Wetteifer um die Crème de la Crème des akademischen Nachwuchses in China

Von Lu Rucai

Seit 1998 haben Oberstufenschüler des chinesischen Festlandes die Möglichkeit, in Hong Kong zu studieren, wenn auch in begrenzter Anzahl. Dieses Jahr sind acht Universitäten in Hong Kong autorisiert worden, Studenten aus mehr als 20 Festlandprovinzen, regierungsunmittelbaren Städten und autonomen Gebieten anzuwerben. Dies hat zu einer Situation geführt, in der festlandchinesische und Hong Konger Universitäten nun um Studenten wetteifern und alles tun, um die Crème de la Crème des akademischen Nachwuchses anzulocken.

Im Jahr 2006 wurden 151 von insgesamt 6342 vom chinesischen Festland stammende Antragsteller von der Hong Kong Universität für Wissenschaft und Technologie eingeschrieben, und die Universität Hong Kong wählte 250 von 10 000 Antragstellern vom Festland aus. Derweil sind 914 Studenten aus Hong Kong an festlandchinesischen Universitäten eingeschrieben worden. Dieses Wetteifern um Studenten hat ein bedeutend erweitertes Spektrum akademischer Möglichkeiten und Karrierechancen für beide – festlandchinesische und Hong Konger Studenten – geschaffen.

Die Anziehungskraft der Hong Konger Universitäten

Es war im Jahr 2003, als sechs Hong Konger Universitäten als erste grünes Licht vom Chinesischen Bildungsministerium für die Anwerbung von festlandchinesischen Studenten aus sechs Provinzen und regierungsunmittelbaren Städten bekamen. Dies war in Wirklichkeit die formelle Anerkennung der Praxis, die 1998 begonnen hatte, derzufolge führende Bildungsinstitutionen des Festlandes, darunter Peking- (Beida), Tsinghua- und Fudan-Universität (Shanghai) den Hong Konger Universitäten Studenten „empfahlen“. Im Jahr 2006 wuchs die Anzahl der Hong Konger Universitäten, die festlandchinesische Studenten einschrieben, auf acht, und die Anzahl der Provinzen und regierungsunmittelbaren Städte, aus denen sie angeworben wurden, stieg auf 20.

Yang Yang erreichte bei der diesjährigen Hochschulaufnahmeprüfung in der Provinz Guangdong die höchste Punktzahl und bekam sowohl von der Beijinger Tsinghua-Universität als auch von der Hong Kong Universität für Wissenschaft und Technologie eine Zusage für die Zulassung. Es war keine einfache Entscheidung für Yang Yang, denn er träumte schon seit seiner Kindheit von einem Studium an der prestigeträchtigen Tsinghua-Universität. Nach langem Grübeln und diversen schlaflosen Nächten entschied er sich einfach für Hong Kong. Seine Gründe? „Ich hatte 12 Jahre Schulbildung hier auf dem Festland und würde gerne einmal das Studium in einer anderen Umgebung versuchen. Ich habe gehört, dass die Vermittlung von Bildung in Hong Kong derjenigen im Westen weitesgehend entspricht, und ich denke, die englischsprachige Lehre wird mein Englisch verbessern.“ Yangs Entscheidung ist unzweifelhaft von dem Vollstipendium in Höhe von 450 000 HK-Dollar beeinflusst worden, welches mit dem Studienplatz an der Hong Kong Universität für Wissenschaft und Technologie verbunden ist. „Das Stipendium ist eine enorme finanzielle Förderung und außerdem erfreulich, weil es so etwas wie eine Belohnung für die zehn Jahre meiner unnachgiebigen Bemühungen zu sein scheint. Es ist zusätzlich eine große Erleichterung zu wissen, dass meine Eltern sich nicht um die Zahlung meiner Studiengebühren zu sorgen brauchen“, sagte Yang Yang.

Yang Yang war in einer Versuchsklasse von 58 der vielversprechendsten Schüler Guangdongs – einer von zehn, die an die Hong Konger Universitäten angeschlossen sind. Sie sind Teil der neuen Welle unter festlandchinesischen Studenten, die ihre Augen südwärts richten. Im Jahr 2006 gab es 30 000 oder mehr Anträge auf Zulassung an sechs der acht autorisierten Hong Konger Universitäten.

Es gibt verschiedene Gründe, warum Hong Kong so ein attraktives Angebot für höhere Bildung bietet. Vom Standpunkt der Eltern her gesehen ist es näher zur Heimat als Europa oder die USA und trotzdem wird eine Bildung angeboten, die viel mit der westlichen gemein hat; dies macht Hong Kong zu einem überaus begehrenswerten Ort für das Studium.

Die Zeitung China Youth Daily und das chinesische Internetportal Sina.com führten kürzlich eine Meinungsumfrage durch, in der 2767 Teilnehmer gefragt wurden, ob sie sich eher an einer Top-Uni des Festlandes oder einer bekannten Hong Konger Universität einschreiben lassen würden? Ganze 71,2 Prozent sagten, sie würden Hong Kong wählen. Der Hauptgrund, der von 81,6 Prozent dieser Befragten angegeben wurde, war, dass die Hong Konger Universitäten globaler ausgerichtet sind als die des Festlandes. Weitere 50,9 Prozent denken, dass Hong Konger Universitäten ein besseres akademisches Umfeld bereitstellen, und 59,5 Prozent sind der Meinung, dass die Universitäten des Festlandes in den letzten 20 Jahren im Wettbewerb zurückgefallen sind. Auch bei den mehr auf die Praxis bezogenen Fragen glauben 66,8 Prozent, dass die Hong Konger Universitäten bessere Beschäftigungsmöglichkeiten nach dem Abschluss bieten, und 46,1 Prozent sind demnach von dem großzügigen Stipendium angezogen, welches sie bereitstellen.

Der letzte Punkt ist durch Zhu Lijing, der für die Einschreibung von festlandchinesischen Studenten an der Hong Kong Universität für Wissenschaft und Technologie verantwortlich ist, bestätigt und klargestellt worden. Er gibt an, dass sich von den 151 Antragstellern, die dieses Jahr durch seine Universität angenommen wurden, 70 für eines der Stipendien qualifiziert haben, welche zusammengerechnet mit einer Summe von 13,5 Millionen Yuan (etwa 1,35 Millionen Euro) beziffert werden. Die Chinesische Universität von Hong Kong stapelt höher, gibt sie doch volle 50 Millionen Yuan (etwa 5 Millionen Euro) für die Einschreibung der 100 besten festlandchinesischen Studenten aus, von denen jeder mit einem Vollstipendium von 500 000 Yuan (etwa 50 000 Euro) ausgestattet wird.

Gute Berufsaussichten sind ebenfalls ein Punkt für die Gunst, die Universitäten der Sonderverwaltungszone Hong Kong widerfährt. Im Jahr 2005 fanden 99 Prozent der Absolventen der Universität Hong Kong eine Arbeit oder schlossen eine Doktorarbeit an. Diejenigen, die gegenwärtig beschäftigt sind, verdienen nach einer Untersuchung im Mai 2006 im Durchschnitt 14 000 HK-Dollar und bis zu 74 000 HK-Dollar monatlich. Die meisten der Absolventen des Jahrgangs 2006, die in Hong Kong eine Arbeit gefunden haben, sind bei internationalen Anlagebanken, Beratungsfirmen und transnationalen Konzernen gelandet. Dass weder die Beschäftigungsrate noch die Gehälter von den Absolventen der prestigeträchtigen Peking- und Tsinghua-Universität in der chinesischen Hauptstadt vergleichbar sind mit denen der Sonderverwaltungszone, ergänzt wesentlich den Reiz der Universitäten in Hong Kong.

Die Möglichkeit, eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung in Hong Kong zu bekommen, mit all ihren internationalen Verbindungen, ist ein weiterer wirkungsvoller Köder. Hong Kongs Aufenthaltsbestimmungen legen fest, dass Festlandchinesen einen dauerhaften Status erhalten, nachdem sie sieben Jahre in der Sonderverwaltungszone gelebt haben – eine Anforderung, die nach vier Jahren Studium und nur drei Jahren Beschäftigung leicht zu erfüllen ist.

Vorteile der Universitäten des Festlandes

Der wachsende Trend, dass begabte festlandchinesische Studenten um Bildungsmöglichkeiten in Hong Kong konkurrieren, wird indes ausgeglichen durch die Immatrikulation von 52 der Top-Studenten Hong Kongs an der Peking- und der Tsinghua-Universität in diesem Jahr. Jeder Student wurde mit einem jährlichen Stipendium von 30 000 Yuan (etwa 3000 Euro) ausgestattet und keiner von ihnen brauchte eine Eingangsprüfung abzulegen. Dies war die dritte Gruppe ihrer Art, die an Tsinghua und Beida studieren. Im Jahr 2006 wurden insgesamt 914 Studenten aus Hong Kong von Universitäten auf dem Festland eingeschrieben.

Diese – sich gegenseitig ergänzenden – Phänomene sind zum Teil auf die neue Politik des Bildungsministeriums, welche im September 2006 in Kraft trat, zurückzuführen. Studenten aus Hong Kong sind nun in Bezug auf Abgaben und Gebühren mit ihren festländischen Kommilitonen gleichgestellt. Ein Semesterkurs im Grundstudium kostet ungefähr 10 000 Yuan (etwa 1000 Euro), Unterbringung inklusive – weniger als ein Zehntel von dem, was es in Hong Kong kosten würde. Hohe Gebühren, Abgaben und Lebenshaltungskosten in der Sonderverwaltungszone bedeuten, dass das Studium dort für Festlandstudenten nur ein realisierbares Vorhaben ist, wenn sie entweder ein Stipendium bekommen oder reiche Eltern haben.

Im April diesen Jahres ging Sun Dongdong, ein Anwerber der Peking-Universität, nach Hong Kong, um Forschungen über Hochschulbildung in der Sonderverwaltungszone anzustellen. Er trägt in seinem Bewusstsein, dass Stipendien nur für 10 Prozent der Antragsteller zur Verfügung stehen und kommt zu dem Schluss, dass sich viele festlandchinesische Studenten an Universitäten in Hong Kong bewerben, ohne die wirtschaftlichen Auswirkungen zu bedenken. „Ich denke, Studenten sollten behutsamer darüber nachdenken, wo sie ihre Studien weiterführen wollen“, sagte Professor Sun. „Es lässt sich nicht leugnen, dass die Universitäten in Hong Kong mehr Mittel zur Verfügung haben als die auf dem Festland, so wie sie auch hervorragendes Lehrpersonal mit internationalem Background haben. Aber ich würde Studierenden mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt wie Mathematik, Chemie oder Physik, nicht empfehlen, in Hong Kong zu studieren, denn die Stärken Hong Kongs liegen mehr in den praktischen Lehrfächern wie z. B. Wirtschaft, Finanzwesen und Informatik.“

Diese Sicht wird von der Hong Konger Studentin Chen Hong geteilt, welche Medizin an der Peking-Universität studiert. Sie bestätigt, dass die Universitäten auf dem Festland häufig eine Forschungskompetenz vorweisen, die höher zu bewerten ist als diejenige, die von Hochschul-Institutionen in Hong Kong angeboten wird.

Statistiken zufolge gibt es gegenwärtig etwa hundert festlandchinesische Hochschulen und Universitäten, die Studenten aus Hong Kong und Macao angeworben haben. Hong Konger Studenten werden sich einfach darüber bewusst, dass, zusätzlich zu den exzellenten Forschungseinrichtungen, das Festland ebenfalls ein breites Spektrum an Karrieremöglichkeiten bietet. Die WTO-Mitgliedschaft hat die globale Bedeutung Chinas ausgebaut und offene Stellen erzeugt, die von umfassenden wissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen sowie von Lebenserfahrung abhängig sind, sowohl auf dem Festland als auch in Hong Kong. Darum macht es Sinn, sich mit dem Umfeld auf dem Festland bekannt zu machen.

Als stellvertretender Präsident ist Lin Jianhua verantwortlich für Angelegenheiten betreffend der Anwerbung von Studenten an der Peking-Universität. Er bemerkt: „Die Chance, in Hong Kong zu studieren, gibt den Schülern der Oberstufe, die sich eine höhere Bildung angeeignet haben, Alternativen. Die Universitäten des Festlandes und in Hong Kong haben Charaktereigenschaften, die die speziellen Bedürfnisse eines breiten Spektrums von Studenten abdecken.“

Es gibt Bedenken, dass die fortbestehende Konkurrenz um Chinas Crème de la Crème des akademischen Nachwuchses die Zukunft der Universitäten auf dem Festland negativ beeinflussen könnte. Aber die allgemeine Überzeugung ist, dass die Top-Unis des Festlandes durch die Rivalität bei der Anwerbung in ihrem Bemühen, neue Bildungsformen zu entdecken und flexibler bei der Unterstützung ihrer Studenten in Bezug auf die Vorbereitung auf den Einstieg und die Teilhabe an der heutigen sich rasant verändernden internationalen Gesellschaft zu sein, bestärkt werden.

 
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