Karawanen für den Transport von Salz und Getreide

Karawanen ziehen durchs Hochland von Nordtibet, um Salz und Getreide zu transportieren. Eine solche Karawane besteht aus etwa tausend Schafen und einigen hundert Yaks. Die tibetischen Karawanen für den Transport von Salz und Getreide sind in China so bekannt wie die Pferdekarawanen aus der Provinz Yunnan.

In der langen Geschichte der tibetischen Nationalität spielten Karawanen beim Transport von Salz und Getreide eine bedeutende Rolle. Sie stellten die Verbindung zwischen den Viehzucht- und den Ackerbaugebieten her und waren wichtig, um alle Menschen mit den notwendigen Lebensmitteln zu versorgen.

Zum Schutz vor räuberischen Überfällen und um möglichen Naturkatastrophen zu begegnen, wurden früher die meisten Karawanen von mehreren Familien, einem Dorf oder sogar einem ganzen Stamm organisiert. Drei oder vier Dutzend Personen, manchmal auch noch mehr, trieben hunderte oder sogar tausend Schafe und einige Dutzend, oft auch einige hundert Yaks zweimal pro Jahr durchs Hochland. Ohne Karawanen war kein Tauschhandel möglich. Im Frühling und Sommer treibt man heute noch Yaks und Schafe zu den Salzseen, um dort Salz zu gewinnen. Im Herbst wird dann die Karawane mit Salz und Erzeugnissen der Viehwirtschaft in die Ackerbaugebiete geführt, wo man dies alles gegen landwirtschaftliche Produkte und sonstige Bedarfsartikel tauscht. Wie lange eine Karawane unterwegs ist, hängt von der Entfernung zwischen Salzsee und Handelsort ab. Hin- und Rücktour können zehn bis 15 Tage, aber auch zwei bis drei Monate dauern. Im Laufe der Zeit sind verschiedene Karawanenstraßen entstanden. Der Salztransport nach Burang auf einer solcher Karawanenstraßen ist sogar schneller als auf der Landstraße.

„Familien von Karawanenmitgliedern“

Kaum ist die Lämmersaison vorbei, treffen die Männer eines Dorfes ihre Vorbereitungen für die Karawanenreise. Sie rüsten sich mit allem aus, was sie für die Reise brauchen und wählen ihre Zugtiere. Vor Reisebeginn treffen sich alle „Familienangehörigen“ zu einer Sitzung, um festzulegen, wer Küchengeräte, Zelte und andere notwendige Dinge mitzunehmen hat. Außerdem wird die Leitung der Karawane gewählt. Die besteht aus dem „Vater“, der „Mutter“ und dem „Richter“. Die Karawanenmitgliedern sind ausnahmslos Männer. Der „Vater“ ist ein Karawanenveteran. Er hat organisatorische Fähigkeiten, beurteilt sicher die Situation und ist in der Lage, den wechselnden Umständen Rechnung zu tragen. Er ist verantwortlich für die Versorgung mit Getreide. Die „Mutter“ ist der Küchenmeister, der Feuer zu machen, Tee zu kochen und das Essen zuzubereiten hat. Der „Richter“ assistiert dem „Vater“ bei der Schlichtung von Streitigkeiten. Es wird auch ein „Geistlicher“ ernannt, der unterwegs religiöse Zeremonien leitet. Er ist verpflichtet, Weihrauch zu verbrennen und Gebete zu verlesen. Der Weihrauch ist Zanba-Mehl. Die Kultgeräte, wie Gebetsstößel und Kupferbecken sind relativ klein. Die Karawane ist ein Modell für klare Arbeitsteilung und Einzelverantwortung.

Die „Familienangehörigen“ halten an einer genauen Platzordnung fest. Niemand darf dagegen verstoßen. Der rechte Ehrenplatz in der Jurte gehört dem „Vater“. Links vom ihm ist der Platz für den „Richter“. An der Wand hinter dem „Richter“ hängt die „Richtschnur“. Links vom „Richter“ sind die Plätze der einfachen

Karawanenmitglieder. An der Tür der Jurte sitzen die Mitglieder, die schon einmal am Karawanentransport teilgenomm haben. Links vom Eingang liegt der Platz der „Mutter“. Links von ihr sind Plätze für die Mitglieder, die zum ersten Mal am Karawanentransport teilnehmen, damit die „Mutter“ sie schnell versorgen kann. Die Plätze davor sind frei verfügbar. Vor diesen Plätzen sitzt der Geistliche.

Sind die Vorbereitungen für die Karawane abgeschlossen, treffen sich alle an einem Punkt, von dem aus aufgebrochen wird. Alle Dorfbewohner versammeln sich an diesem Treffpunkt, um von ihren Verwandten Abschied zu nehmen.

Zugtiere der Karawane

Das gewonnene Salz wird von Yaks und Schafen getragen. Folglich laufen auf dem Weg zum Salzsee die meisten Tiere ohne Last. Nur wenige tragen Nahrungsvorräte, Kleidungsstücke, Zelte und leere Säcke. Die Yaks tragen Sättel; Schafe werden nicht gesattelt. Man hängt den Leittieren rote Schärpen als Glückssymbole um und schmückt sie mit Ohrgehängen aus Yakwolle oder einer Gebetsfahne.

Yaks und Schafe werden unterschiedlich behandelt. Männliche Yaks weiden zwischen zwei Karawanenreisen frei an den Berghängen, statt eingepfercht zu werden. So können sie sich besser ernähren und Kräfte sammeln. Ein Yak muss mehr als 50 Kilogramm tragen. Abends wird mit der Fracht auch der Sattel vom Rücken der Tiere genommen, damit sie sich gut ausruhen können. Sie werden sorgfältig gefüttert, weil sie am nächsten Tag wieder schwer arbeiten müssen.

Die Schafe der Karawane werden nicht gesattelt; es gibt ja gar nicht so viel Holz, um Sättel für ein- oder zweitausend Schafe zu fertigen. Holz gibt es auf der Nordtibet-Grassteppe nur selten. Jedes Schaf trägt einen aus Yakwolle genähten Sack mit 10 Kilogramm Salz. Die Schafe müssen auch nachts ihre Last tragen, weil es unterwegs unmöglich ist, täglich mehrere tausend Säcke ab- und wieder aufzuladen. Die Schafe tragen ihre Salzsäcke ununterbrochen bis zum Reiseziel. Manchmal scheuert auf dem langen Marsch die Last die Rücken einiger Schafe so stark auf, dass sie bluten und ihr Fleisch offen liegt. Einige gehen nach der Strapaze ein. Es ist auch nicht einfach, unterwegs immer genügend Wasser und Futter für die Tiere zu finden. Es kommt vor, dass die Schafe ein oder zwei Tage lang kein Wasser finden. Ein Schriftsteller, der seit langem in Tibet lebt, schrieb über die schwer arbeitenden Karawanentiere: „Die Glöckchen, die an den Hälsen der sich aufopfernden Schafe hängen, klingen so jämmerlich, als wollten sie ihre Trauer ausdrücken.“

Tabus, Rituale und Verhaltensregeln der Karawane beim Transport von Salz

Wer sich einer Karawane anschließt, ist von der Außenwelt isoliert. Die Karawanenmitglieder benutzen untereinander eine Art Geheimsprache und leben auch recht eigenartig. Jeder hat die ihm übertragenen Pflichten zu erfüllen.

Die Karawanenmitglieder müssen sich fest an die Verhaltensregeln der Gemeinschaft halten. Mit dem Aufbruch der Karawane ist die Geheimsprache, die nur die Männer des Weidegebietes verstehen, das alleinige Verständigungsmittel der Karawanenmitglieder. Es ist eine Sprache, die sich in jedem Satz auf den Sexus bezieht. Wer unvorsichtigerweise im Alltag gebräuchliche Wörter und Ausdrücke benutzt, wird dazu verurteilt, eine Kanne Buttertee zu kochen.

Für Karawanenmitglieder ist unterwegs der Kontakt mit Frauen tabu. Verstöße dagegen werden streng geahndet.

Vor der Rückkehr vom Salzsee gibt es Zeremonien, um der „Salzsee-Mutter“ zu danken. Die bunten Gebetsbanner, die über den von Pilgern als Ausdruck ihrer Verehrung für die „Salzsee-Mutter“ aufgeschichteten Steinhaufen liegen, werden durch neue ersetzt. Man fertigt Yak- und Schaffiguren aus Zanba- und oder Weizenmehlteig sowie Kiefern aus Butter an und legt alles vor die Steinhaufen oder wirft es in den Salzsee, um der „Salzsee-Mutter“ zu opfern. Außerdem gibt es Rituale, die den Wunsch für eine erfolgreiche Rückreise ausdrücken. Man legt einen Rinderkopf aus Butter am Steihaufen nieder. Manche Karawanenmitglieder verkleiden sich als Zugtiere und Viehtreiber. Sie umkreisen die Steinhaufen und gehen dann vor ihre Zelte. Andere Karawanenmitglieder übernehmen die Rollen der Familienangehörigen und Verwandten. Sie stehen vor den Zelten, um die heimkehrende Karawane zu begrüßen.

Auf der Hin- und Rückreise singt man Lieder, um die Langweile zu vertreiben. Die Lieder handeln vom Abschied der Karawane aus der Heimat, von den Tieren, von der Mühsal des Transportes und vom Karawanenalltag. Es gibt auch ein besonderes Loblied auf die Karawane. Alle diese Lieder sind Schätze der tibetischen Literatur und Kunst.

Tauschhandel

Kaum ist die Karawane mit Salz im Heimatdorf angelangt, macht sie sich erneut auf den Weg. Nun geht es ins Ackerbau- oder Grenzgebiet, um Salz gegen Getreide zu tauschen.

Als ich 1989 Untersuchungen in Nordtibet machte, erzählte mir ein Hirt namens Chongken Yongchong, dass die Karawanen seiner Heimat Salz zum Tausch nach Painbo und Dulung in der Nähe von Lhasa brächten. Da würden zwei Sack Salz gegen einen Sack Qingke-Gerste getauscht. Um Salz zu günstig zu verkaufen oder zu tauschen, ziehen manche Karawanen noch weiter, zum Beispiel nach Shannan und Cona. Dort tauscht man einen Sack Salz gegen einen Sack Qingke-Gerste. Manche Hirten gehen auch bis nach Burang in Ngari. Hier tauschen sie einen Sack Salz von guter Qualität gegen einen Sack Qingke-Gerste von guter Qualität. Die Händler, die große Tauschgeschäfte mit Salz und Getreide machen, sind reiche Leute. Arme Hirten bringen Butter, Wolle, Schafpelze oder das Fleisch ihrer Tiere zum Tausch gegen Qingke-Gerste und Zanba ins Ackerbaugebiet. Der Hirt Chongken Yongchong hat mir einige Tauschverhältnisse bzw. Preise genannt:

Ein halbes Kilo Schafwolle tauscht man gegen 1,5 bis 2 Kilo Qingke-Gerste;

einen Schafpelz gegen mehr als 5 Kilo Qingke-Gerste;

ein halbes Kilo Butter gegen 2,5 bis 3 Kilo Qingke-Gerste;

...

Außerdem tauschen Hirten alte, schwache, verletzte und kranke Schafe gegen Holzschüsseln oder Sättel. Im Zug der Modernisierung findet nun eine richtige Revolution im Transportwesen Tibets statt. Yaks und Schafe werden mehr und mehr durch Autos ersetzt. Die Zahl der Yak- und Schafkarawanen nimmt ab. In der bisherigen Entwicklung der tibetischen Nationalität haben die Karawanen eine wichtige Rolle gespielt. Sie haben zum Aufblühen der tibetischen Kultur beigetragen und sind aus der Geschichte Tibets nicht wegzudenken. Die Karawanen sind Ausdruck des optimistischen Geistes der unter harten Naturbedingungen lebenden Bevölkerung des Tibet-Hochlandes. Obwohl der Salztransport sehr strapaziös ist, schreckt es niemanden von einer Teilnahme an einer Karawane ab. Mit Begeisterung und vollem Stolz haben Karawanenmitglieder den Autoren dieses Buchs von ihren ungewöhnlichen Erlebnissen beim Salztransport berichtet.

 

 
Adresse: Baiwanzhuang Dajie 24, Beijing, VR China
Postleitzahl: 100037
Fax: 010-68328338
Website: http://www.chinatoday.com.cn
E-mail: chinaheute@chinatoday.com.cn
Copyright (c) China Today, All Rights Reserved.