Bemalte
Reliefziegel
Von
Yong Hong

Die Zeit der sechs Dynastien (222-589 u.
Z.) stellt eine wichtige Übergangszeit in der Geschichte
der chinesischen Malerei dar. Viele bekannte Maler aus dieser
Zeit wie z. B. Gu Kaizhi aus der Östlichen Jin-Dynastie
(317-420 u. Z.) übten einen großen Einfluss auf die
späteren Generationen aus. Aber Papier und Seide wurden
mit der Zeit zerstört, so dass keine Originale aus dieser
Zeit mehr erhalten sind. Früher konnte man nur an Hand von
später angefertigten Kopien die Malerei der Zeit der
sechs Dynastien kennen lernen, weswegen man sich auch kein
richtiges Bild von der damaligen Malerei machen konnte.
Archäologen
haben in den letzten Jahren einige hundert Gräber freigelegt,
in denen eine große Menge von Kulturgegenständen
aus der Zeit der sechs Dynastien in Südchina entdeckt wurde.
Besonders zahlreich waren die Funde in Nanjing, der damaligen
Hauptstadt. Bis heute haben wir keine Seiden- und Papiermalereien
gefunden, wohl aber bemalte Reliefziegel und große,
aus mehreren Ziegeln zusammengesetzte Bilder an den Grabkammerwänden.
Diese Entdeckung hat es uns ermöglicht, die Malerei der
Zeit des sechs Dynastien etwas besser kennen zu lernen, da
die Vorlagen für die Motive auf den Ziegeln oft Malereien
waren.
Zur
Zeit der sechs Dynastien wurden die Wände in den Gräbern
meistens aus Ziegeln gebaut, die ungefähr 38 cm lang,
14-19 cm breit und 3-5 cm dick waren. Auf den Ziegeln wurden
vor allem Blumen und Menschenmuster eingeschnitzt. Oft sind
die Ziegel mit Lotosblumen, Lotosblättern und Keckenkirschen
verziert, in schlichter und lebendiger Linienführung, z. B.
Lotosblumenmuster in Rundform, Lotosblumen mit sich nach verschiedenen
Seiten erstreckenden Heckenkirschzweigen oder von Heckenkirschblättern
umrahmte Lotosblumen. Manchmal sind die Blumenbilder auch
mit Tiermustern kombiniert, z. B. einem langschwänzigen
Phönix, der seinen Federschopf aufrichtet, einem Fabeltier
mit vier Flügelfüßen, einem langmähnigen Löwen
mit kräftigen Tatzen oder Vögel mit Menschen- oder
Tierköpfen.
Diese
ornamentalen Reliefziegel bilden die Mehrzahl unter den bemalten
Ziegelsteinen. Für uns am wertvollsten sind allerdings die
Ziegelsteine mit eingeschnitzten Menschenfiguren und Szenen
aus dem Leben. Das aus der Spätzeit der sechs Dynastien
stammende Grab im Dorf Qijiacun, Kreis Changzhou, Provinz
Jiangsu, enthält viele Ziegel mit Menschenreliefs, z.
B. Dienerinnen, Wachen mit Messern in den Händen, hübsche
Mädchen mit hochgetürmten Frisuren, langen Röcken
und großen Schuhen. Besonders faszinierend ist ein Mädchen
mit einer Schneckenfrisur und im Wind wehenden Kleidern und
Ärmeln, das ein Rauchgefäß trägt. Aber
nicht nur einzelne Menschen stellten die Künstler auf diesen
Ziegeln dar. Die rot-, grün-, weiß-, gelb-, schwarz-
oder violettgefärbten Ziegel, in einem Grab im Kreis
Deng, Provinz Henan, zeigen z. B. Szenen aus dem Leben des
dort Beerdigten, seine Gefolgschaft, Pferde, Pferdewagen,
Soldaten, Tänzer und Musikanten. Auf einem Ziegel sind
marschierende Soldaten eingeschnitzt, die mit Speeren oder
Schwertern bewaffnet sind. Manche haben Bogen umhängen
und Köcher. Auf einem anderen Ziegel ist eine Militärkapelle
zu sehen, voran die Hornisten, hinten die Trommler. Auf einem
anderen Reliefziegel sind Musikanten und Tänzerinnen
dargestellt. Links ein Dirigent, der mit einer Feder den Takt
angibt, die Musikanten schlagen die Trommel oder spielen die
Sheng (Mundorgel); rechts tanzen zwei Tänzerinnen. Ein
weiterer Ziegel zeigt einen Hirtenknaben, der einen Büffel
festzuhalten versucht.
Dann
gibt es auch noch große, aus vielen Ziegelsteinen bestehende
Bilder. Manchmal ist die ganze Wand ein einziges Bild. In
dem bei Nanjing gelegenen Dorf Youfangcun im Gebiet Xishanqiao
wurde 1961 ein Grab aus der Spätzeit der Südlichen Dynastien
ausgegraben, an dessen östlichen Korridorwand sich ein
1,05 X 0,65 m großes Bild aus Reliefziegeln findet.
Es zeigt einen sitzenden Löwen mit nach oben gebogenem
Schwanz. Der Kopf ist leider nicht mehr erhalten. Für dieses
Bild wurden vor dem Brennen auf den Ziegelsteinen Stellen
markiert, entsprechend denen dann die Ziegel zusammengesetzt
wurden. Unter den großformatigen Ziegelreliefs ist eine
Serie besonders bemerkenswert: "Sieben Weise im Bambushain
und Rong Qiqi". Sie ist auf zwei gegenüberliegende Wände
aufgeteilt, die beiden Teile sind jeweils 2,4 m lang und 0,8
m hoch. Der eine an der südlichen Wand zeigt Ji Kang, Ruan
Ji, Shan Tao und Wang Rong, und der an der nördlichen
Wand Xiang Xiu, Liu Ling, Ruan Xian und Rong Qiqi. Die ersten
sieben Personen sind Weisen aus der Westlichen Jin-Dynastie.
Die einzelnen Figuren sind jeweils durch einen Baum voneinander
getrennt. Dadurch bildet jede Figur ein Bild für sich. Diese
entweder liegenden oder sitzenden Männer sind sehr lebendig
dargestellt, jeder besondere Charakterzüge aufweisend. Wang
Rong liegt halb auf dem Bett, ist barfüßig und hat seine
Beine angezogen. Mit dem linken Arm stützt er sich auf einen
kleinen Tisch, seine rechte Hand spielt mit einem "Ruyi",
einem S-förmigen, verzierten Gegenstand, der Glück symbolisiert.
Diese natürliche Darstellung entspricht der Schilderung in
einem klassischen Gedicht: "Wang Rong spielt mit einem
Ruyi". Liu Ling, der ohne Wein nicht leben konnte, sitzt
barfuss unter einer Weide, hält in der linken Hand einen
Henkelbecher voller Wein und riecht an seinem in den Wein
getauchten Finger. Seine Augen sind auf den Becher gerichtet.
Das ganze Bild drückt Liu Lings Freude am Trinken aus und
weckt in uns ebenfalls die Lust, ein Glas Wein zur Hand zu
nehmen. Ji Kang, ein bekannter Zitherspieler, sieht man unter
einem Baum sitzend spielen. In der damaligen Zeit achtete
man sehr auf die Symmetrie. Und da beim Bild "Sieben
Weise im Bambushain" auf die eine Wand vier Männer
kamen, auf die andere aber nur drei, fügte der Maler, um die
Symmetrie zu wahren, noch Rong Qiqi, einen vor der Qin-Dynastie
zurückgezogen lebenden Gelehrten hinzu. Diese lebendigen Porträts
zeugen von dem hohen Niveau der bildenden Kunst zur Zeit der
sechs Dynastien. Die Reliefs wurden nach Vorlagen von Gemälden
zuerst eingeschnitzt, dann wurde der Ziegel gebrannt. Und
so können wir uns vorstellen, wie weit entwickelt die
Papier-, Seiden- oder Wandmalerei gewesen sein muss.
(Aus „China im Aufbau“, Nr.
4, 1979)