Die Freizeitgestaltung der bäuerlichen Wanderarbeiter

Von Luo Yuanjun

Um 7 Uhr abends hat man auf einer Baustelle am südwestlichen Teil der vierten Ringstraße der Stadt Beijing Feierabend. Hier arbeiten bäuerliche Wanderarbeiter aus verschiedenen Landesteilen Chinas. Nach Feierabend verlassen sie lautstark die Baustelle. Zwar haben sie sich tagsüber abgerackert, aber sie fühlen sich jetzt erleichtert und plaudern gut gelaunt miteinander.

An der Spitze der Menschenmenge gehen Yan Chenghai und sein Landsmann aus der Provinz Hebei, Hu Bing. Gestern spielten sie nach Feierabend über drei Stunden ununterbrochen Billard. Yan Chenghai verlor jedes Spiel und blamierte sich, so meint er selbst. Nach der vorher getroffenen Vereinbarung zahlte er 10 Yuan für den Imbiss, den er und Hu Bing nach dem Spiel gegessen haben.

Hu Bing ist 25 Jahre alt. Er sorgt immer für Yan Chenghai, der drei Jahre jünger ist als er. Zwar zahlte Yan Chenghai gestern abend für den Imbiss, aber er kaufte das Bier dazu. So gaben die beiden fast die gleiche Summe aus. Als er sah, dass Yan Chenghai seine Unterlegenheit beim Billardspiel nicht anerkennen möchte, konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. Er hatte versprochen, Yan Chenghai in ein Restaurant einzuladen, wenn er auch nur ein einziges Spiel verliert; ganz gleich, wie lange sie Billard spielen. Mit Rücksicht auf ihre finanzielle Lage haben sie den Termin des Restaurantbesuchs auf das Monatsende gelegt, also nachdem sie die Löhne ausgezahlt bekommen haben.

Was machen Wanderarbeiter in ihrer Freizeit? Fernsehen, schlafen, plaudern

Hu Bing und Yan Chenghai sind beide ledig und haben bisher keine Freundin. Hu Bing sagt, dass es unter den Wanderarbeitern, die er kennt, wenige gibt, die ihren Partner einfach zufällig kennen lernen. Die meisten Wanderarbeiter verdienen zuerst in der Stadt Geld und stellen dann in ihren Heimatorten eine Ehevermittlerin an. Wenn die beiden Vermittelten sich dann verlieben, schließen sie später eine Ehe.

Die verheirateten Wanderarbeiter wiederum leben normalerweise nicht mit ihren Frauen zusammen. Auch wenn ihre Frauen in derselben Stadt arbeiten, wohnen sie selten zusammen. „Die Miete ist zu hoch“, sagt Hu Bing, „ein Wanderarbeiter verdient monatlich ca. 1000 Yuan. Nach Abzug der Miete von 400 bis 500 Yuan für ein Zimmer würde nicht viel übrig bleiben.“

Hu Bing und Yan Chenghai wohnen in einer provisorischen Baubaracke, die vom Bauunternehmen, in dem sie arbeiten, errichtet wurde. In einem 14 qm großen Raum sind sechs Etagenbetten für zwölf Personen untergebracht. Dadurch sparen sie die Miete. In ihrer Freizeit spielen die Wanderarbeiter Karten, trinken Alkohol und verbringen damit eine sehr muntere Zeit, was das Heimweh in gewissem Grade lindert.

In ihrer zeitlich begrenzten Freizeit haben junge Wanderarbeiter eine wichtige Sache zu tun, nämlich die Aufnahme sozialer Kontakte. In China lautet ein Sprichwort: „Man ist zu Hause auf seine Eltern und außerhalb des Zuhauses auf Freunde angewiesen.“ Hu Bing und Yan Chenghai gehen häufig zu anderen Baustellen, um ihre Landsleute zu besuchen. Bei der Zusammenkunft trinken sie zusammen Alkohol, plaudern und tauschen Informationen über Beschäftigungsmöglichkeiten, bei denen relativ gut verdient werden kann, und Nachrichten über die Heimat, die man durch verschiedene Kanäle erfahren hat, aus. Wenn einer von ihnen Schwierigkeiten hat, suchen alle gemeinsam Mittel und Wege, um das Problem zu lösen.

Die Liebe ist auch ein wichtiges Thema. In Houjiezhen der Stadt Dongguan, Provinz Guangdong, gibt es einen relativ großen Kulturplatz, auf dem abends oft ein Ball veranstaltet wird. Nach Feierabend ziehen sich junge Wanderarbeiter saubere Kleider an und gehen zum Kulturplatz. Sie imitieren – etwas ungeschickt – die Tanzbewegung der anderen und hoffen, dass sie hier ihre Liebe finden können. Als Yan Chenghai, der in Beijing arbeitet, durch seine Landsleute vom Kulturplatz in Dongguan hörte, beneidete er sie darum.

Die Ergebnisse einer Untersuchung zeigen, dass Wanderarbeiter in ihrer Freizeit vor allem fernsehen, schlafen und plaudern, weil man sich dabei gut ausruhen kann. 24% der Befragten sehen fern, 19,2% schlafen und 16,8% plaudern. Der Prozentsatz für Schachspielen, Lesen von Büchern (Radiohören), Surfen im Internet und Sport, was allgemein für sinnvoller gehalten wird, liegt nur bei jeweils 8,8, 8,8, 0,8 bzw. 0,8 Prozent.

Im März 2006 führte das bei der Akademie der Sozialwissenschaften der Provinz Hebei angesiedelte Forschungsinstitut für gesellschaftliche Entwicklung eine Untersuchung über die Freizeitgestaltung der Wanderarbeiter in Shijiazhuang, der Provinzhauptstadt, durch. Sie ergab, dass die Freizeit der meisten Wanderarbeiter eintönig gestaltet ist und Wanderarbeiter selten an einer organisierten Kulturveranstaltung teilnehmen. Vor allem aus finanziellen und zeitlichen Gründen können sich die Wanderarbeiter an Kulturveranstaltungen nicht beteiligen, obwohl sie dazu Lust haben. Die Wanderarbeiter hoffen, dass die Regierung und die Gesellschaft sich um ihre Freizeitgestaltung kümmern.

Wanderarbeiter bedenken vor allem die Ausgaben für Freizeitgestaltung

Eine Untersuchung ergibt, dass die größte Schwierigkeit für die Freizeitgestaltung der Wanderarbeiter mit Geld zu tun hat. In der Tat geben die Wanderarbeiter ganz wenig für ihre Freizeitgestaltung aus. 54% der Befragten geben monatlich weniger als 50 Yuan aus, 4% der Befragten nur 50 bis 100 Yuan und 28% der Befragten gar nichts. Wie viele andere Wanderarbeiter gehen Hu Bing und Yan Chenghai oft Billard spielen. Das ist eine der Lieblingsvergnügungen der Wanderarbeiter. Zwar ist diese Vergnügungseinrichtung sehr bescheiden, aber die Wanderarbeiter nehmen sich das nicht zu Herzen, weil ein Spiel nur ein Yuan kostet. Sie sind sehr froh darüber, dass sie Billard spielen können.

Für die Wanderarbeiter, die immer sehr sparsam sind, wäre es besser, gar nichts für die Freizeitgestaltung ausgeben zu müssen. Hu Bing sagt: „Ich kenne einige ältere Landsleute, die jeden Pfennig, den sie verdient haben, in die Heimat überweisen wollen. Nach Feierabend bummeln sie zu zweit oder zu dritt in der Nähe der Baubaracken, in denen sie wohnen, herum, sehen zusammen fern oder spielen Karten, wofür man kein Geld auszugeben braucht.“

In diesem Jahr wurden die Eintrittsgebühren eines Teils der Parks der Stadt Beijing abgeschafft, was eine gute Nachricht für Wanderarbeiter ist. Yan Chenghai sagt: „Ich besuche einen Park nicht deshalb, weil ich dort die Bäume und Gewässer sehen möchte. Das wissen wir nicht zu schätzen. Ich besuche Parks hauptsächlich deshalb gern, weil ich mir von klein auf gerne Operngesang anhöre. In den Parks lassen sich häufig einige Rentner finden, die eine Oper singen. Meiner Meinung nach singen sie nicht im geringsten schlechter als die Sängerinnen und Sänger im Fernsehen.“

In den belebten Vierteln der Stadt machen die Wanderarbeiter kaum einen Bummel. An den ersten Tagen, nachdem Yan Chenghai in die Stadt gekommen ist, führte Hu Bing ihn zu den belebten Vierteln Beijings, darunter die Fußgängerzone Wangfujing, die belebteste Geschäftsstraße der Stadt. Zwar war Yan Chenghai sehr neugierig darauf, was er vorher nie gesehen hatte, aber vor den hohen Preisen scheute er, der nur geringe Einkünfte hatte, zurück. Gegenüber den elegant gekleideten Leuten fühlte er sich klein. Damals sagte er, dass er Wangfujing noch einmal natürlich und ungezwungen besuchen werde, wenn er reich geworden ist.

Für junge Wanderarbeiter ist es eine moderne Freizeitgestaltung, im Internet zu surfen. Aber sie wollen nicht lange Zeit dabei bleiben. Normalerweise benutzen mehrere Wanderarbeiter gemeinsam einen Computer. Im Internet spüren sie den Puls der Zeit, womit sie sich vor den anderen Wanderarbeitern interessant machen können. Yan Chenghai sagt: „Im Internet suche ich gerne interessante Nachrichten, um den anderen beim Mittagessen davon zu erzählen. Damit sehen sie mich auf einmal mit ganz anderen Augen.“

Es gibt auch Wanderarbeiter, die Geld zusammenlegen, um einen gebrauchten Fernseher zu kaufen. Ansonsten hat man nicht so viel Freiheit, denn wenn man in einem kleinen Laden oder in einem kleinen Restaurant fernsieht, kann man die Frequenzkanäle nicht willkürlich wechseln. Manchmal möchten sich die Wanderarbeiter einen Fernsehfilm sehr gern ansehen, aber die anderen sind damit wohl nicht einverstanden. So bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich vergebens aufzuregen. Zum Glück sind Fernseher zur Zeit allgemein billig zu haben. Für ca. 100 Yuan kann man schon einen gebrauchten Fernseher kaufen. Außerdem sind die gebrauchten DVD-Player bei jungen Wanderarbeitern sehr beliebt. Denn sie können sich damit die Filme, für die überall Reklame gemacht wird, anschauen oder Popmusik hören.

In der näheren Umgebung der Baubaracke, in der Hu Bing wohnt, gibt es ein Wohnviertel mit einem öffentlichen Turnplatz, der mit verschiedenen Trainingsgeräten eingerichtet ist. Zwar kann man diese kostenlos benutzen, aber Hu Bing hat dazu keine Lust. „Auf der Baustelle verausgaben wir uns völlig. Wer hat denn nach dieser Arbeit noch körperliche Kraft aufzubrauchen?“ Er meint, dass die Städter etwas Sport treiben sollten, weil sie normalerweise ihre Köpfe gebrauchen und wenige von ihnen körperliche Arbeit leisten. Aber es sei für Wanderarbeiter nicht mehr notwendig, sich zu stählen.

Die Wanderarbeiter können das sportliche Treiben der städtischen Bewohner verstehen. Anders verhält es sich mit ihrer Meinung zu jungen Städtern, die ihre Zeit in Bars vertrödeln. Hu Bing sagt: „Ich kann auf keinen Fall verstehen, warum eine Flasche Bier in einer Bar Dutzende Yuan kostet. Normalerweise kauft man sie für zwei Yuan. Warum wollen die Städter Alkohol in Bars trinken? Sollten sie im Ernst nicht rechnen können?“

Die Wanderarbeiter können jedenfalls sehr gut rechnen. Nach der Auszahlung der Löhne teilen Hu Bing und Yan Chenghai ihre Löhne – einem vorher festgelegten Budget gemäß – in verschiedene Teile; für die Überweisung an die Familienangehörigen in der Heimat, für die Bezahlung von Schulden und für ihren eigenen „luxuriösen“ Konsum. Danach werden sie zusammen einen Straßenbummel machen, um Bedarfsgegenstände des Alltagslebens und gelegentlich auch Kleidung zu kaufen. Hu Bing sagt: „Am Tag, an dem die Löhne ausgezahlt werden, sind wir immer am glücklichsten.“

Unternehmen und Lokalregierungen treffen Maßnahmen, um die Freizeit der Wanderarbeiter zu bereichern

Die Regierung der Stadt Changzhou, Provinz Jiangsu, hat vor, 500 bis 600 „Abendschulen für neue Stadtbewohner“ zu gründen, um den 800 000 Wanderarbeitern die Gelegenheit zu bieten, in ihrer Freizeit gebührenfrei ausgebildet zu werden. Gleichzeitig werden verschiedene Kurse abgehalten und Wettbewerbe für Schach- und Kartenspiele sowie im Karaoke-Singen organisiert. Darüber hinaus werden Fernseh- und VCD-Filme gezeigt.

Die Beijing Construction Engineering Group beschäftigt zahlreiche Wanderarbeiter. Jährlich arbeiten ca. 80 000 Wanderarbeiter auf 200 großen und kleinen Baustellen der Stadt Beijing. Um ihre Lernbedürfnisse zu befriedigen und ihre Freizeit zu bereichern, haben dieses Unternehmen und die Bibliothek der Hauptstadt gemeinsam eine besondere Kultureinrichtung gegründet. Sie ist die erste Bibliothek Beijings, die speziell für die Wanderarbeiter errichtet wurde. Diese kleine Bibliothek hat einen offiziellen Namen: „Filiale der Bibliothek der Hauptstadt in der Beijing Construction Engineering Group“. Auf einer Fläche von nur einigen Dutzend Quadratmetern, die der Fläche eines Lesesaals einer Schule entspricht, werden Bücher in einer reichen Auswahl angeboten. Die angebotenen Kategorien umfassen u. a. Ingenieurwesen und Technik, Biographie, populäre Romane, Gesundheit und Medizin, Wirtschaftsverwaltung sowie Zivilisation und Umgangsformen. Darunter fehlt es nicht an gegenwärtig sehr populären neuen Büchern.

Es gibt auch Arbeitseinheiten, die für Wanderarbeiter einige Zeitungen und Zeitschriften abonniert und Geräte wie beispielsweise Fernseher gekauft haben. Außerdem organisieren sie Veranstaltungen wie den Wettbewerb für berufliche Fähigkeiten. Darüber hinaus kümmert sich die Kulturabteilung der Regierung um die Freizeitgestaltung der Wanderarbeiter. Beispielsweise werden abends an Feiertagen Festspiele auf einem öffentlichen Platz veranstaltet, oder es wird eine kulturelle Sonderveranstaltung für ein Unternehmen, das viele Wanderarbeiter beschäftigt, organisiert.

 

 
Adresse: Baiwanzhuang Dajie 24, Beijing, VR China
Postleitzahl: 100037
Fax: 010-68328338
Website: http://www.chinatoday.com.cn
E-mail: chinaheute@chinatoday.com.cn
Copyright (c) China Today, All Rights Reserved.