Kleidung
in chinesischem Stil wieder in Mode
Von
Zhang Xueying

Lin Hong, eine Bankangestellte, trägt
nun sehr gern Qipao, eine Art des seitlich geschlitzten Kleides.
Es macht sie charmanter und eleganter. Es ist ein von ihrer
Großmutter hinterlassenes und jahrzehntelang von ihrer
Mutter im Koffer aufbewahrtes Qipao, das von ihr nach der Mode
ein bisschen zugeschnitten wurde. Ihre Kolleginnen und sogar
die Mutter ihres Nachbarn kauften vor kurzem auch Kleider in
chinesischem Stil.
Die Kleidung in chinesischem Stil, auch Tangzhuang
genannt, ist nun wirklich in Mode gekommen. Besonders nachdem
die Staatsmänner im letzten Jahr während der APEC-Konferenz
in Shanghai in der Tangzhuang auftraten, hat sich die Kleidung
in chinesischem Stil nicht nur in den Städten, sondern
auch in den reichen ländlichen Gebieten verbreitet. In
den großen Kaufhäusern sind spezielle Verkaufsstände
für die Tangzhuang eingerichtet worden. In den Privatgeschäften
wollen die Händler mit den neuartigen Tangzhuang Kunden
anziehen. Auf den Großhandel-Bekleidungsmärkten wurden
die Südkorea-Kostüme durch die Tangzhuang in den Hintergrund
gedrängt. Zahlreiche Schneiderateliers spezialisieren sich
nun auf den Zuschnitt der Tangzhuang, während sie alte
Bekleidung in chinesischem Stil zu hohen Preisen ankaufen. Die
Schneider, die bisher nur Kleider in westlichem Stil zuschneiden
können, wollen jetzt auch den Zuschnitt der Tangzhuang
lernen.
Die
Kleidung in chinesischem Stil, die eine Geschichte von über
2000 Jahren hat, galt jedoch am Anfang des letzten Jahrhunderts
nur als eine kulturelle Hinterlassenschaft der Agrargesellschaft.
In den 20er und 30er Jahren nahm sie Elemente der europäischen
Kultur auf. Qipao zum Beispiel betont die Körperform der
Frauen und zeigt gelegentlich durch den seitlichen Schlitz beim
Gehen der Qipao-Tragenden deren schöne Beine. Mit der Modernisierung
der chinesischen Gesellschaft passte die Tangzhuang hinsichtlich
der Machart und Farbe nicht mehr zum sich beschleunigenden Rhythmus
des Lebens.
Gong Li, eine bekannte Schauspielerin, die
sich Mitte der 90er Jahre in der Welt einen Namen gemacht hat,
änderte als erste die Vorstellungen der Chinesen über die
Tangzhuang. Bei der Preisverleihung trat sie immer in der Tangzhuang
auf. Sie trug beispielsweise tief ausgeschnittene oder schulterfreie
Kleider mit Stehkragen, die bei den üblichen, Zurückhaltung
betonenden Kleidern in chinesischem Stil unerhört waren.
Ihre Gestalt fand jedoch im Westen großen Anklang und
sie wurde mehrmals zu den 50 schönsten Frauen der Welt
gewählt. Das führte im Inland zu großen Debatten,
wie man die Schönheit im Osten und im Westen behandeln
sollte, und zwar ob man an der Tradition festhalten oder von
ihr abweichen sollte.
In
den letzten Jahren sind solche Debatten nicht mehr zu hören.
Man findet, dass Schönheit, ob sie nun aus dem Osten oder
dem Westen kommt, akzeptiert werden soll.
Sozialpsychologe Liu Mingyi: „Dieser Vorgang
ist eine der großen sozialen Veränderungen seit der
Einführung der Reform- und Öffnungspolitik. Mitte der 90er
Jahre war China wirtschaftlich noch nicht stark genug. Man fürchtete,
dass die traditionelle chinesische Kultur restlos durch die
westliche ersetzt werden könnte. Mit der schnellen und
stabilen Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und dem zunehmenden
Bedürfnis der Weltwirtschaft an China haben Chinesen Selbstvertrauen
gewonnen. Sie nehmen nun eine objektive und ruhige Haltung gegenüber
dem Austausch und den Konflikten zwischen der chinesischen und
der westlichen Kultur ein.“
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbessert
sich der Lebensstandard der Bevölkerung. Man gibt auch
für die Bekleidung mehr aus. Liu Min, Modeschöpferin beim
Chinesischen Forschungsinstitut für Modedesign: „Jetzt hat man
mehrere Anzüge für verschiedene Gelegenheiten, wobei man auf
eine gute Kombination der Farben, Stoffe und Stile der getragenen
Kleider achtet. Das alles wurde bis 1995 bei den Volksmassen
noch als Luxus betrachtet.“
Viele Leute wollen durch Kleidung ihren Charakter
und ihre Schönheit unterstreichen. Sie bummeln oft durch
Bekleidungsmärkte, bis sie die gewünschte Kleidung finden.
Sonst wartet man lieber.
Kang Wenjun, 39, eröffnete vor vier Jahren
einen Bekleidungsladen. Da er Bekannte in den Bekleidungsfirmen
hat, bietet er in seinem Laden billige und modische Kleidungsstücke
an. „Meine Kunden hoffen, dass sie bei mir Neues finden
können. Wenn sie dreimal bei mir gewesen sind und nichts
Neues gefunden haben, kommen sie lange Zeit nicht mehr zu mir.“
Aus
Erfahrung betrachtet Kang Wenjun die Tangzhuang als eine gute
Chance. Er hat einen Schneider aus Shanghai engagiert, der auf
diese Mode spezialisiert ist, und stellt in seinem Laden fein
genähte Kleider in chinesischem Stil aus. Als Resultate
hat er eine Menge Aufträge bekommen. Aber er weiß
ganz genau, dass diese Welle höchstens zwei bis drei Jahre
dauern wird.
Die Ergebnisse einer Untersuchung, die eine
einflussreiche Zeitung angestellt hatte, zeigten, dass reiche
Leute zwischen 30 und 40, die in ausländischen Firmen arbeiten,
eine Bildung im Ausland erhalten oder im Ausland gearbeitet
haben, die Hauptkunden der Tangzhuang bilden. Diese Bevölkerungsgruppe
arbeitet vorwiegend in den aufstrebenden Branchen IT sowie Finanzwesen
und wird seit zwei Jahren in China als Mittelstand bezeichnet.
Die 33-jährige Wang Xinyi arbeitet als
leitende Managerin in einem ausländischen Unternehmen.
Sie hat fast alles, was sie sich gewünscht hat. Obwohl sie ein
angenehmes Leben führt, sucht sie, von der traditionellen chinesischen
Kultur begeistert, immer wieder eine geistige Zuflucht. Als
sie ein Freizeitkleid aus Seide in chinesischem Stil sah, kaufte
sie es sofort. Sie beschrieb ihre Kaufentscheidung so: „Als
ich dieses handgearbeitete Kleid sah, hatte ich ein Bild vor
mir: In der lockeren Tangzhuang saß ich auf einem großen
Sofa. In einem warmen und geräumigen Zimmer las ich beim
milden Licht einer gelben Lampe. Ohne einen Augenblick zu zögern,
griff ich zu.“
Die Tangzhuang wird vom Design über den Stil
bis zur Handarbeit immer weiter verfeinert. Ein 70-jähriger
Schneidermeister, dessen Vater schon in den 30er Jahren in Beijing
einen guten Ruf hatte, erstaunte sich über die von den jungen
Modeschöpfern entworfenen Kleider in chinesischem Stil
und sagte: „Die jetzige Tangzhuang ist lieber zu genießen
als zu tragen.“
Li Dazhi ist Inhaber von zwei Tangzhuang-Geschäften.
„Ich eröffnete die beiden Läden nur zum Spaß“,
sagte er. Er lehnt den reinen Handelszweck ab und nimmt keinen
Auftrag für solche Tangzhuang an, die seinem Stil nicht entspricht.
Die in seinen Läden angebotenen Kleider
wurden von ihm und seinen Freunden entworfen und angefertigt.
Sie sind gut gebildet, kennen gründlich die traditionelle chinesische
Ästhetik und verstehen es, bei der Nutzung der Vorteile
der altmodischen Kleider moderne Elemente aufzunehmen. Ausländer
finden ihre Kleider chinesisch und Chinesen zwar nicht richtig
chinesisch, aber geschmackvoll.
Die
von ihm entworfenen Kleider sind nicht wie üblich dunkel- sondern
hellfarbig. Er nimmt gern Krepp als Stoff und transparentes
Gewebe als Verzierung. Seine Kleider sind für die Frauen, die
wie Schönheiten aus alten Zeiten Chinas aussehen wollen,
geeignet.
Seine Läden sind typisch für die Kombination
von Tradition und Moderne. In einem Schaufenster seines Ladens
sieht man beispielsweise zwei feine Stücke der Tangzhuang und
zwei große Holzräder aus der alten Zeit Chinas. Im
Laden stehen zwei Schränke aus der Qing-Dynastie, die er
auf einem Antiquitätenmarkt gekauft hat. Davor steht ein
Tisch mit zwei Stühlen, die im Stil der Qing-Zeit sind und nach
dem modernen Geschmack für Bequemlichkeit extra hergestellt
wurden.
Li Dazhi muss eine hohe Miete für seine Läden
zahlen. Da sie aber in der regen Straße liegen, macht
er gute Umsätze und die Sache lohnt sich. Täglich
werden etwa 20 Kleider verkauft. Die Kunden sind meistens Ausländer
oder Chinesen, die oft Kontakt mit Ausländern aufnehmen.
Sein Modedesign ist bei manchen Kunden umstritten. Sie meinen,
dass seine Kleider zu stark verziert sind.
Die Zukunft der Tangzhuang hängt davon
ab, ob sie ihr Image als Festtagskleidung abstreifen kann. Wie
sie populär gemacht wird, also wie sie dem schnellen Rhythmus
des Lebens angepasst wird, und wie sie mit anderen Kleidern
zusammen getragen wird, das sind die Fragen, die entscheiden,
wie lang sie in Mode bleiben wird.