Seit Mitte der 1990er Jahre haben die Lokalregierungen vieler Regionen Chinas zahlreiche Vergünstigungen für Senioren eingeführt. In Beijing beispielsweise erhalten alle über 60 einen Seniorenpass, mit dem sie kostenlos oder zum halben Preis Parks, Theater und Museen besuchen können. Außerdem können die Senioren mit dem Pass kostenlos Bus fahren und Bücher der öffentlichen Bibliotheken ausleihen. Vorausgesetzt sie haben einen Hukou für Beijing. „Wenn auch wir einen solchen Pass nutzen könnten, würde das unsere Lebensqualität erheblich erhöhen. Es gibt so viele schöne Parks und Museen in Beijing“, sagt Rentnerin Pei erwartungsvoll.
Ein Notfall-Piepser bald auch für die Wus?
Angst bereitet dem Rentnerehepaar aber vor allem das Risiko unvorhergesehener Unfälle. Vor einem Jahr ereilte Wu Yingfan genau ein solches Schicksal. Eines Tages stürzte er unvermittelt zu Hause und brach sich einen Oberschenkelknochen. Wu Yingfan hatte Glück – seine Frau war gerade da und konnte ihn rechtzeitig ins Krankenhaus bringen. Was aber, wenn es einmal nicht so glimpflich ausgeht? Unfälle wie der von Herrn Wu sind schließlich keineswegs Einzelfälle. Allein aus dem Bekanntenkreis der Wus stürzten im letzten Jahr vier Senioren und zogen sich Knochenbrüche zu. Im Ernstfall könnten alte, allein lebende Menschen mit einer solchen Situation schnell überfordert sein. Eine plötzliche Erkrankung oder ein Einbruch – vor solchen Dingen fürchten sich die Wus.
Einige Wohnviertel haben dieses Problem durch die Ausstattung der Wohnungen mit einem Piepser gelöst. Im Notfall können die Senioren schnell und unkompliziert Hilfe anfordern, ein Knopfdruck genügt. „In Extremsituationen ist es für uns manchmal schwierig, uns selbst an einfache Telefonnummern wie die der Polizei oder der Ambulanz zu erinnern“, erzählt Frau Pei. „Ein Piepser wäre deshalb auch für uns eine praktische Sache.“ Sie hofft, dass sich solche Geräte bald überall etablieren. „So könnten wir uns im Alltag einfach sicherer fühlen.“ Betreuungseinrichtungen für Senioren immer gefragter
Die Wus sind noch in traditionellen Familienstrukturen aufgewachsen. Mit dem Wandel der chinesischen Gesellschaft ändern sich nun auch die Vorstellungen von geeigneten Lebensmodellen. Die jüngste Tochter der Wus ist über 40 und immer noch kinderlos; ein so genannter „Dink“ (double income, no kinds). Für Pei Yunshun völlig unverständlich. „ ‚Wer kümmert sich um dich, wenn du mal alt bist?‘, frage ich sie immer wieder“, erzählt die Rentnerin kopfschüttelnd. Die Tochter aber bleibe gelassen. Den Lebensabend im Altersheim zu verbringen, wäre doch gar keine schlechte Wahl, findet die erwachsene Tochter.
Das Modell des Altersheims hat China erreicht. Immer mehr Senioren verbringen ihren Lebensabend in einer betreuten Pflegeeinrichtung. „In Zeiten der Ein-Kind-Politik muss sich ein einziges Ehepaar um vier oder noch mehr Senioren kümmern. Das ist wirklich nicht leicht zu bewältigen“, räumt Pei ein. „Zukünftig werden wohl die meisten Senioren ihre letzten Lebensjahre im Altersheim verbringen“, ist sie sich sicher. Noch ist die Anzahl solcher Betreuungseinrichtungen in China allerdings begrenzt und die Plätze rar. Erst kürzlich berichtete das Staatsfernsehen CCTV über ein Altersheim in Beijing mit 500 Betten. Die Plätze dort sind so begehrt, dass Reservierungen mindestens zwei Jahre im Voraus abgegeben werden müssen. Ein landesweites Problem, das längst nicht nur auf diese eine Einrichtung oder die Hauptstadt beschränkt ist.
Statistiken zufolge lebten Ende 2009 in China bereits rund 167 Millionen ältere Menschen über 60 Jahre. Die Zahl der Betreuungseinrichtungen für Senioren lag landesweit bei nur rund 38 000, mit einer Kapazität von etwa 2,662 Millionen Betten. Nach jüngsten Schätzungen mangelt es in China an mindestens drei Millionen Pflegeplätzen für Senioren. In den letzten Jahren forcierte die chinesische Regierung deshalb den Ausbau des Altenpflege-Services. Allein in Beijing sind seit 2009 jährlich 15 000 Betten hinzugekommen. Im Oktober 2010 lag die Zahl der Betreuungsplätze bei rund 65 000. Aber von einer Bedarfsdeckung ist man noch immer weit entfernt.
„Wir haben zum Glück unsere beiden Töchter und sind nicht auf eine solche Einrichtung angewiesen“, sagt Pei Yunshun. Aber die jüngste Tochter, da ist sie sich sicher, wird bestimmt im Alter die Leistung eines Pflegeheims in Anspruch nehmen müssen. „Ich hoffe, dass sich bis dahin die Situation gebessert hat und ausreichend Betreuungseinrichtungen für Senioren zur Verfügungen stehen werden.“
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Das Ehepaar Wu in seiner Wohnung im Beijinger Vorort |