Zwischen
Wandel und Tradition: zum 850-jährigen Jubiläum der
Hauptstadt Beijing
Von Lu
Rucai


Mittlerweile sind es 850 Jahre her, seit Beijing
1153 zur Hauptstadt Chinas ausgerufen wurde.
Beijing
ist eine traditionsreiche Stadt. In den 30er Jahren des vorigen
Jahrhunderts beschrieb sie der berühmte Essayist Lin Yutang,
der auch im Westen ein hohes Renomee genießt, in einem
Essay mit dem Titel Beijing, eine rührende Stadt als
„rüstigen alten Menschen mit vornehmen Eigenschaften.“ Noch
heute werden auf Baustellen in Beijing immer wieder Jahrhunderte
oder gar Jahrtausende alte Tonwaren ans Tageslicht gebracht.
In ihnen zeigt sich die glorreiche Vergangenheit und der tiefe
geistige Gehalt dieser alten Stadt. Während der letzten
850 Jahre hat alles, was in dieser Stadt geleistet wurde – von
der in der Jin-Dynastie (1115–1234) erbauten, heute noch funktionstüchtigen
Lugou-Brücke (Marco-Polo-Brücke) über das mit blauen Blumen
verzierte Porzellan der Yuan-Dynastie (1206–1368) bis zu den
schlichten Wohnhöfen und prachtvollen Gärten und Palästen
– sie zu einer Schatztruhe gemacht, die in der Kulturgeschichte
der Welt einzigartig ist.
Beijing
ist zwar das Regierungszentrum eines Landes, in dem die Volksgruppe
der Han die überwiegende Mehrheit stellt. Zur Hauptstadt gemacht
wurde es jedoch von einem Volk aus dem Norden, nämlich
den Nüzhen. Auch während eines Großteils der darauf
folgenden achteinhalb Jahrhunderte, in der Yuan- und der Qing-Dynastie,
stammten die Herrscher aus im Norden des Landes lebenden Nomadengruppen.
Dies verlieh der Stadt Toleranz und Offenheit. Sie nahm Kulturelemente
verschiedener Nationalitäten auf, was sich sowohl in den
Speisen, der Kleidung als auch in der Architektur und der Sprache
niederschlug. Darüber hinaus kamen während dieser Zeit
verschiedene Persönlichkeiten aus dem Westen, darunter
Marco Polo, Matteo Ricci und Giuseppe Castiglione, nach Beijing,
die abendländisches Wissen und westliche Technik vermittelten
– von der Astronomie bis zur Malkunst. Später gelangten
auf diesem Weg der Uhrenbau und die Fotografie nach China. Dass
diese Neuheiten bald einen unentbehrlichen Bestandteil des Beijinger
Kulturlebens bildeten, ist ein Beweis für die Aufnahmefähigkeit
dieser alten Stadt.
Die
Reform- und Öffnungspolitik der 80er und 90er Jahre des
vorigen Jahrhunderts trieb Beijings Offenheit in neue Höhen.
Heute kommen zahlreiche ausländische Studenten zum Studium
nach Beijing, und ausländische Unternehmen lassen sich
in der Stadt nieder. Westliche Kultur- und Denkströmungen
gelangen nach Beijing, was der Stadt ein multikulturelles Gepräge
verleiht. „Beijing trägt bunte Farben, alte und neue. Es
gibt die kaiserliche Farbe, die Farbe der alten Geschichte und
die Farbe der mongolischen Steppe. … Die Stadt hat Tempel, alte
Gärten, Pagoden. Um jeden Stein, jeden Baum und jede Brücke
ranken sich historische Anekdoten.“ Die kulturelle Vielfalt,
die Lin Yutang vor rund 70 Jahren mit diesen Worten beschrieb,
wird heute immer wieder bestätigt.
Die gegenwärtige Stadtstruktur basiert
auf dem unter dem Ming-Kaiser Yongle im 15. Jahrhundert ausgearbeiteten
Bauplan. Die Stadt hat immer noch das Tor des Himmlischen Friedens
zum Mittelpunkt, die Mittelachse blieb erhalten, und an den
Ringstraßen stehen kreisförmige Stadtviertel. Die
Straßen bilden auch heute noch ein Schachbrettmuster,
so dass man sich nicht leicht verläuft. Während viele
alte Wohnhöfe erhalten geblieben sind, entstehen in den
östlichen Bezirken moderne Geschäftsviertel und das
CBD (Central Business District). Im High-Tech-Park Zhongguancun
im Nordwesten der Stadt zeigt die Stadt ein anderes Antlitz.
Unverändert bleibt Beijing im Kaiserpalast,
im Sommerpalast, in den alten Gassen und Wohnhöfen, wo
man die Spuren sieht, die Kaiser und einfache Stadtbewoner hinterlassen
haben. In der Liulichang-Straße, wo Antiquitätengeschäfte
stehen, kann man Jahrhunderte alte Kalligraphien, Bilderrollen
und Gegenstände aus vergangenen Zeiten bestaunen und an
den nächtlichen Garküchen traditionelle Imbisse kosten.
Beijing
diente von 1153 bis 1215 als „Mittlere Hauptstadt“ der Jin-Dynastie.
Der vierte Jin-Kaiser gab 1151 seine „Obere Hauptstadt“ Huining
(heute Acheng in der Provinz Heilongjiang) auf und verlegte
gegen den Widerstand seiner Minister die Hauptstadt nach Yanjing
(ins heutige Beijing). An Beijing schätzte er die zentrale
Lage, von der aus der Süden wie der Norden gut erreichbar waren.
Für den Aufbau der Stadt wurden 1,2 Mio. Menschen eingesetzt,
die Bauarbeiten dauerten zwei Jahre und wurden 1153 beendet.
Die Mittlere Hauptstadt lag im südwestlichen Teil des heutigen
Beijing. Sie war nicht einmal ein Drittel so groß wie
Beijing heute.
In der Jin-Dynastie wurde auch die Lugou-Brücke
gebaut. Der italienische Reisende Marco Polo bezeichnete sie
als „einzigartig auf der Welt“, weshalb sie im Westen besser
unter dem Namen „Marco Polo-Brücke“ bekannt ist. Die Bauarbeiten
an der Brücke wurden 1189 aufgenommen und zwei Jahre später
abgeschlossen. Sie ist 266,5 m lang und 9,3 m breit,
und ihre Geländer sind mit 485 Löwen versehen, die
verschiedene Gestalten haben und sehr lebendig wirken. Die Brücke
war damals der einzige Zugang zur Mittleren Hauptstadt.
Unter
dem Namen „Große Hauptstadt“ diente Beijing von 1272 bis
1368 als Regierungszentrum der Yuan-Dynastie, deren Herrscher
aus dem mongolischen Grasland im Norden stammten. Bei ihrer
Eroberung legten sie die Mittlere Hauptstadt der Jin-Dynastie
in Schutt und Asche. Deswegen, aber auch weil es da an Wasser
mangelte, beschlossen die Herrscher der Yuan-Dynastie, nordöstlich
der Mittleren Hauptstadt eine eigene Hauptstadt, die „Große
Hauptstadt“, zu bauen. In 18 Jahren (1267–1285) entstand eine
Stadtanlage, die doppelt so groß war wie die Mittlere
Hauptstadt. Der Palast bildete eine eigene Stadt in der Stadt
und war Sperrgebiet für das einfache Volk, das zerstreut außerhalb
der Kaiserstadt in einzelnen Wohnhöfen wohnte. Die Verbindungswege
zwischen den Wohnhöfen bildeten die frühesten Gassen. In
ihrer Blütezeit bevölkerten 400 000 bis 500 000 Einwohner
die Große Hauptstadt der Yuan-Dynastie, und der belebte
Handel machte sie zum Zentrum Chinas und zu einer Weltmetropole.
In der Yuan-Dynastie war China das mächtigste
und reichste Reich der Welt. Zu jener Zeit reisten westliche
Gesandte, Kaufleute, Reisende und Missionare in die Große
Hauptstadt. Der bekannteste war der italienische Missionar Marco
Polo (1254–1324). Die Beschreibung der Großen Hauptstadt
in seinem Reisebericht Die Wunder der Welt löste
unter den Europäern große Bewunderung über die chinesische
Zivilisation aus.
Den Namen „Beijing“, die „Nördliche
Hauptstadt“, erhielt die Stadt erst 1421, in der Ming-Dynastie
(1368–1644). Die Ming-Herrscher bauten Beijing auf der Grundlage
der Großen Hauptstadt auf, doch in wesentlich größerem
Umfang. Die Bauarbeiten dauerten 15 Jahre. Der Grundriss der
neuen Stadt entsprach dem chinesischen Schriftzeichen 品, wobei die
wichtigsten Gebäude auf einer 8 km langen Achse standen,
in deren Mitte die Verbotene Stadt lag. Zu beiden Seiten der
Achse waren die Gebäude symmetrisch angeordnet. Damals
hatte die Stadt 20 Stadttore: die Innenstadt neun, die Außenstadt
sieben und die Kaiserstadt vier. Die Tore wurden unterschiedlich
benutzt: Beispielsweise wurde das „Tor des Sieges“ (Deshengmen)
für die zurückkehrende siegreiche Armee geöffnet. In den
Kampf schritten die Truppen durch das „Tor der Friedlichen Normalität“
(Andingmen). Das Beijing der Ming-Zeit legte die Grundlage für
die heutige Stadt und bestimmte ihre Struktur.
China ist ein altes Agrarland, und in alter
Zeit hing eine Ernte völlig von den Naturbedingungen ab.
Damals galt der Himmel als alles beherrschende Gottheit. Um
Frieden und Sicherheit für Land und Volk zu erbitten, ließen
die Herrscher des chinesischen Mittelalters unzählige Tempel
bauen, in denen Himmel und Erde geopfert wurde. Der Himmelstempel
wurde in der Ming-Dynastie nach 14 Jahren Bauzeit im 18. Jahr
der Regierungsdevise Yongle (1420) fertiggestellt. Er besetzt
etwa 273 ha und ist damit mehr als doppelt so groß wie
die Verbotene Stadt. In der Ming- und der Qing-Dynastie wurden
hier jedes Jahr aufwändige Opfer- und Gebetszeremonien
abgehalten.
Ein weiterer Europäer, der neben Marco
Polo die Beziehungen zwischen China und dem Westen prägte,
war Matteo Ricci (1552–1610). Nach der Renaissance, als die
westlichen Gesellschaften in der Entwicklung zum Kapitalismus
begriffen waren, kam eine Reihe von Missionaren mit ihrer Glaubenslehre
und neuer westlicher Technik und Wissenschaft nach China. In
jener Zeit lehnte China den Handel mit dem Ausland ab, nahm
jedoch Jesuiten wie Matteo Ricci auf, der aus Italien stammte
und im 10. Jahr unter der Regierungsdevise Wanli der Ming-Dynastie
(1582) in China ankam. Er überreichte wundersame Geschenke aus
dem Westen, die am chinesischen Hof auf großes Interesse
stießenHoJHHHH. Seine
Ess- und Wohngewohnheiten und seine Umgangsformen wurden allmählich
vollkommen sinisiert. Unter dem Vorwand der Vermittlung wissenschaftlicher
und technischer Kenntnisse betrieb er seine missionarische Tätigkeit
und ließ die christliche Glaubenslehre in der geschlossenen
Gesellschaft der Ming-Dynastie in aller Öffentlichkeit
verbreiten.
Die Herrscher der Qing-Dynastie (1644–1911)
übernahmen nahezu vollkommen die Hauptstadt der Ming-Dynastie
einschließlich der Verbotenen Stadt, ohne große
bauliche Änderungen vorzunehmen. Doch die Qing-Kaiser legten
großen Wert auf den Bau von Residenzen in der Vorstadt
für ihr eigenes Vergnügen und das ihrer Familien. So entstanden
an drei Bergen und fünf Gärten (der Garten der Stille und
des Lichts am Berg der Jadequelle, der Garten der Ruhe und der
Angemessenheit am Duftenden Berg, der Sommerpalast am Berg der
Langlebigkeit, der Garten des Langen Frühlings und der Alte
Sommerpalast).
In der mittleren Periode der Qing-Dynastie
entstand auch die Peking-Oper, die sich noch heute großer
Beliebtheit erfreut. Was die Zuschauer bei der Peking-Oper am
meisten beeindruckt, sind die hohe Stimmlage und die Gesichtsmasken
der Schauspieler. Eine Besonderheit der Peking-Oper ist die
schablonenhafte Darstellung. Die Art und Weise, Gefühle wie
Freude und Zorn auszudrücken, bestimmte Handlungen, wie das
Türöffnen und -schließen, Reiten oder das Sitzen
in der Sänfte, sind schematisch festgelegt. Auch die Gesichtsfarben
haben eine symbolische Bedeutung: Rot steht für Tapferkeit,
Schwarz für gerade Charakterzüge und Weiß für Hinterlistigkeit.
Das Qipao, das chinesische Etuikleid: Dabei
handelt es sich ursprünglich um ein Damenkleid der mandschurischen
Nationalität mit enger Taille, geradem Schnitt, breiten
Ärmeln und bis zum Knöchel reichend. Später
wurde unter dem Einfluss westlicher Frauenkleidung die Länge
bis auf die Knie gekürzt, und durch die enge Taille wurde die
Figur betont. Heute gibt es auch ärmellose Varianten, die
den Charme einer Frau noch deutlicher zum Ausdruck bringen.
Giuseppe Castiglione (1688–1766): Als erster
hat er die Kunst des westlichen Ölgemäldes am Hof
von Kaiser Kangxi eingeführt. Da er sich der Autorität
des chinesischen Kaisers fügte, wurde er zum Hofmaler bestellt.
Seine Gemälde haben wegen der gelungenen Kombination von
gehobener westlicher und traditioneller chinesischer Malkunst
einen hohen künstlerischen Wert.
Die Hauptstadt des Neuen China (1949–heute):
Als es darum ging, einen Ort für die Hauptstadt des Neuen China
zu bestimmen, war Mao Zedong einer Meinung mit Wang Jiaxiang,
der das Amt für Städteverwaltung im Parteibüro für den
Nordosten innehatte. Bei ihrer Auswahl schlossen sie Kaifeng,
Xi’an und Nanjing aus, die anderen historischen Hauptstädte.
Schließlich entschieden sie sich für Beijing als Hauptstadt
des Neuen China.
Edgar
Snow (1905–1972), ein Feldjournalist aus den USA, berichtete
von der Front über den von der KP Chinas geführten revolutionären
Krieg. Mit seinem Buch Red Star over China lieferte er
eine objektive und korrekte Berichterstattung über die KP China.
Nach der Gründung der VR China besuchte er das Land zweimal,
leitete Chinas Einladung an Nixon weiter und leistete einen
wichtigen Beitrag zur chinesisch-amerikanischen Freundschaft.
Eine Metropole der Offenheit:
In Beijing gibt es heute 13 000 Unternehmen mit ausländischem
Kapitalanteil, von den weltweit 500 Top-Unternehmen haben 150
Investitionsprojekte in Beijing lanciert. 35 000 Studenten aus
aller Welt studieren an Beijinger Hochschulen und machen den
Eindruck, als ob ein internationaler Chor hier sänge.