Olympia-Tagebuch V: Mittendrin statt live dabei
Heute ist für mich wieder mal einer der Tage, an dem ich „Wettbewerbsfrei“ habe. Also kann ich mich aufmachen, um ein bisschen die Trabanten der Olympischen Spiele zu erkunden. So fahre ich zum Millennium-Monument unweit der U-Bahnstation beim Militärmuseum. Hier sollen kulturelle Events stattfinden und natürlich werden auch die Olympischen Sportwettbewerbe auf dem riesigen Bildschirm auf der Rückseite des Monuments übertragen. Insgesamt ist nicht viel los, denn trotz freien Eintritts ist es nun einmal ein Wochentag und nur Studierende und Rentner können sich einen längeren Aufenthalt erlauben. Als Freund des Spießbürgerlichen macht mir der Anblick der aufgebauten Minigolfanlage besonders viel Freude, allerdings gibt es der Auskunft anwesender Freiwilliger zufolge zu dieser Zeit weder Bälle noch Schläger. Dafür aber sind Tischtennisplatten und ein an Basketball orientiertes Wurfspiel verfügbar, die von agilen Minderjährigen rege genutzt werden. Ich nehme mir die Zeit, mir meine mitgebrachte Lektüre vor Augen zu führen: die Olympische Charta. In den grundlegenden Prinzipien befinden sich Begriffe wie harmonische Entwicklung, friedvolle Gesellschaft, Solidarität und Freundschaft. Hohe Ziele für eine Sportveranstaltung, die dementsprechend in diesem Papier als „Wettbewerbe zwischen Athleten in Einzel- oder Teamevents und nicht zwischen Ländern“ beschrieben sind. Nun, der IOC hat auch in der aktuellen Fassung der Charta an diesen Prinzipien bisher festgehalten, gleichzeitig aber zugunsten der Anpassung der Olympischen Spiele an die Anforderungen von Seiten der Sponsoren und Medien einen Weg eingeschlagen, bei dem die Zuschauer, die ihr Land mit den anderen vergleichen wollen, auf ihre Kosten kommen. Der Einmarsch der Länderdelegationen, der Medaillenspiegel und die überall sichtbare Zuordnung der Athleten zu dem Land, für das sie antreten, gehört nicht erst bei diesen Spielen zu den zentralen Charakteristika der Spiele. So wird ein medialer und für das IOC vor allem auch kommerzieller Erfolg ermöglicht, der anders wohl schwer erreichbar wäre.
Nach einem Bad in der Sonne und in den traditionellen Vorstellungen der Urväter der Olympischen Spiele gehe ich vorbei an den Ständen verschiedener Sponsoren. Fast alle übertragen in ihrem kleinen, nach traditionellem chinesischem Stil gestalteten Häuschen einen der Sportwettbewerbe, und sei es, damit die Angestellten oder Freiwilligen in ihrer Pause auch schauen können, wie China bei den laufenden Wettbewerben abschneidet. Ich setze mich dazu, als eine Wiederholung der Basketballpartie China gegen Spanien gezeigt wird, denn erstens spiele ich selbst gerne Korbball und zweitens habe ich die Live-Übertragung des Vortages leider verpasst. China zwingt den amtierenden Weltmeister Spanien in einem spannenden Spiel in die Verlängerung, verliert dann aber doch knapp. Trotz zweier Niederlagen zum Auftakt hat das chinesische Team sich bisher als eine der besten Mannschaften der Welt präsentiert, was das bevorstehende Spiel China gegen Deutschland an diesem Samstag aus deutscher Sicht zu einem der sportlichen Höhepunkte bei diesen Olympischen Spielen macht.
Am Ende des Tages sitze ich in einem Restaurant beim Freundschaftshotel einer älteren britischen Lady gegenüber, die schon seit Jahrzehnten in China lebt, und die erzählt, dass sie sich bei diesen Spielen für Wettbewerbe begeistern kann, die sie sonst eigentlich nicht interessieren. Sie ist erstaunt, wie gut sich die chinesischen Athletinnen schlagen, vor allem auch bei Sportarten wie Gewichtheben. Mit schwebt das werbewirksame und medial verbreitete Bild einer zierlichen Asiatin im Sinn herum, aber wir sind uns dann schnell einig: Frauen in Stöckelschuhen könnten keine schweren Lasten schultern.
Lars Mörking 北京 2008年8月13日
