Cheng Wei: Eine Schriftstellerin, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen bewegt

Von Susanne Buschmann

Kürzlich las ich, was ein chinesischer Kunstkritiker über die Merkmale von „wahrer Kunst“ geäußert hat. „Wahre Kunstwerke“, so schrieb er, „sollten die Achtung vor der Natur und den Respekt vor dem Leben eindeutig widerspiegeln. Ein echter Künstler sollte seine Heimat lieben und die Probleme der Menschen im Blick haben…Erst dann wird er in der Lage sein, unverfälschte Gefühle auszudrücken und große Kunst zu schaffen.“

Das Zitat bezieht sich zwar auf Werke der bildenden Kunst, es kam mir jedoch sogleich in den Sinn, als ich zum erstenmal die zauberhaften Erzählungen der chinesischen Schriftstellerin Cheng Wei zu Gesicht bekam. Zunächst las ich einige ihrer Kurzgeschichten selbst, später hörte ich sie, als sie von der Autorin auf Chinesisch und von einer Schauspielerin in deutscher Übersetzung vorgetragen wurden. Beide Male ein unvergeßliches literarisches Erlebnis !

Das Chinesische Kulturzentrum in Berlin hatte Cheng Wei zu dieser Lesung eingeladen. Damit bot sich der Schriftstellerin die Gelegenheit, ihr erstes in Deutschland erschienenes Buch „Die weisse Pagode“, eine Sammlung von Erzählungen aus zweieinhalb Jahrzehnten, dem deutschen Publikum vorzustellen. Es handelte sich dabei um die erste öffentliche Veranstaltung des Kulturzentrums im neuen Jahr. Zugleich war dies aber auch ein weiteres Highlight in der Reihe literarischer Veranstaltungen des Kulturzentrums mit bekannten chinesischen und deutschen Autoren. Neben dem bedeutenden deutschen Schriftsteller Martin Walser haben hier bereits so bekannte chinesische Autoren wie Wang Meng, Mo Yan, Yu Hua, Tie Ning und andere den deutschen Lesern Einblick in die chinesische Literatur der Gegenwart gegeben.

Cheng Wei ist in China eine bekannte Schriftstellerin. Sie stammt aus Wuxi und studierte in Nanjing chinesische Sprache und Literatur. Ab Mitte der siebziger Jahre, schon vor ihrem Studium, begann sie viel beachtete Erzählungen zu schreiben. Später, als Redakteurin in der Abteilung Fernsehspiel beim Fernsehsender Jiangsu, verfasste sie zahlreiche Erzählungen, Romane und Drehbücher. Sie erhielt in China mehrere bedeutende Literaturpreise. In den letzten beiden Jahren schrieb Cheng Wei zwei Romane für Jugendliche, die in China sehr erfolgreich sind: „Das Mädchen mit der roten Bluse“ und „Das Mädchen mit dem roten Schal“. Für eine der großen Tageszeitungen Chinas, die Yangzi Wanbao, verfasst sie regelmäßig eine Kolumne.

Cheng Wei lebt zur Zeit in Hamburg. Sie ist aber weiterhin mit allen Lebensfasern ihrer chinesischen Heimat eng verbunden. Erst kürzlich kehrte sie von einer mehrwöchigen Lesereise aus China zurück. Auf großen Veranstaltungen, an denen Tausende von Schülern teilnahmen, las sie ihre Geschichten vor. Dazu zählten unter anderem auch die Erzählungen „Die weisse Pagode“ (白色的塔 ) und „Dieses Jahr ist Gelb in Mode“ (今年流行黄裙子 ), deren jugendliche Protagonisten sich mit der realen Welt der Erwachsenen auseinandersetzen, indem sie kindliche Träume aufgeben und enttäuschte Hoffnungen verarbeiten müssen. Die erwachsenen Zuhörer im Chinesischen Kulturzentrum in Berlin erfreuten sich an den Texten Cheng Weis genauso wie die Schüler und Lehrer in China.