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Revival einer traditionellen Kunstform: Die Kunqu-Oper kommt nach New York

2018-04-27 10:32:00 Source:China heute Author:
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Von Li Yuan

 

Der berühmte chinesische Kulturforscher und Schriftsteller Yu Qiuyu schrieb einst in seinem Buch „Where does the flute melody go“: „Wenn ein Stück Kultur eine Nation für lange Zeit in seinen Bann zieht, dringt es unweigerlich bis in die Tiefen der Volksseele vor. Es gibt einige bemerkenswerte kulturelle Vorlieben, die China über die Jahrhunderte hervorgebracht hat. Als erstes ist hier die Dichtkunst der Tang-Dynastie zu nennen, als zweites die Kalligraphie, und an dritter Stelle steht für mich die Kunqu-Oper.“

 

Westlichen Kulturfreunden kommt wohl vor allem die Pekingoper in den Sinn, wenn sie an traditionelle chinesische Opernkunst denken. Eine Frau, die das ändern möchte, ist die junge chinesische Theaterkünstlerin Hao Meng. Nach ihrem vierjährigen Studium an Chinas Nationaler Theaterakademie suchte sie ihre berufliche Zukunft eigentlich zunächst auf anderen Pfaden. Dass sie einmal zur Botschafterin der Kunqu-Oper avancieren sollte, ahnte sie damals nicht. Doch ein Abstecher in die USA sollte ihrer künstlerischen Laufbahn eine neue Wendung geben.

 

Hao Meng war damals zu Besuch bei ihrem Bruder, der in den USA studierte. An einem Abend waren die beiden auf eine Party bei Freunden eingeladen, auch um auf einen wissenschaftlichen Beitrag ihres Bruders anzustoßen, der kurz zuvor in einer amerikanischen Fachzeitschrift veröffentlicht worden war. Voller Leidenschaft diskutierten die Anwesenden über die akademischen Thesen des Artikels. Hao Meng allerdings erlebte das enthusiastische Gespräch wie eine Außenstehende, nicht nur wegen sprachlicher Barrieren, sondern auch weil sie fachlich nichts beizutragen wusste.

 

Sie hatte sich gerade schon damit abgefunden, dass es für sie ein langweiliger Abend werden würde, als sich ihr Bruder plötzlich zu ihr wandte und sie bat, doch eine Passage aus der Kunqu-Oper zum Besten zu geben. Hao Meng war überrascht und zögerte zunächst, fristete die Kunqu-Oper doch selbst in China eher ein Nischendasein und war nicht gerade ein Straßenfeger in der modernen Performance-Szene. Sie hatte so ihre Zweifel, ob diese traditionelle chinesische Kunstform den Geschmack der Amerikaner treffen würde. Doch ihr Bruder ließ nicht locker und so gab Hao schließlich eine Passage aus der Oper „Pfingstrosenpavillon“ zum Besten. Als die letzten Töne verklungen waren, erntete sie spontanen und sehr herzlichen Beifall ihrer jungen Zuhörerschaft.

 

Einige Tage später besuchte Hao Meng den Yellowstone-Nationalpark in Wyoming. Auch dieser Ausflug sollte sich der chinesischen Künstlerin tief ins Gedächtnis graben. Die Bemühungen der Einheimischen zum Schutz der mehr als 2000 vor dem Aussterben bedrohten Davidshirsche beeindruckte Hao tief. „Ich dachte damals, dass auch die Kunqu-Darsteller einer aussterbenden Tierart glichen. Nur noch rund 600 professionelle Darsteller führten diese Kunst auf, die doch immerhin auf eine Geschichte von über 600 Jahren zurückblicken kann“, erinnert sich Hao an den Moment zurück. Lohnte es etwa nicht, ähnlich große Anstrengungen zu unternehmen, um diese so bedeutungsvolle Kunst für die Nachwelt zu bewahren?

 

Die Kunqu-Oper ist eine der ältesten traditionellen Opern Chinas. Im Reich der Mitte gilt sie Kennern als „Mutter aller chinesischen Opern“. Sie wirkte prägend auf verschiedene andere chinesische Theaterformen, vor allem die weltberühmte Pekingoper.

 

Doch die Kunqu-Oper erlebte in den vergangenen Jahrhunderten ein ständiges künstlerisches Auf und Ab. Ihr vorübergehender Niedergang hat ihre künstlerischen Errungenschaften jedoch keineswegs nivelliert. Dieser Auffassung ist der Taiwaner Schriftsteller Pai Hsien-yung. „Die beispiellose Verfeinerung ihrer Texte, Melodien, Choreographien und subtilen Empfindungen hat Maßstäbe in der chinesischen Theaterkunst gesetzt“, schreibt Pai über die Kunqu-Oper.

 

Im Jahr 2011 wurde die Kunqu-Oper von der UNESCO in die Liste des mündlichen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen – ein Ritterschlag für die lange vernachlässigte Gattung. Seither ist sie zu einem Fenster geworden, durch das Menschen aus aller Welt einen Einblick in die chinesische Kultur und Opernkunst erhalten.




 

„Pfingstrosenpavillon“ ist ein Kunqu-Meisterwerk des berühmten chinesischen Dramatikers

 Tang Xianzu (1550–1616) aus der Ming-Dynastie (1368–1644).

 


Eine Idee wird Wirklichkeit

 

Als Hao Meng von ihrer USA-Reise in die Heimat zurückkehrte, hatte sie eine Idee im Gepäck: Sie wollte ein Projekt zum Schutz der Kunqu-Oper starten. Freunde, denen sie davon erzählte, beäugten das Vorhaben anfangs eher skeptisch. Einige zweifelten, ob es in einer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft überhaupt eine harte Nachfrage nach einer aus der Mode gekommenen Kunstform wie der Kunqu-Oper gab. „Für mich ist mein eigenes Selbstvertrauen harte Nachfrage genug“, konterte Hao. Schließlich überzeugte sie ihren Freundeskreis von der Idee.

 

Auf Initiative Haos wurde so im November 2017 das „Belt and Road Theater“ für Kunqu-Opernkunst auf einem in Beijing veranstalteten Forum für immaterielles Welterbe ins Leben gerufen. Yang Fengyi, der stellvertretende Vorsitzende der China Theater Association und zugleich Präsident des Northern Kunqu Opera Theatre, sagte auf dem Forum: „Gesellschaftliches Engagement von der Basis der Gesellschaft ist ein wichtiges innovatives Element zur Erhaltung und Förderung der Kunqu-Opernkunst.“

 

Das Projekt des neu gegründeten Theaters stieß schnell auf ein äußerst positives Echo, nicht nur bei Vertretern kultureller Einrichtungen, sondern auch bei Investoren, Pädagogen und ausländischen Diplomaten. „Dies spricht nicht nur für die Faszination, die die Kunqu-Oper noch immer ausübt, sondern spiegelt auch den Willen der Öffentlichkeit, die traditionelle chinesische Kultur zu bewahren und zu fördern“, sagt Hao.

 

Auf dem Beijinger Forum wurde Hao dank ihres Vorstoßes zum Schutz des immateriellen Kulturerbes mit einem Ehrenpreis bedacht. Überreicht wurde ihr die Auszeichnung von Kevin Lee, dem Vorsitzenden des Ausschusses für chinesisch-amerikanischen Kulturaustausch. Die Auszeichnung bescherte dem frisch gegründeten Theater zudem die Einladung, schon 2018 im weltberühmten Lincoln Center for the Performing Arts in New York aufzutreten.

 

Traditionelle Kultur trifft moderne Bühnentechnik

 

Am 31. Dezember 2017 gab das „Belt and Road Theater“ seine erste Aufführung am China Millennium Monument in Beijing. Das Ensemble gab dabei zwei der bekanntesten Stücke aus dem „Pfingstrosenpavillon“, einem Meisterwerk des berühmten chinesischen Dramatikers der Ming-Dynastie (1368–1644) Tang Xianzu (1550–1616), zum Besten: „Gartensparziergang“ (Youyuan) und „Traumeserwachen“ (Jingmeng).

 

„Die größte Innovation unserer Aufführungen liegt im Einsatz der Bühnenbeleuchtung“, erklärt uns Hao, die als Regieassistentin bereits auf einige Erfahrung zurückreifen kann. Sie war unter anderem Assistentin des Erfolgsregisseurs Zhang Yimou bei der Eröffnungs- sowie der Abschlussfeier der Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing und auch bei der Inszenierung der italienischen Oper „Turandot“, die 2009 im Nationalstadion, dem Beijinger „Vogelnest“, aufgeführt wurde, wirkte sie mit. „Zhang Yimou hat mich nicht nur durch seine große Hingabe inspiriert, sondern lehrte mich auch, wie man Elemente der traditionellen chinesischen Kultur auf die Bühnen der Neuzeit überträgt“, sagt sie.

 

Bei der Interpretation der Kunqu-Oper setzten Hao und ihr Team auf moderne Video- und Lichttechnik, um vielschichtige Effekte zu erzeugen, die an klassische chinesische Tuschmalerei erinnern. Ihr gekonnter Einsatz moderner technischer Hilfsmittel war sicher einer der Gründe, warum die Aufführungen schnell zu einem Publikumsmagneten wurden. Die moderne Bühnentechnik haucht der klassischen Kunqu-Oper neues Leben ein.

 

Weg in die Moderne

 

„Traditionelle chinesische Opern wie die Kunqu-Oper sollten nicht im Museum versauern, sondern müssen lebendig sein“, sagt auch Han Ziyong, der Leiter des Verwaltungszentrums des China National Arts Fund. Für ihn ist das entscheidende Merkmal von Kunst die Partizipation des Publikums. „Der beste Weg zur Fortsetzung und Weiterentwicklung der traditionellen chinesischen Opernkunst in der Moderne führt dahin, die alten kulturellen Gene mit dem zeitgenössischen Geschmack zu vereinen“, sagt Han. „Sonst dürfte es für Chinas traditionelle Künste schwer sein, sich langfristig in der Moderne zu behaupten.“

 

Auch Hao Meng weiß: Bei dem Versuch, alte Opernkunst fit für das 21. Jahrhundert zu machen, spielt das Publikum die entscheidende Rolle. „Die Menschen müssen behutsam wieder an diese alte Kunstform herangeführt werden“, sagt die Künstlerin. Hao setzt deshalb auf Immersion, sprich das Eintauchen des Publikums in die Performance. Bei den Aufführungen werden zum Beispiel zu beiden Seiten der Saaltüren prachtvolle Kostüme und Requisiten platziert. Mitarbeiter des Ensembles stellen Interessierten die Gegenstände ausführlich vor, erläutern ihre Funktionen und ihre Bedeutung. Im Foyer gibt es außerdem einen Bereich mit Schattenspiel, in dem Nachwuchskünstler eigene Stücke aufführen und den Besuchern das traditionelle Handwerk der Puppenherstellung demonstrierten.

 

Diesen Gedanken des Eintauchens setzten die Macher auch in der eigentlichen Aufführung fort. Im Unterschied zu vielen anderen Darbietungen gehen die Darsteller der neuen Kunqu-Oper mit dem Publikum direkt auf Tuchfühlung und geben sogar Erläuterungen und Feedback während der Darbietung. Die Performance wird damit zu einem Art-Workshop, der alle Anwesenden aktiv miteinbezieht.

 

In Bezug auf das Design sagt Hao: „Künstler sollten meiner Meinung nach einerseits den Puls des kulturellen Erbes erspüren und andererseits auf innovative und technologisch verfeinerte Darstellungsmittel setzen. Auch sollten sie dem Erfahrungshorizont des Publikums mehr Beachtung schenken und die Menschen direkt miteinbeziehen. Die Aufführungen müssen zu einem interaktiven Erlebnis werden. Nur so wird der Funke überspringen und die Menschen werden vom Charme der traditionellen chinesischen Kultur verzaubert werden. Letztlich wird es so auch mehr kulturelles Selbstvertrauen in derartige Kunstformen geben und die Menschen werden ein stärkeres Bewusstsein für die Wichtigkeit des Schutzes dieser Kulturgüter entwickeln.“

 

Hao konnte zudem gleich mehrere berühmte Kunqu-Künstler für ihr Projekt gewinnen, was den Bekanntheitsgrad der Aufführungen weiter befeuert hat. „Die Teilnahme solcher Top-Künstler ist insbesondere für den Erfolg unserer Aufführung im Ausland eine wichtige Voraussetzung“, sagt Hao. Derzeit stecken sie und ihr Team mitten in den Vorbereitungen für eine internationale Tournee.

 

Das „Belt and Road Theater“ zählt derzeit mehr als 20 ausgebildete Schauspieler. Fast alle gehören der gleichen Generation an wie Hao Meng. „Die Künstler arbeiten hart und sind gute Teamplayer“, sagt Hao. „Während der Theaterausbildung wurde uns wiederholt gesagt, dass wir uns als Gemüse im Garten betrachten sollten, sprich, es gilt, einander gegenseitig zu unterstützen, sonst fruchtet die Zusammenarbeit nicht. Diese Mentalität ist von entscheidender Bedeutung für ein junges Team“, sagt die Künstlerin. „Bei uns haben alle momentan nur ein Ziel vor Augen: die Wiederbelebung und Weiterentwicklung der alten Kunqu-Opernkultur“, sagt Hao.

 

Um dieses große Ziel zu erreichen, haben Hao und ihr Team in einem ersten Schritt einen Sammelband zur umfassenden und systematischen Aufzeichnung der Opern der Qing-Dynastie zusammengestellt. Neben Erläuterungen zu den jeweiligen Requisiten und Kostümen listet das Werk insgesamt 11.498 Theaterstücke auf, die nicht nur im Kaiserpalast, sondern auch für die gewöhnliche Bevölkerung aufgeführt wurden. In Zusammenarbeit mit der Peking-Universität und Experten anderer Institutionen hofft Hao so, einige längst vergessene Theaterstücke wieder auf die Bühne zu bringen. „Es ist noch ein langer Weg und es gibt viel zu tun, wie zum Beispiel das Umschreiben der Stücke in modernes Chinesisch und die Anpassung der Handlung an den gesellschaftlichen Kontext der Moderne“, sagt Hao. Doch Experten und Künstler hätten bereits großes Interesse an dem Projekt und der Fortsetzung der Kunqu-Oper durch dieses bekundet.



 

 

Opernkunst hautnah: Die Darsteller der Kunqu-Oper gehen mit dem Publikum

direkt auf Tuchfühlung und geben selbst während der Darbietung Erläuterungen und Feedback. 


Neue Medien als Katalysator

 

„Wir arbeiten auch daran, in Zukunft neue Medien wie Cartoons, Filme, Handy-Spiele und TV-Serien zur Popularisierung der Kunqu-Oper zu nutzen“, sagt Hao. Yang Fengyi, eine landesweit renommierte Schauspielerin, gibt jedoch zu bedenken, dass man bei der Förderung der Kunqu-Oper im Ausland zwar eine globale Vision entwickeln müsse, jedoch die feste Verankerung in der chinesischen Kultur nicht verlieren dürfe. „Hier sollten wir keine übermäßigen Zugeständnisse machen, um uns anderen Kulturen auf Biegen und Brechen anzupassen“, sagt sie. „Ich finde ohnehin, dass wir die ästhetischen Kapazitäten des ausländischen Publikums lange unterschätzt haben. Letztlich haben Menschen verschiedener Nationen sehr ähnliche Vorstellungen von Kunst“, sagt Yang, die ebenfalls viele Mal künstlerisch im Ausland tätig war.

 

Ein Standpunkt, dem Hao nur beipflichten kann. Sie sagt: „Wir brauchen sicherlich innovatives Denken, um die Kunqu-Oper wiederzubeleben, doch wir dürfen dabei unsere kulturellen Wurzeln nicht aushöhlen.“ Aus diesem Grund lehne sie es zum Beispiel grundsätzlich ab, ausländische Theaterstücke in Kunqu-Opernstücke oder Kunqu-Stücke in westliche Opern umzuarbeiten.

 

Dank der Unterstützung mehrerer Diplomaten wird das „Belt and Road Theater“ in diesem Jahr nicht nur in den USA, sondern auch im Nahen Osten, in Afrika, Lateinamerika sowie in anderen asiatischen Ländern auftreten, um Zuschauern unterschiedlicher Nationalitäten die authentische Kunqu-Oper zu präsentieren. Es ist ein weiterer wichtiger Schritt, um Chinas traditionelle Kultur auf die Weltbühne zu hieven.

 

Hao sagt: „Jeder Chinese ist ein Baumeister des Chinesischen Traums, und jeder von uns versucht, seinen Platz im Leben zu finden. Wir jedenfalls sind sehr glücklich, dass wir unseren künstlerischen Traum verwirklichen können und etwas tun, was uns wahrhaftig erfüllt.“

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