Deutschunterricht im Wandel der Zeiten in China

Von Gao Zhu

Durch wissenschaftliche Forschungen zu den deutsch-chinesischen Beziehungen wissen wir, dass die deutsche Sprache am Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts am „Tung-wen-kuan-College“, also „School of Combined Learning“, in Beijing eingeführt wurde. Gewiss verfügte Deutschland zu dieser Zeit in China über keine Vormachtstellung wie sie beispielsweise Großbritannien innehatte, doch durch die durch Waffengewalt erzwungene Aufnahme der Handelsbeziehungen zwischen China und den von Preußen vertretenen über 20 deutschen mittelgroßen und Kleinstaaten im Jahr 1861 kam die chinesische Regierung zu einer neuen Orientierung bei der Behandlung seiner Beziehungen gegenüber deutschen Staaten, insbesondere zu Preußen. So wurde die deutsche Sprache in China gelegentlich auch als „Buwen“ (preußische Sprache) bezeichnet und gelehrt. Von der Institutionalisierung des Deutschunterrichts in China in dessen Anfangsphase zeugen die Memoiren des ersten Präsidenten des Tung-wen-kuan-Colleges, W. A. P. Martin und eine chinesischsprachige Dokumentensammlung aus der Qing-Dynastie.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war der Deutschunterricht wichtiges Betätigungsfeld der deutschen Kulturarbeit, die auf der offiziellen deutschen Kulturpolitik in China basierte. Der Deutschunterricht wurde an weiterführenden höheren Schulen und Hochschulen, die bei der grundlegenden Erneuerung des traditionellen chinesischen Bildungssystems in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gegründet wurden, eingeführt. Von da an wird der Deutschunterricht bis in die Gegenwart hinein nahezu ohne Unterbrechung in verschiedenen Bildungsanstalten durch- und fortgeführt. Die deutsche Sprache gewann in China an Bedeutung, was sich einmal in verschiedenen chinesischen Schulprogrammen zeigte, in denen der deutschen Sprache als „einer der Hauptfremdsprachen“ hoher Stellenwert beigemessen wurde – zeitweilig wurde die deutsche Sprache als die einzige Fremdsprache für Medizinische Fachschulen in China überhaupt vorgesehen; zum anderen lässt sich das im zunehmenden Einfluss Deutschlands auf die moderne chinesische Geistesgeschichte erkennen. Angeregt durch die chinesische Bildungsreform im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, insbesondere durch die 4. Mai-Bewegung 1919, eine durch progressive chinesische Intellektuelle gestartete neue Kulturbewegung, wurden die wichtigsten Werke deutscher Geistes- und Naturwissenschaften, die von Kants und Hegels Philosophie, über Gauß’ mathematische und Einsteins physische Theorie, und über Clausewitz’ Theorie der Kriegführung bis hin zu zahlreichen Gesetzestexten und rechtswissenschaftlichen Schriften reichen, durch Übersetzung nach China übermittelt. Außerdem wurden auch Klassiker der deutschen Literatur, und nicht zuletzt die bedeutenden marxistischen Werke, ins Chinesische übersetzt. Das aus den gesammelten Unterrichtserfahrungen hervorgegangene umfassende „Deutsch-Chinesische Standard-Handwörterbuch“ aus dem Jahr 1945 repräsentiert das beachtliche Niveau, das beim Lehren und Erlernen der deutschen Sprache in China zu dieser Zeit erreicht wurde.


Nach der Gründung des Neuen China kam der Deutschunterricht zur großen Entfaltung, und zwar in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Bereis am Anfang der 1950er Jahre wurde Deutsch als eigenständiger Studiengang nicht nur an renomierten chinesischen Universitäten gelehrt, sondern auch an verschiedenen Fremdsprachenhochschulen eingeführt. Der Deutschunterricht an Hochschulen wurde systematisch aufgebaut und ein vierjähriges reguläres Studium für das Fach Deutsch etabliert. Das ehemalige chinesische Ministerium für Hochschulbildung verabschiedete 1956 das „Curriculum für modernes Deutsch“, darin wurden der Unterrichtsinhalt und die Anforderungen für ein vierjähriges Deutschstudium detailliert beschrieben. Dadurch wurde die Hochschulbildung im Hauptfach Deutsch, in dem Ende 1956 landesweit 450 Studenten von vier Studienjahrgängen eingeschrieben waren, standardisiert. Angeleitet durch das „Unterrichtsprogramm“ wurden in den darauf folgenden Jahren verschiedene Lehrbücher für verschiedene Studienjahre, zu denen auch das Lehrbuch „Deutschlehrbuch für Wissenschaft und Technik“ gehörte, in China von chinesischen Autoren in Zusammenarbeit mit ausländischen Experten zusammengestellt. Die von Chinesen geschriebenen Handbücher für das Deutschstudium wie die erste umfassende chinesischsprachige „Deyu Yufa“ (Deutsche Grammatik) wurden veröffentlicht. Dies alles stellt Pionierleistungen dar und aufgrund der unternommenen Bemühungen wurde der wachsende Bedarf des Landes an deutschkundigen Fachkräften gedeckt. Auch zu dieser Zeit wurde die Erforschung der deutschen Sprache ansatzweise betrieben. Die Unterrichtsmethode war in dieser Zeit deutlich an die bekannte Lehrmethode der Sowjetunion angelehnt. Im oben genannten „Curriculum für modernes Deutsch“ wurde hervorgehoben: „Aufgrund des Mangels an Unterrichtserfahrungen ist es von umso größerer Bedeutung, die Unterrichtsmethoden der Sowjetunion intensiv zu studieren.“ Es handelte sich in erster Linie um eine tradierte Grammatik-Übersetzungs-Methode, also eine Methode der Vermittlung der Strukturgesetze einer Fremdsprache, so dass der Lernende mit Hilfe von Regeln Sätze in der Fremdsprache bilden konnte. Da die Sprache als „ein Werkzeug des Kampfes und der Entwicklung der Gesellschaft“ definiert wurde, konnte sich der Unterrichtsinhalt der zeitbedingten Ideologisierung im Sinne der politischen Erziehung nicht entziehen, die schließlich in der „Kulturrevolution“ ihren Höhepunkt und ihren Endpunkt erreichte.

Das Jahr 1977 veränderte das Schicksal vieler junger Menschen in China. Ein Jahr nach dem Ende der „Kulturrevolution“ (1966–1976) wurde die Aufnahmeprüfung für das Hochschulstudium wieder landesweit durchgeführt. 5,7 Mio. Prüflinge aus den Reihen von Schulabgängern aus elf Abschlussjahrgängen nahmen daran teil. Bei der Aufnahme wurden die damals noch geltenden politischen Einschränkungen durch die Familienherkunft, die Empfehlung durch die Werktätigen sowie die Genehmigung durch die Leitung der Arbeitseinheit aufgehoben, entscheidend waren die Gesamtnoten der Prüfungen. 270 000 Jugendliche und Erwachsene wurden aufgenommen und nahmen im März 1978 ihr Hochschulstudium auf. In diesem Jahr wurde auch die Politik der Reform und Öffnung von der chinesischen Führung beschlossen und eingeführt. In China begann eine neue Epoche.

Durch die Befreiung von Gedanken und durch die Öffnung nach außen wurden nach kurzer Übergangszeit den wissensdurstigen neuen Deutschstudenten neue Lehrbücher zur Verfügung gestellt, die neue Wege für den Deutschunterricht in China weisen. Der Deutschunterricht nahm damit eine neue Form an und bekam neue Inhalte. Als Beispiel sei „Wir sprechen Deutsch“, ein Lehrwerk für die Grundstufe mit Lehrerhandbüchern, das von chinesischen Hochschullehrern unter der Mitwirkung von DAAD-Lektoren Anfang 1980 veröffentlicht und anschließend angewendet wurde, genannt. Bereits zu Beginn wurde vorgeschlagen, dass die gewohnte frontale Sitzordnung einer Sitzordnung der U-Form Platz machen sollte: Eine kleine Änderung von großer Bedeutung. Denn mit der neuen Sitzordnung, die den Studenten zuvor nirgends begegnet war, wurden neue didaktische Konzepte eingeführt, nämlich die der gesprochenen Sprache. Im Unterricht wurde Gesprächen zwischen Studenten ein höherer Stellenwert zugesprochen und im Lehrbuch wurde auch die Rolle des Lehrers neu definiert: „Diese Sitzordnung zeigt, dass er (der Lehrer) sich als Gesprächspartner und Zuhörer in der Gruppe der Studenten versteht.“ Deutsche landeskundliche Kenntnisse - auch über die DDR – wurden in größerem Umfang vermittelt. Das Lehrwerk enthielt eine Reihe von weiteren neuen didaktischen und methodischen Ansätzen wie die Lernstrategie „das Lernen lernen“, Sprechakte vollziehende „Redeintentionen“, Kommunikationssituationen kennzeichnende „Szenen“ sowie die „Dependenzgrammatik“, damit die Studenten ihre kommunikative Kompetenz durch Lernen und Erwerb besser entwickeln können. Solche neuen Konzepte wurden auch in späteren anderen Lehrwerken unter verschiedenen Aspekten verwendet und weiterentwickelt.

In den 80er Jahren nahm die Zahl der Deutschstudenten ständig zu, bis Anfang 1990 gab es landesweit etwa 1100 Studenten, die im Hauptfach Deutsch an 19 Hochschulen und Universitäten eingeschrieben waren. Als Folge der Reform und Öffnung Chinas wurde der akademische Austausch mit deutschsprachigen Ländern in Form von Auslandsstudium, Studienreisen und Forschungsaufenthalten sowie Gastprofessoren deutscher Wissenschaftler in China intensiviert. Dadurch wurden neue Ideen, neues Wissen und neue Materialien für den Deutschunterricht nach China gebracht. Im Jahr 1985 initiierte die I. Hauptabteilung für das Hochschulwesen bei der Staatlichen Erziehungskommission einen „Rahmenplan für das Grundstudium im Fach Deutsch an Hochschulen und Universitäten in China“, der zwei Jahre später von chinesischen Hochschullehrern zusammengestellt und zur Durchsetzung verschiedenen chinesischen Hochschulen und Universitäten zugeleitet wurde. Darin wurde die „Zielsetzung“ des Deutschunterrichts im Grundstudium auf wissenschaftlicher Basis definiert: Bei der Vermittlung sprachlicher und landeskundlicher Grundkenntnisse und der Fertigkeiten Sprechen, Lesen, Hörverständnis und Schreiben wird der Student „zu sprachlicher und soziokulturell angemessener Handlungsfähigkeit in der deutschen Sprache (kommunikatives Können) und zu selbständigem Arbeiten (Studierfähigkeit) geführt, so dass eine solide Grundlage für die weitere Ausbildung im Hauptstudium geschaffen wird.“ Dieser Rahmenplan enthält noch sieben Kataloge über Phonetik und Rechtsschreibung, Grammatik, Fertigkeiten, Kommunikationsabsichten, Themen, Textsorten und Wortlisten. 1989 wurde unter der Leitung der Staatlichen Erziehungskommission der „Rahmenplan für das Hauptstudium im Fach Deutsch an Hochschulen und Universitäten in China“ erstellt. Die beiden umfassenden Dokumente stellten die Richtlinien für das Deutschstudium dar und enthalten Lernziele, Lerninhalte, Anforderungen, didaktische und methodische Prinzipien und liegen dem Deutschunterricht in China zugrunde. Was das Grundstudium betrifft, so wurden den Studenten in den ersten zwei Studienjahren, neben den Kursen der intensiven Behandlung des Lehrbuches, noch Kurse u. a. in Konversation, Hörübungen, audiovisuellen Übungen, Schreibübungen, in Leseverständnis, deutscher Geschichte, Landeskunde der deutschsprachigen Länder angeboten, was eine große Bereicherung des bisherigen Unterrichtsplans darstellte und zur Durchsetzung des Konzeptes der „Schlüsselqualifikationsbildung“ beiträgt. Für die neu eingeführten Lehrveranstaltungen wurden zahlreiche spezielle Lehrbücher zusammengestellt. Und in den 80er Jahren wurde der Promotionsstudiengang Germanistik an zwei renommierten chinesischen Universitäten eingerichtet. Damit entwickelte sich das Fach Deutsch zu Germanistik/Deutsch. Das Angebot von Lehrveranstaltungen in höheren Studiengängen wies eine weitgefächerte Bandbreite auf. Die chinesischen Germanisten veranstalteten Fachsymposien und veröffentlichten sprach- und literaturwissenschaftliche sowie übersetzungswissenschaftliche Abhandlungen. Was die grammatischen Handbücher betrifft, so haben die chinesischen Wissenschaftler in den 80er und 90er Jahren mehr als zwölf grammatische Handbücher für Deutschlernende im Chinesischen unter unterschiedlichen Aspekten verfasst, die sich von „Praktischer Grammatik der modernen deutschen Sprache“, über „Modernes Lehr- und Übungsbuch der deutschen Gegenwartsgrammatik“ bis zu „Schwerpunkte der deutschen Grammatik“ erstrecken. Neben den Fachbüchern wurden noch zahlreiche Sachbücher für den Deutschunterricht veröffentlicht.

Der Deutschunterricht wird bereichert durch die Öffnung nach außen. Im Zuge der Erweiterung des Kulturaustausches mit Deutschland wurde 1988 das Goethe-Institut Peking als erstes westliches Kulturinstitut in China gegründet. Zur Förderung der Kenntnisse der deutschen Sprache betrachtet es seit seiner Gründung die Fortbildung von Deutschlehrern in China als eine seiner Aufgaben. Seit den 1990er Jahren werden Ausbildungs- und Fortbildungsseminare vom Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit seinen chinesischen Partnern kontinuierlich veranstaltet. Die Seminare sind von unterschiedlicher Dauer – von einem Tag bis zu mehreren Monaten. Die Teilnehmer sind jüngere chinesische Lehrer für Deutsch als Hauptfach, Nebenfach oder Intensivkurs an verschiedenen chinesischen Hochschulen. Das Ziel ist es, chinesische Lehrer bei der Durchführung des Deutschunterrichts zu unterstützen, indem ihnen neue DaF-Konzepte und -Methoden in Theorie und Praxis durch partnerschaftliche Zusammenarbeit im Seminar vermittelt werden. In solchen Veranstaltungen werden die deutsche Forschung und Lehre im DaF systematisch vorgestellt und eine neue Didaktik und Methodik in China eingeführt. Als Beispiel sei hier das 3. Ausbildungsseminar vom August 1997 bis Januar 1998, an dem etwa 15 chinesische Deutschlehrer teilnahmen, genannt. In diesem Seminar wurden im Lauf der Veranstaltung unterschiedliche thematische Schwerpunkte gesetzt. Theorien über „Deutsch lehren“ wurden unter Betonung des Praxisbezugs vorgestellt, ein Methodenvergleich vorgenommen, die Unterrichtssequenzen durch Teamarbeit bis ins kleinste Detail analysiert und Strategien zur Entwicklung der grundlegenden Fertigkeiten vom Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben eingehend erörtert. Beispielsweise wurden bei Lesestrategien die Funktionen der Textkonnektoren unter dem Aspekt der Sprachwissenschaft und Wahrnehmungspsychologie erläutert und diese Lesestrategie – wie man unbekannte fremdsprachliche Texte schneller verstehen kann – auf die Verwendung im Unterricht hin überprüft. Als besonders hilfreich empfanden die Teilnehmer den Wechsel zwischen den beiden Perspektiven – der des Lernenden und der des Lehrenden. Das Seminar schloss Hospitation und Praktikum ein, welches protokolliert wurde. Die Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis wurden ausgewertet und ergänzt und die Teilnehmer schrieben eine Abschlussarbeit. Solche Fortbildungsveranstaltungen leisten einen großen Beitrag zur Erhöhung der Qualifikation der Deutschlehrer, zur Verbreitung einer die kommunikative und interkulturelle Kompetenz fördernden Didaktik, die im Grunde mit dem chinesischen Bildungskonzept von der „Schlüsselqualifikationsbildung“ im Einklang steht. Sie werden in der Gegenwart fortgesetzt. Zur Zeit veranstaltet das Goethe-Institut Peking jährlich mehrere Fortbildungsseminare für chinesische Deutschlehrer, um die Verbreitung der deutschen Sprache in China zu fördern. Darüber hinaus wird Unterstützung im Rahmen von Stipendien für Deutschlehrer und bei Kultur- und Lehrveranstaltungen zur Werbung für Deutsch als Fremdsprache angeboten. Dies erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den chinesischen Partnern des Goethe-Institus, zu denen Bildungseinrichtungen und Verlage gehören und deren Zahl in ganz China weiter wächst.

Das 21. Jahrhundert steht im Zeichen der Globalisierung. Nach seinem WTO-Beitritt zeichnete sich in China eine allseitige Öffnung ab. Die Zahl der Hauptfachstudenten von Deutsch/Germanistik steigt rapide an. Im Jahr 2006 waren über 5000 chinesische Studierende im Hauptfach Germanistik/Deutsch an etwa 60 Hochschulen und Universitäten eingeschrieben – mehr als das Zehnfache im Vergleich zu den 50er Jahren. Dem neuen Bedarf an einer Ausbildung von Fachkräften im Sinne vom „Qualifikationskomplex“ entsprechend wurde der „Rahmenplan“ aus dem Ende der 80er Jahre 2006 revidiert und an die neue Zeit angepasst. Die Internet-Ära prägt auch den Deutschunterricht und eröffnet den Studenten viele neue Möglichkeiten zum Lernen. Es gehört bereits zum Unterrichtsalltag der Studienanfänger, Verben so zu üben: „Ich surfe, du chattest, er/sie/es simst.“

 
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