Chinesische Hochschulaufnahmeprüfung – Gaokao (Teil 2): Prüfung mit langer Tradition
Von Stephanie Rudolf
Die Ursprünge des heutigen Gaokao-Systems lassen sich bis ins kaiserliche China zurückverfolgen.Während der Sui-Dynastie (581 – 618) wurden vom Kaiser Beamtenprüfungen eingeführt, in denen sich Kandidaten, vereinfacht gesprochen, auf drei Ebenen, nämlich auf der Präfekturebene, auf der Provinzebene und auf der Zentralebene, und schließlich in späteren Dynastien bis hin zur Palastprüfung, in der der Kaiser persönlich Aufsicht führte, messen konnten. Den erfolgreichen Kandidaten, deren Anteil an der gesamten Teilnehmerzahl allerdings gering war, wurde je nach Prüfungsebene ein Titel verliehen. Der berühmte Sinologe Richard Wilhelm hat diese Titel zutreffend im Deutschen wiedergegeben: Das Bestehen der untersten Prüfung gewährte das Recht auf die Bezeichnung Xiùcai (秀才, blühendes Talent, etwa Bakkalaureus); die mittlere Prüfung auf den Titel Jǔrén (举人, ausgewählter Mann, etwa Magister) und die oberste Prüfung in der Reichshauptstadt auf den Titel Jìnshì (进士völliger Gelehrter, etwa Doktor). Diese Titel bedeuteten auch die Aussicht auf einen lebenslangen Beamtenstatus und entsprechende Privilegien.
Die angehenden Beamten, die durch das kaiserliche Examen (chin. kējǔ 科举) ausgewählt wurden, wurden auf einem separaten Prüfungsgelände streng überwacht, um alle eventuellen Schummel- und Störfaktoren auszuschließen. Hermetisch abgeriegelt schrieben die Kandidaten in ihren Prüfungszellen (chin. kaoshe考舍) ihre Aufsätze zu gesellschaftlichen und politischen Fragen. Der Prüfungsstoff war dabei klar abgesteckt: Es galt die Vier Bücher (chin. sì shū四书; die vier kanonischen Bücher der konfuzianischen Lehre: Die Große Lehre, Doktrin der Mitte, Gespräche Konfuzius, Menzius) sowie die Fünf Klassiker (chin. 五经wǔjīng: Buch der Wandlungen, Buch der Lieder, Buch der Riten, Buch der Geschichte, Frühlings- und Herbstannalen) auswendig zu lernen, um passagenweise aus ihnen zu zitieren oder ihren Inhalt zu diskutieren. Hinzu kam noch die Beherrschung von bestimmten klassischen und modernen Reimschemata, die durch das Abfassen eigener Gedichte unter Beweis gestellt werden musste. Die Koryphäen auf dem Gebiet der Literatur brillierten aber nicht immer auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens. So gibt es zum Beispiel einige Berichte von hohen Beamten, die mit der Mathematik haderten. Über die Jahrhunderte veränderten sich Prüfungsordnungen und Anforderungen. Besonders beliebt wurde zum Beispiel ab der Ming-Dynastie (1368-1644) der so genannte achtgliedrige schablonenhafte Aufsatz (chin. bāgǔwén八股文), der die Erörterung einer Fragestellung in acht klar gegliederten Abschnitten zu jeweils 700 Zeichen erfordert. Erst 1905 wurden die kaiserlichen Beamten-Examina im Rahmen von Reformvorstößen am Kaiserhof, die durch reformeifrige Politiker initiiert wurden, abgeschafft.
Der eigentliche Vorläufer der heutigen Gaokao waren die 1952 eingeführten Hochschulzulassungsprüfungen, damals unter der Bezeichnung „National College Entrance Examination" (NMTP) bekannt. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurde das Prüfungssystem weiter ausgebaut; seine Halbwertszeit war jedoch kurz: Während des Großen Sprung nach vorn (1958) geriet es vermehrt in die Kritik und wurde schließlich mit Beginn der Kulturrevolution (1966) ganz abgeschafft. Stattdessen begann die Landverschickung der Schulabgänger und des Nachwuchses der Intellektuellen. Erst 1977 wurde die Hochschulaufnahmeprüfung durch Deng Xiaoping wieder belebt. Zu diesem Zeitpunkt war die Teilnehmerzahl recht niedrig in der Gaokao-Geschichte Chinas. Dies sollte sich mit den Folgejahren schlagartig ändern. Ab 1978 wurde der Prüfung ein landesweit einheitliches Design verpasst, was sich positiv auf die Kandidatenzahlen auswirkte. Auch die einsetzende Öffnungspolitik und der somit beginnende wirtschaftliche Aufstieg machten sich schnell bemerkbar: Bereits 1985 erhielten die Städte Shanghai und Guangzhou die Erlaubnis, ihre eigenen Prüfungsbögen zu erstellen. Bis zum Jahr 2003 folgten Beijing und Tianjng, sowie die Provinzen Jiangsu und Zhejiang.