In der älteren Generation, die mit dem Westen noch keine direkten Kontakte hat, gibt es erstaunliche Schwarz-Weiß Vorstellungen. So wird der gerade, aufrechte „viereckige" chinesische Nationalcharakter verbunden mit der traditionellen chinesischen Vorstellung einer viereckigen Erde. Wohingegen die Europäer mit ihren „runden" hinterlistigen Charakter die Auffassung einer runden Erde vertreten hätten. Solche antiquitierten Auffassungen betrachtet die jüngere Generation mit Spott. Sie haben oft im Ausland studiert und profitieren von westlichen Sprachen sogar beim Liebesspiel. So befiehlt Fräulein Su ihrem zögernden Liebhaber Fang Hongjian „embrasse moi", da das auf Chinesisch doch zu gewagt wäre. Als nützlich erweist sich auch die westliche Philosophie: Nachdem Fang Hongjian mehrere Jahre ohne sichtbaren Erfolg in Europa studiert hat, entschließt er sich, von einem unternehmungslustigen Iren ein gefälschtes Doktordiplom zu erwerben. Gewissenszweifel beschwichtigt er nicht nur durch Konfuzius, sondern auch durch Plato: „Doch er hatte etwas Philosophie studiert – manchmal waren Lüge und Betrug durchaus nicht unmoralisch. In Platos idealem Staat müssen die Soldaten die Feinde, die Ärzte die Kranken und die Beamten die Volksmassen beschwindeln. Ein Heiliger wie Konfuzius stellte sich krank, um den zweifelhaften Ru Bei nicht empfangen zu müssen ... Da Vater und Schwiegervater ihn als Doktor zu sehen wünschten, konnte er sie als guter Sohn und Schwiegersohn doch nicht enttäuschen!"
Obwohl seit dem ersten Erscheinen der Umzingelten Festung sechzig Jahre voller gesellschaftlicher Umwälzungen vergangen sind, ist das Buch heute in China aktueller als je. Dies hat verschiedene Gründe: Einmal ist der Roman ein Dokument der Zeitgeschichte, eine lebendige Schilderung der chinesischen Gesellschaft der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Anders als die meisten Erzählungen über diese Epoche ist das Buch jedoch aus keinem engagiert politischen Blickwinkel geschrieben, es fehlen völlig die antijapanischen Widerstandskämpfer oder die kommunistischen Helden. Stattdessen schildert Qian ohne soziales Pathos witzig und realistisch den damaligen Alltag.
Ferner behandelt die Umzingelte Festung ein Hauptthema, das heutzutage im Zuge der Globalisierung den Menschen wieder auf den Nägeln brennt – die Auseinandersetzung zwischen alten einheimischen und den von außen eindringenden westlichen kulturellen Werten. Im Unterschied zu anderen Werken bleibt der Roman jedoch nicht bei einer Gegenüberstellung der kulturellen Unterschiede stehen. Dargestellt wird kein „Kampf der Kulturen", vielmehr zeigen sich immer wieder sehr konkrete, oft verblüffende chinesisch-westliche Berührungspunkte.
Auf einen westlichen Leser wirken die Romanfiguren mit ihren Gefühlen und Handlungsweisen gleichzeitig fremd und vertraut. Wir spüren das Ungewohnte und den Reiz des Fremden, aber erkennen uns darin zu unserem Erstaunen oft wieder. So können wir den berühmten „Affenschwanz" – Symbol der tierischen egoistischen menschlichen Natur – nicht nur bei Chinesen, sondern auch bei uns selbst entdecken: „In Wirklichkeit sind menschliche Fehler wie ein Affenschwanz, der unsichtbar bleibt, solange der Affe am Boden hockt, und erst bewundert werden kann, wenn der Affe auf einen Baum klettert und uns sein Hinterteil darbietet. Doch der rote Affenpopo mit dem langen Schwanz ist immer da und nicht Resultat einer hohen Stellung."
Die überraschenden Gegenüberstellungen, Spiegelungen und Berührungen zwischen so unterschiedlichen Kulturen wie der chinesischen und der westlichen machen den Roman nicht nur zeitnah, sondern auch zukunftsweisend.