Beijing 2006: Shopping als Leistungssport
Von Miriam Finke
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Schon heute haben sich Wettbewerberinnen und Wettbewerber aus allen Teilen der Erde in Beijing getroffen, um einem bedeutenden Leistungssport zu frönen: Dem Shopping. Anders als ein Werbespruch an der Dongzhimen-Station der Beijinger U-Bahn behauptet, ist Shopping keine Kunst, sondern Sport, also vor allem anstrengend. Aber der Reiz jeden Leistungssports besteht ja nun einmal darin, alles aus sich herauszuholen und im Wettbewerb mit anderen zu bestehen, wobei die chinesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonders gut aufgestellt sind. Speziell von der Regierung im Jahre 1999 eingeführt, gelten die „Goldenen Wochen“ (Urlaubswochen an den drei bedeutendsten Feiertagen) als beste Gelegenheit, um seine Fähigkeiten in dieser Disziplin zu trainieren. Und es funktionierte: Zum Nationalfeiertag am 1. Oktober 2006 konnte ein neuer Rekord aufgestellt werden: 16 Milliarden Yuan (etwa 1,6 Milliarden Euro) wurden laut china.org.cn in der Ferienwoche allein in Beijing umgesetzt. Doch die ausländischen China-Touristen müssen sich davor nicht verstecken, auch sie haben in den letzten Jahren mehr und mehr zu den hiesigen Umsatzsteigerungen beigetragen.
Sight-Seeing oder Shopping-Tour?
Egal ob Kaufsüchtiger oder Shoppingmuffel: Zumindest am Einkauf von Postkarten und Souvenirs kommt kein Tourist vorbei, wenn er sich auf Reisen in das Reich der Mitte begibt. Freunde, Bekannte und vor allem Verwandte erwarten ein Mitbringsel – meint man zumindest. Aber die meisten wollen sowieso mehr: Kleidung, Schmuck, DVDs und CDs, Notebooks, Kameras, Bücher, Bilder oder sogar Golfausrüstungen; es gibt nichts, was zumindest in den meistbesuchten Metropolen des chinesischen Festlandes, Beijing und Shanghai, nicht feilgeboten und dann vor allem von willfährigen Ausländern auch gekauft wird. Es gibt keinen touristisch erschlossenen Ort (wirklich keinen), an dem nicht eine Kleinigkeit für Familie, Freunde oder Feinde erstanden werden könnte. Ob auf der Großen Mauer oder in der Verbotenen Stadt, am Yu-Garten oder direkt nach dem Ausstieg aus einem Reisebus an einem beliebigen Ort: Kaufen und Verkaufen gehört zum lebendigen Alltag chinesischer Großstädte. Gerade als Tourist sollte man diesen omnipräsenten Verkäufern nicht genervt begegnen, denn sie haben erst im Umgang mit ausländischen Touristen gelernt, dass es sich lohnt, den Kunden immer und überall mit DVDs, Taschenuhren und allem, was auch nur im entferntesten als Souvenir dienen kann, auf die Pelle zu rücken.
Beispiel 1: „Fake Market“
Ein Sammelpunkt ausländischer Touristen sind Kleidermärkte wie der „Silk Market“ in Beijing oder der so genannte „Fake Market“ in Shanghai, der dieses Jahr zum Bedauern der Shanghaier Ausländergemeinde geschlossen wurde, und nun an einem anderen Ort der Stadt einen würdigen Nachfolger finden wird. Hier finden sich neben Uhren, Taschen, Koffern, Golfausrüstungen usw., die mit dem Logo der ein oder anderern bekannten westlichen Marke versehen sind, an unzähligen kleinen Verkaufsständen auch geschulte Englisch sprechende Verkäuferinnen und Verkäufer, die sich der besonderen Bedürfnisse der fremden Touristen bewusst sind und einem deshalb unaufhörlich ins Ohr brüllen, wie billig ihre Waren sind. Das ist nicht schön, aber es funktioniert. Wenn man sich nach ungefähr zehn Minuten an den Geräuschpegel dieser Märkte gewöhnt hat, dann kann mehr oder weniger ruhig geschlendert und geschaut werden, ohne dass ein Gefühl des „gehetzt-seins“ weiter um sich greift. Wer keinen Spaß am Feilschen hat, der sollte diesen Märkten definitiv fern bleiben. Wohlfeilere Kleidung und andere Waren finden sich in den einschlägigen Shoppingcentern und in kleinen Läden, wie sie z. B. in der nördlichen Verlängerung der Xidan zu finden sind.
Wer aber gerne von seiner armen und kranken Mutter erzählt und mit Vorliebe die Schutzheiligen des Konsumrausches beschwört, nur um den Preis um ein paar Yuan zu drücken, der hat hier Spaß und kann auf so einem Markt den ganzen Tag verbringen. Tatsache ist, dass zur Zeit ein Yuan etwa 10 Euro-Cent entspricht, die reale Kaufkraft dieser Währung aber höher liegt. Als Faustregel gilt auch in diesem Land: Ein guter Preis ist das, was man als fairen Preis empfindet, d. h. auf Deutsch: Als Ausländerin oder Ausländer zahlt man auf solchen Märkten sowieso immer mehr als Einheimische und dieses Schicksal sollte ohne Murren akzeptiert werden.
Beispiel 2: Das Computer-Supercenter
Stellvertretend für Elektronikwaren soll hier auch ein immer beliebter werdender „Souvenir“-Bereich Erwähnung finden: der Computermarkt. In Shanghai über die Stadt verteilt, in Beijing auf das „Silicon-Valley“ Zhongguancun zentriert, finden sich die Computerkaufhäuser, die interessanterweise genauso aufgebaut sind wie ein Kleidermarkt. Dutzende von kleinen Geschäften internationaler und lokaler Marken sind zusammengefasst in einem Gebäude, welches dem berühmt-berüchtigten Chaos-Computerclub helle Freude bereiten würde. Auch hier wird man überaus freundlich und lautstark begrüßt, auch hier ist ruhiges Umschauen unmöglich. Wichtig ist, dass Fachkenntnisse mitgebracht werden, denn wenn man sich nicht darüber im Klaren ist, was man eigentlich erwerben möchte, wird entweder das Falsche oder Überteuerte oder im besten Falle nichts gekauft und die strapazierten Nerven brauchen einige Stunden Erholung bei Massage und/oder gutem Essen. Die Chance, sich durch Beratung oder einfaches Schnuppern ein Bild von den angebotenen Waren zu verschaffen ist hier ein Ding der Unmöglichkeit. Konkrete Vorstellungen bis in das kleinste Detail sind gefragt, wenn am Ende der obersten Kategorie aller möglichen Shoppingtouren (Notebooks, MP3-Player usw.) überhaupt etwas herauskommen soll. Die Angebote in Beijing oder Shanghai sind günstiger als in Deutschland, wenn man sich beispielsweise ein Notebook zusammenstellen lässt, von dem die Komponenten bekannt und erprobt sind. Die Verkäuferinnen und Verkäufer sind für Fachfragen größtenteils nicht zuständig, sie könnten auch Gemüse oder Kleidung verkaufen, sind aber dann aufgrund mangelnder Kenntnisse ins Elektrowarengeschäft eingestiegen.
Beispiel 3: Der Trödel- oder Antiquitätenmarkt
Berühmtester Vertreter und in allen Reiseführern erwähnt: Der „Panjiayuan“. Hilary Clinton soll hier auch schon geshoppt haben, aber viel informativer ist der Umstand, dass am Wochenende 3000 Stände auf 4,85 Hektar Fläche anzuschauen sind. Das Angebot umfasst Bilder, Poster, Bücher, Antiquitäten aller Art, Münzen, Statuen, Handgemachtes und alle erdenklichen Dinge, welche sich als kleines „typisch“-chinesisches Mitbringsel eignen. Hier gibt es auch für selbsternannte Kunstbanausen einiges zu sehen bzw. zu bestaunen, denn Bilder aus der Kulturrevolution sind beispielsweise nicht nur einfach zugänglich, sondern aus der Gegenwart heraus und mit westlichen Augen betrachtet etwas bizarr.
Seit 1995 befindet sich dieser Markt westlich der Panjiayuan-Brücke, nachdem er 15 Jahre zuvor als Flohmarkt begann, sein Geschäft aufzunehmen. Inzwischen versuchen Händler aus 24 chinesischen Provinzen, ihre Waren, deren Gebrauchswert nicht immer sofort einleuchtet, an den Mann zu bringen. Unter den Verkäuferinnen und Verkäufern finden sich allerdings kaum oder keine Marktschreier, so dass der Panjiayuan zu den entspanntesten Bummelmeilen Beijings gehört. Ein Blickfang sind auf jeden Fall die großen Steinstatuen im westlichen Teil des Marktes – eine sinnvolle Alternative zum bekannten Gartenzwerg. Eine zwei Meter hohe Statue von Mao macht sich prima im eigenen Vorgarten und würde in Deutschland sicherlich einiges an Aufsehen erregen. Die Frage, ob ein solcher Gegenstand echt ist oder eine Imitation, spielt da eher eine untergeordnete Rolle.
Shopping gehört nicht zwingend zu einem China-Urlaub, ist aber für viele Touristen inzwischen fester Bestandteil ihrer Zeitplanung. Zuviel Zeit sollte aber auf diesen Programmpunkt nicht verwendet werden, sonst kann dies zur Beeinträchtigung der eigentlichen Reiseabsicht führen. Generell ist es sinnvoll, ein paar Brocken Chinesisch mit auf die Einkaufstour zu nehmen. Dies ist zwar nicht notwendig – gerade im Fall der englischsprachigen Abteilungen des Einkaufsparadieses China –, denn Preise werden bei Interesse einfach in einen Taschenrechner getippt, aber ein gekonntes „bu yao“ („will/möchte/brauche ich nicht“) oder „kankan“ („ich schau mich nur um“) und selbst aufdringliche Geschäftstüchtige lassen in absehbarer Zeit von einem ab. Aber Schweigen ist auch eine Antwort...
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