„Wir kommen dahin, wo unsere Zuschauer sind“ – Private Opernensembles touren übers Land
Von Zhu Hong
Es ist erst kurz vor 12 Uhr, noch gut eine Stunde bis zum Auftritt des Opernensembles Qunyi. Schon jetzt drängen sich die Dorfbewohner in den Tempelhof, ein Drittel der Plätze ist bereits besetzt. Es ist bereits der sechste Tag in Folge, den das Qunyi-Ensemble hier gastiert und seine traditionelle Yue-Oper zeigt. Trotzdem nimmt der Andrang nicht ab in Tashuiqiao, einem kleinen Dorf, das der Stadt Taizhou angehört und in der südostchinesischen Provinz Zhejiang liegt.
Private Opernensembles wie Qunyi gibt es in China derzeit fast 7000. Sie bringen Kunst der unterschiedlichsten Genres auf die Bühne – Oper, Gesang und Tanz, Akrobatik, Zauberkunst, Marionetten- und Schattenspiel. Jährlich bringen sie es zusammen auf über zwei Millionen Vorstellungen. Während viele staatliche Ensembles um ihre Existenz bangen, touren private Ensembles über die Dörfer – mit Erfolg. In Zhejiang zum Beispiel machen sie auf dem Land bereits einen Löwenanteil von rund 90 Prozent am Schauspielmarkt aus.
Teil der ländlichen Tradition
Bühnenensembles zu engagieren hat in den ländlichen Gegenden der Provinz Zhejiang eine lange Tradition. Ob bei Feierlichkeiten zur Vollendung des ersten Lebensmonats eines Säuglings, runden Geburtstagen von Senioren, der Einweihung einer neuen Straße oder bei Betriebsfeiern – Darbietungen wie die des Qunyi-Ensembles sind ein fester Bestandteil des Programms. Die Privatwirtschaft der Küstengebiete ist relativ gut entwickelt. Nicht wenige Bauern haben eigene Unternehmen gegründet, sind reich geworden. Die Gage für eine Opernaufführung aufzubringen, stellt für sie kaum ein Problem dar. In den 1980er Jahren waren es noch einige hundert Yuan, die man hinblättern musste, heute muss man mit einigen tausend oder sogar zehntausend Yuan rechnen. Die einfachen Leute können die Aufführungen gratis genießen. Vor allem bei Tempelfesten sind die Darbietungen kaum wegzudenken. Fast jedes noch so kleine Dorf hat einen eigenen Tempel, in dem Bodhisattwa geopfert wird. Zur Geburtstagsfeier des Bodhisattwa sammeln die Dorfbewohner Geld, laden ein Opernensemble ein und bitten um Frieden und Sicherheit.
 |
Eine Aufführung des Yue-Oper-Ensembles Qunyi im Dorf Tashuiqiao |
Die Yue-Oper ist eine der fünf bekanntesten Opernstile und das zweitgrößte lokale Bühnengenre in China. Außer in Zhejiang ist sie vor allem in Shanghai und der Provinz Jiangsu weit verbreitet. Im Altertum gehörte das Gebiet zum Königreich Yue, weshalb die Yue-Oper ihren Namen trägt. Die Stücke werden im südchinesischen Dialekt gesungen, untermalt von sanft-lieblichen Melodien. Die Begeisterung mancher Anhänger reicht soweit, dass sie den Ensembles nachreisen. Manch eingefleischter Fan sieht sich monatlich so mehr als 20 Vorstellungen an. Der Opernbesuch bereichert den Alltag der Menschen; insbesondere ältere Menschen schätzen diese Art der Freizeitgestaltung. Gleichzeitig leisten die Aufführungen auch einen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes, vermitteln den Zuschauern historische und geografische Kenntnisse. „Auch ohne speziellen Anlass laden wir oft Ensembles hier zu uns nach Tashuiqiao ein“, sagt Liu Mingchun, ein Dorfbewohner.