Wo soll es sein, in China oder in Deutschland?

Von Wang Liping

Es ist fast ein halbes Jahr ruhig vergangen, seitdem ich Deutschland verlassen habe. Es liegen noch einige unruhige Tage vor mir, bis ich mich wieder auf den Weg nach Deutschand mache, nicht des mitreisenden Heimwehs wegen, sondern um eine Frage zu beantworten: Wo soll es sein, in China oder in Deutschland? Diese Frage erscheint mir wie ein Frechdachs, der mein winterschlafendes Gemüt wieder zum Leben erweckt.

Der echte Frechdachs aber ist meine 10 jährige Nichte, die ihre Neugierde aufpackt, als ich mein Gepäck einpacke. Sie öffnet mein Album in meinem Koffer und untersucht die Herkunft der Bilder. In China oder in Deutschland ist dann eine wichtige Frage, die den Kitzel ausgelöst hat.

Die ersten Bilder fallen der Kleinen nicht so schwer. Sie hat sofort die richtige Antwort gegeben. Das erste Bild ist das „Importierte“ und das Zweite ist „Made in China“. Die Kirche in dem ersten Bild und die Lotosblüte im zweiten Bild halfen ihr beim Unterscheiden.

„Warum ist im deutschen See nur Wasser, aber bei uns auch viele schöne Blumen?“, fragt sie mich.

Ich möchte diese allzu absolute Feststellung widerlegen, indem ich mein ganzes Album durchblättere, um ein Gegenargument zu finden. Aber leider umsonst. Sowohl im berühmten West-See in Hangzhou als auch im unbekannten kleinen See auf dem Land, die Lotosblüten sind überall beliebte „Einwohner“ in China. Dagegen sind in deutschen Seen solche schöne Wesen echte exotische „Ausländer“.

Bei den weiteren Bildern hat die kleine Nichte kein Glück. Sie hat ihr Gehirn angestrengt, aber das Rätsel bleibt ihr immer noch ein Rätsel. „Blauer Himmel, graue Bergsteine, weisse Wolken, grüne Wiesen...“, murmelt sie vor sich hin. „Alles ist gleich und niemand kann wissen, wo das sein soll. Vielleicht sind die chinesischen oder deutsche Landschaften aus verschiedenen Perspektiven.“

„Stimmt. Ich würde auch so denken, wenn es auf dem Bild 1 keine Alpen als Hintergrund, und auf dem Bild 4 keine kleinen Häuser im europäischen Stil gäbe.“ Mit meiner Antwort ist sie nicht zufrieden.

1 2  3     4

„Der europäische Stil ist doch kein Stil, der nur in Europa zuhause ist.“ Sie zeigt mir zwei Bilder als Beweis. „Die beiden Gebäude sind im europäischen Stil, glaube ich. Aber ich bin sicher, das erste Gebäude ist in China. Weil der Kleidungstil auf dem Balkon chinesisch ist. Außerdem hast du einmal erzählt, dass man in Deutschand die Klimaanlagen, anders als in China, nicht so auffällig neben den Festern anbringt.“

Von der „professionellen“ Bemerkung bin ich überzeugt.

Überzeugt bin ich auch davon, dass die nächsten zwei Bilder eine Falle für sie darstellt. Sie ist in die Falle gegangen. „Auf dem ersten Bild ist ein chinesischer Pavillon. Das ist bestimmt in China. Der zweite scheint mir ein Tempel zu sein. Aber in China wird kein Tempel auf dem Wasser gebaut, vielleicht es ist eine Erfindung der Europäer. “

„Tut mir Leid. Die Antwort ist leider falsch. Ganz im Gegenteil. Der erste Pavillion steht in München. So wie es den europäischen Stil in China gibt, ist auch der chinesische Baustil in Deutschland vertreten. Der zweite Pavillion befindet sich in Shanghai. Er ist ein Teehaus, kein Tempel. Tempel sehen anders aus.“