Anmerkungen
zum chinesischen Glückssymbol Fledermaus
Von
Huo Jianying
Auf
chinesischen antiquarischen Vasen ist ein Motiv häufig
zu sehen, wie ein Kind mit gehobenem Kopf eine in der
Luft fliegende Fledermaus beobachtet. Das alte Motiv ist
eine wahre Beschreibung des Alltagslebens in der alten Hauptstadt
Beijing.
Verschwundene Bilder des Alltags von Beijing
Alte Beijinger können sich heute noch
deutlich an eine Szene aus ihrer Kindheit erinnern: An einem
Sommerabend setzten sich die Bewohner des Wohnhofs nach einem
anstrengenden Arbeitstag unter den Bäumen des Wohnhofs
zusammen, trinken gemütlich Tee und plaudern, wobei sie die
Fächer in ihrer Hand schwenkten, um die schwüle Luft zu
vertreiben.
Dämmerungsaktive
Fledermäuse flogen, flatterten in niedriger Höhe und
brachen damit die Stille des Abends. Spitzbübische Kinder jagten
laufend ihnen nach. Manche zogen noch ihre Schuhe aus und warfen
sie in die Luft, um die Fledermäuse zu erbeuten, die jedoch
beim Fangen von Insekten mal hoch und mal niedrig flogen,
als ob sie absichtlich mit den Kindern Spaß machten. Diese
Szene gab es einmal vor langer Zeit.
Von der Mitte des 20. Jahrhunderts an machten
immer mehr alte Wohnhöfe in der Stadt Plattenbauten und
anderen Betongebäuden Platz, hinzu kamen noch viele niedrige
Erdbeben-Schuppen. (Kurz nach dem Erdbeben in Tangshan in der
Nähe von Beijing 1976 hausten viele Einwohner in Beijing
sicherheitshalber in den eilig gebauten primitiven Schuppen,
die auch lange Zeit danach nicht abgebaut wurden.) Geräumige,
luftige und mit Pflanzen geschmückten Wohnhäuser verschwanden
fast völlig. Die Bewohner haben keine Höfe mehr, und
die Fledermäuse verloren ihre Lebensräume. So sind
die Fledermäuse auch nicht mehr zu sehen.
Heute
haben viele in der Stadt aufgewachsene Jugendliche in ihrem
Leben noch keine Fledermaus zu Gesicht bekommen. Ihre Kenntnisse
über die Fledermaus sind weitaus geringer als die über Batman.
Nach ihrer Vorstellung sind Fledermäuse nicht mehr die
fliegenden Tiere in der Luft, nach denen die Kinder noch vor
einigen Jahrzehnten am Sommerabend liefen, sondern sie sind
nun ein in einen schwarzen Mantel gehüllter „Supermann“. Er
hat einen wundersamen Fledermaus-Wagen und Fledermaus-Kampfflugzeuge
und sie bilden eine Fledermaus-Form vor dem Mond als Hintergrund.
Das Auftauchen von Batman verlieh jedoch den
Fledermäusen eine mystische Färbung. Die Fledermaus
ist eigentlich ein weltliches Geschöpf , lebt und
pflanzt sich in ihrer Art fort. Aber die Menschen haben sie
zu einem symbolhaften Wesen gemacht, das Verehrung und Verachtung
in sich birgt.
Urteile und Vorurteile über Fledermäuse
In China galt die Fledermaus in alter Zeit
als außerordentlich verdächtig, insbesondere hinsichtlich
ihres ungewöhnlichen Aussehens und ihrer Lebensgewohnheit.
Die Menschen damals konnten nicht herausfinden, woher diese
besonderen Mäuse mit den Flügeln kommen. Lange Zeit verbreitete
sich eine volkstümliche Erzählung, dass die Mäuse,
nachdem sie Salz, Kroton oder Öl gefressen hatten, zu Fledermäusen
geworden seien. Da die Mäuse berüchtig waren, hatten die
Fledermäuse einen schlechten Ruf.
In
der Periode der Drei Reiche (220 – 280) hat der große
Dichter Cao Zhi ein Essay über Fledermäuse geschrieben.
Der Textanfang lautet: „Oh, aus welcher bösen Luft stammt
eigentlich die Fledermaus!“ Der Dichter bemerkt weiter dazu,
„dass sich dieses Tier weder in die Tiere mit Fellen noch in
die Tiere mit Federflügeln einordnen lässt.“ Dieses negative
Urteil steht nicht allein, auch in den Äsopischen Fabeln
wird die Fledermaus als armseliger Spekulant beschrieben. In
großen Schlachten zwischen Vögeln und vierfüßigen
Tieren schmeichelt die Fledermaus immer dem Sieger, indem sie
zu den Vögeln sagt: sie sei ein Vogel; zu den vierfüßigen
Tieren, sie gehöre zu diesen.
Nachdem der Frieden geschlossen wurde, wird
die Fledermaus jedoch von beiden Seiten geächtet. Sie scheut
sich, am Tag zu erscheinen, und kann so nur bei der Abenddämmerung
ausfliegen.
In alten chinesischen medizinischen Büchern
steht geschrieben: Die Fledermaus sei ein Heilmittel und könne
das Leben verlängern sowie kindliche Epilepsie heilen.
„Die tausend Jahre alte Fledermaus hat eine schneeweiße
Farbe. Man sollte sie nach deren Erbeutung im Schatten trocknen
und zu Pulvern zerstoßen. Wenn man diese eingenommen hat,
kann man zur Langlebigkeit gelangen.“ Diese Ausführungen sind
offensichtlich ein barer Unsinn. In der Welt wird nie über die
„schneeweiße Fledermaus“ berichtet. Seither ist weder
die Verlängerung des Lebensalters noch die Heilung irgendeiner
Krankheit durch die Fledermaus bekannt geworden. Wenn die Fledermaus
wirklich solche wundersame Wirkungen hätte, dann wäre
sie wohl längstens schon ausgerottet.
Erst
in neuer Zeit hat man festgestellt, dass die Fledermaus weder
Blutsauger noch wundersames Heilmittel ist. Sie ist nichts weiter
als ein Säugetier mit der Fähigkeit zum Fliegen und
gehört zoologisch zu Flattertieren. Dass sie in der Nacht
fliegen kann, ist auf ihren hochentwickelten Gehörsinn
zurückzuführen, der nach dem Prinzip der Echopeilung durch die
durch Mund und Nase ausgesandten hochfrequenten Ultraschallwellen
ein zugehöriges Raumbild vermittelt. Ihre Sehschärfe
ist außerordentlich schwach.
Symbolhafte Wirkung
Die Fledermaus hat in China das Glück gehabt,
trotz üblem Leumund verschiedene Unheile zu überleben,
was nicht zuletzt an ihrer Bezeichnung liegt.
Der zweite Teil der aus zwei Schriftzeichen
zusammengesetzten Bezeichnung für Fledermaus im Chinesischen
ist „fu“ und entspricht in der Aussprache dem Schriftzeichen
Glück. Philosophisch gesehen sieht man in der Fledermaus wohl
tatsächlich ein Glückssymbol, denn die daoistische Dialektik
lehrt den Menschen, dass sich Glück und Unglück in einem ständigen
Umwandlungsprozeß befinden. Hinzu kommt noch, dass die
Insekten fangende Fledermaus seit jeher still und in rührender
Weise für die Menschheit arbeitet. Vor einigen Jahrhunderten
hat ein gutherziger Mann die Fledermaus von den Vorurteilen
befreit und sie aufgrund des Homophons zu einer sog. „ Image-Trägerin“
des Glücks gemacht. So wurde die unansehnliche Fledermaus zum
Symbol des Glücks.
Man
hat vermutlich um 17. Jahrhundert angefangen, die Fledermaus
als Glück symbolisierendes Motiv zu verwenden. In der mittleren
und späten Periode der Qing-Dynastie (1644-1911) wurde
dieses Motiv sehr häufig verwendet. Man sieht es auf Bauteilen,
Textilmustern, Gemälden, Porzellanen, Möbelstücken
und Ziegelsteinen und auf Seidenstickereien. Die Gestaltung
des Motivs beruht auf genauer Wiedergabe, manchmal aber auch
auf Abstrahierung. Die Fledermaus hat nun ein immer besseres
Ausssehen.
Es kommt vor, dass das Motiv allein oder mit
anderen Motiven zusammen gestaltet wurde. Wenn beispielsweise
fünf einzelne Fledermäuse in einem Bild gezeichnet sind,
dann handelt es sich um fünf „fu“(Glück), dieses fünfmaliges
Glück bezieht sich auf fünf wichtige Lebensziele der Menschen
in alter Zeit: Langlebigkeit, Reichtum, Gesundheit, Tugendhaftigkeit
und ein ruhiges Lebensende.
Die fünf Fledermäuse kreisen im Bild
um das stilisierte kalligraphische Schriftzeichen „Langlebigkeit“,
das Bild trägt den Titel: Fünfmaliges Glück mit Langlebigkeit
im Mittelpunkt. Neben der Kombination mit den Schriftzeichen
wird das Motiv Fledermaus auch häufig mit dem Motiv Pfirsisch
verwendet. Das symbolisiert ebenfalls Glück.
Ein
Bild mit Fledermäusen und Münzen mit einem viereckigen
Loch bildet eine Variation der Gestaltung des Fledermaus-Motivs
aufgrund des Homophons und lässt sich ebenfalls symbolisch
auslegen: Das Schriftzeichen für das Loch in der Münze entspricht
im Chinesischen in der Aussprache dem Yan (Auge), und die Münze
etwa der Präposition „vor“. Diese ausgeklügelte Motivkombination
bedeutet letzten Endes „Glück ist vor den Augen“, es ist also
in greifbarer Nähe.
In den Frühlingsfestbildern wird Zhongkui
als unsterbliche mystische Figur verehrt. Nach der volkstümlichen
Überlieferung kann er sowohl böse Geister vertreiben,
als auch Glück herbeizaubern. In einem Bild mit Zhongkui ist
über seinem Schwert eine kleine fliegende Fledermaus gezeichnet.
So sind seine beiden Funktionen veranschaulicht.
Wenn die Fledermaus rot bemalt ist,
dann bedeutet das, dass das große Glück kommt, - „Hong“
(rot) wird im Chinesischen gleich ausgesprochen wie „Hong“ (gewaltig,
groß).
Bleibende Magie im Homophon
Literaten in alter Zeit machten gern Wortspiele
unter Verwendung von Redensarten in literarischen Werken, Malerei,
aber auch im Alltagsleben. Im Roman Traum der Roten Kammer
machte beispielsweise Shi Xiangyun einen Scherz mit ihren Dienstmädchen,
als sie einen gekochten Entenkopf speiste: „Dieser Yatou (Entenkopf)
ist doch anders als jener Yatou (Dienstmädchen), darauf
gibt es kein Haaröl.“ Heute ist eine derartige von
Literaten erfundene Wortspielerei vom modernen Leben weit entfernt,
doch der Einfluss der durch Homophon geprägten Wortspielerei
ist immer noch deutlich spürbar. Beispielsweise möchte
man heute in Telephonnummern und auf Autonummernschildern gern
die Ziffer 8 haben, denn diese bevorzugte Ziffer entspricht
in ihrer Aussprache dem Verb in den Wendungen „faji“ (Karriere
machen), „facai“ (reich werden). Die Ziffer 8 gilt also als
Glücksziffer.
Auf
den Glück symbolisierenden Bildern ist häufig die Motivkombination
von einer Fledermaus und einem Hirsch zu sehen. Sie bedeutet,
dass Glück und Beamtensalär gleichzeitig kommen, weil Hirsch
im Chinesischen wie Beamtensalär gleich ausgesprochen wird.
Auf den Frühlingsfestbildern sieht man am häufigsten einen
Jungen mit einem großen Fisch im Arm vor einem Lotushintergrund.
Neben der fröhlichen Stimmung im Bild bringt es in symbolischer
Weise zum Ausdruck, dass man in den kommenden Jahren hintereinander
Überschuss hat, wobei wieder das Homophon im Spiel ist:
„Lian“ (Lotus) wird wie „lian“ (hintereinander), „yu“ (Fisch)
wie „yu“ (Überschuss) ausgesprochen wird.
Es gibt über einhundert derartige Wortspiele,
manche sind volkstümlichen Ursprungs, manche wurden von Literaten
ersonnen. Manche sind literarisch stilisiert, manche klingen
wiederum vulgär. Im Lauf der Zeit wurden vulgäre Wortspiele
ausgeschieden.
Glückssymbole
verkörpern die Vorstellung der Menschen vom Glück. Die
Glücksvorstellung der Völker hat sowohl Gemeinsamkeiten
als auch Eigenheiten. Im Grunde stellt sie ein Streben nach
einem glücklichen Leben dar. Glückssymbole tragen das Gepräge
der jeweiligen Zeit und die kulturellen Charakterzüge verschiedener
Völker. Die Geschichte der Glückssysmbole ist genauso alt
wie die Geschichte der chinesischen Zivilisation und ist ein
aus der Vergangenheit überliefertes Kulturerbe. Dabei sind manchmal
Spreu und Weizen vermischt, im Lauf der Zeit hat sich die Spreu
allerdings meistens vom Weizen geschieden. Viele Symbole werden
heute noch verwendet. Sie erfreuen die Seele und verschönen
das Leben.
Aus der Vergangenheit sind viele Bildmuster
mit dem Fledermaus-Motiv überliefert, viele werden heute noch
verwendet. Dabei können die Fledermäuse beruhigt sein,
selbst wenn sie den göttlichen Altar nicht erreicht haben,
können sie in Sicherheit leben, denn immer mehr Menschen
gelangen zur Erkenntnis, dass die Menschheit mit den anderen
Geschöpfen der Welt in Harmonie leben muss. Mit ihnen vernünftig
umzugehen, bedeutet, vernünftig mit sich selbst umzugehen -
das bringt der Menschheit Glück.