanfänger sprunghaft um 48 Prozent. Die Zahl der Neueinschreibungen an allgemeinen Hochschulen und Universitäten stieg von 1,08 Millionen im Jahr 1998 auf 1,59 Millionen im Jahr 1999. Das hatte auch Einfluss auf die Arbeitssuche; der Konkurrenzdruck nahm deutlich zu. 2008 räumte das Bildungsministerium erstmals Fehler ein und besserte nach. Zwar verlangsamte sich dadurch das Wachstumstempo in den folgenden Jahren, aber bis heute bleibt die Lage angespannt. In diesem Jahr erreichte die Zahl der neu aufgenommenen Studenten 6,75 Millionen, eine Zunahme um das Achtfache gegenüber 1994.
Akademische Tätigkeiten in den Vordergrund stellen
Angesichts der Umbrüche gehen manche Bildungseinrichtungen ganz neue Wege. Ein Beispiel hierfür ist etwa die South University of Science and Technology of China (SUSTC) in Shenzhen, Provinz Guangdong. Das Motto der Universität: Verwaltung durch die Professoren. Am 1. März dieses Jahres nahmen die ersten 45 Studenten an der SUSTC ihr Studium auf. Aussicht auf einen vom Bildungsministerium anerkannten Studienabschluss haben sie allerdings nicht. Während der gesamten Phase der Gründungsvorbereitungen in den letzten drei Jahren verweigerte das Bildungsministerium der Universität die Qualifikation zur Aufnahme von Studenten. Die SUSTC beschloss daraufhin, eigenständig Studenten aufzunehmen.
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Die ersten Studienanfänger der South University of Science and Technology of China (SUSTC) im Februar 2011 |
Zhu Qingshi, Präsident der SUSTC, erklärt: „Der Wegfall der Administration ist ein internes Verwaltungsmodell unserer Universität. Es bedeutet nicht, dass die Universität kein administratives Management braucht.“ Ganz im Gegenteil: Ein hocheffektives Management sieht Zhu als eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Universität. „Die Essenz unseres Konzepts liegt darin, dass die Universität von Akademikern und Wissenschaftlern statt durch die Verwaltungsmacht geleitet wird. Nicht die hohen Instanzen, sondern Wahrheit und Wissenschaft haben das letzte Wort“, sagt er.
Zhu plant, die SUSTC zu einer innovativen, forschungsorientierten Universität nach dem Vorbild des California Institute of Technology (CIT) auszubauen. Die SUSTC verfüge über einen Hochschulrat, der die wichtigsten Entscheidungen durch Abstimmung unter den Mitgliedern treffe. „Ich fungiere quasi als Geschäftsführung. Ich halte das für eine gute Lösung, um administrative Einmischung zu vermeiden“, sagt Zhu.
Mögliche Wege, die Administration abzuschaffen, werden bereits seit einigen Jahren diskutiert. Die Regierung bezog hier bereits 1985 in ihrem „Beschluss des Zentralkomitees der KP Chinas über die Reform des Bildungssystems“ eine klare Position. Und auch in dem im Juli letzten Jahres veröffentlichten „Grundriss des nationalen Programms für die mittel- und langfristige Reform und Entwicklung des Bildungswesens 2010–2020“ fordert die Regierung, dass die Hochschulen und Universitäten Bürokratisierungstendenzen verhindern und bestehende Rangebenen in der Verwaltung sowie das Modell des administrativen Managements schrittweise abschaffen.
Die Fudan-Universität in Shanghai geht hier mit gutem Beispiel voran und leitete 2010 eine Reform ihres Verwaltungssystems ein. Präsident Yang Yuliang sagte damals über die Richtlinie zur Universitätsverwaltung: „Die Wissenschaft ist die Seele, die Erziehung der Menschen steht im Mittelpunkt. Unsere Universität wird gesetzmäßig verwaltet und Entscheidungen werden auf demokratische Weise getroffen.“ Die Reform ging von der Universitätsebene aus. Die in der Administration vertretenen Kader traten schrittweise aus den drei akademischen Organisationen, nämlich aus der akademischen Kommission, der Kommission für die Verleihung der akademischen Titel und der Kommission für die Bewertung der Lehrtätigkeit, aus. Die meisten Fakultätsleiter und Dekane bekleideten nicht mehr die Führungsposten in den drei Kommissionen.
Wesentlich fortgeschrittener als die Reformen im Verwaltungsbereich sind die Veränderungen bei der Aufnahme von Studenten. Die Regierung hat den Universitäten hier das Recht auf eigenen Entscheidungsspielraum eingeräumt.